Der Dichter Uwe Kolbe im Interview
Schauen, staunen und dichten
Der deutsche Schrifsteller Uwe Kolbe wuchs religionslos in der DDR auf. Über die Jahre fand er dichtend Zugang zur Religion und liest inzwischen mehr in christlichen Bildungshäusern als im klassischen Literaturbetrieb. Zum Adventbeginn kommt er auch nach Tirol.
Sie sind in der DDR ohne religiöse Prägung aufgewachsen. Gab es irgendwelche Berührungspunkte mit dem Christentum?
Kolbe: Ich bin zwar evangelisch getauft, hatte aber null religiöse Anbindung. Bei uns zuhause gab es eine Bibel aus den 30er Jahren. Ich war der einzige, der sie zur Hand nahm – weil ich mich anhand von Zigarettenbildern mit Kunst beschäftigte und die Bezüge verstehen wollte. Das Alte Testament war ein Geschichtenquell für mich.
Gab es religiöse Erfahrungen?
Kolbe: Ich war immer in der Natur unterwegs, bin auf Bäumen herumgeklettert, war sehr mit der Natur verbunden. Das hat innerlich zum Anerkennen einer höheren Instanz geführt. Später erlebte ich das auch beim Dichten: Der poetische Moment ist auch ein mystischer Moment.
Kamen Sie über diese „mystischen Momente“ zum Dichten?
Kolbe: Wir Menschen sind Antwortende, wir können nicht anders. Ich habe Dinge oft als zu kompliziert erlebt, um sie im Kopf zu Ende zu denken. Ein Gedicht zu schreiben, ist für mich der einfachste Weg, es doch zu Ende zu denken. Die einen wissen etwas und sagen es, die anderen wissen nicht, staunen und schauen an. So verstehe ich Dichtung. Poesie und Gebet haben dieselbe Wurzel.
Und aus dieser Haltung entstand Ihr Gedichtbuch „Psalmen“?
Kolbe: Die Form der Psalmen hilft meinem eigenen Stammeln, einen Weg zu finden. Die Psalmen sind meine Art, Antwort zu geben und mit anderen ins Gespräch zu kommen. Und was für Gespräche! Solche, die ich mir immer schon gewünscht habe, abseits des Literaturbetriebs. Das ist fantastisch.
Was für Erfahrungen machen Sie in diesen Gesprächen?
Kolbe: Sehr beglückende: dass es Menschen gibt, die konfessionell gebunden sind, aber Fragende sind, offen sind, jenseits des theologischen Rahmens. Die Idee, mit meinen Gedichten solche Gespräche zu eröffnen, hatte ich immer schon.
Im Vorwort ihrer „Psalmen“ beschreiben Sie sich als „Heiden, der Gott verpasste“. Ein paar Zeilen später folgt: „Ich habe ihn angesprochen – und er verweigerte sich nicht.“
Kolbe: Ja, das ist ein Widerspruch, den ich so belassen möchte: Ich habe Gott verpasst, aber ich spreche ihn an. Und ich habe durchaus einen intimen Umgang mit meinem Gott. Ich würde mich nicht mehr als Atheist bezeichnen. Ich bin ein konfessionsloser Gläubiger.
Wer ist dieser Gott, an den Sie sich wenden?
Kolbe: Ich habe dieses Vertrauen, dass Gott überall ist, in der ganzen Welt, in jedem Detail. Ich bin von ihm genauso gehalten wie dieser Planet. Ich hatte das nie zuvor in meinem Leben, denn ich komme aus sehr erschütterten Verhältnissen und hatte nie so etwas wie Grundvertrauen. Aber durch diesen späten Prozess, die Auseinandersetzung mit den Psalmen, der biblischen Tradition und ihrer großen Sprache, ist es gewachsen.
Was bedeutet Ihnen Advent?
Kolbe: Advent stiftet menschliche Gemeinschaft. Wir erleben zu dieser Zeit des Jahres bewusster und tiefer, dass wir einander, dass wir zueinander gehören. Göttliches ist anwesend in der Wärme, die wir einander spenden. Und schließlich wird das Kind unter uns Kindern sein und unter unseren Kindern und Kindeskindern.
Lesung mit Uwe Kolbe am Dienstag, 3.12. um 19h im Haus der Begegnung: (K)ein Warten auf Gott: Psalmen eines Zeitgenossen, der herausfand, wem die Anrede immer schon galt. Anmeldung: hdb.kurse@dibk.at
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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