Bischof Hermann Glettler zum 80. Todestag des seligen Pfarrers Otto Neururer
Mutige machen Mut

Bischof Hermann Glettler bei seiner Predigt in der Wallfahrtskirche Götzens. | Foto: Rosenkranz
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  • Bischof Hermann Glettler bei seiner Predigt in der Wallfahrtskirche Götzens.
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Predigt von Bischof Hermann Glettler zum 80. Todestag des seligen Pfarrers Otto Neururer, 30. Mai 2020 in Götzens, Lesung: Apg 28,16-31, Evangelium: Joh 21,20-25

„Otto Neururer wurde am 25. März 1882 in Piller geboren. Nach seiner Priesterweihe im Jahre 1907 wirkte er an verschiedenen Tiroler Orten als Kooperator, durch 14 Jahre als Benefiziat an der Propsteikirche St. Jakob in Innsbruck. Im Jahre 1932 wurde er zum Pfarrer hier in Götzens bestellt. Am 15. Dezember 1938 wurde Otto Neururer verhaftet und zunächst ins KZ Dachau und dann ins KZ Buchenwald gebracht. Unter größter persönlicher Gefahr hat er seinen priesterlichen Dienst auch dort ausgeübt. Als er einem angeblichen Taufbewerber das Sakrament spendete, wurde Neururer in den gefürchteten "Bunker" gesperrt, an den Füßen mit dem Kopf nach unten aufgehängt und so auf grausame Weise zu Tode gequält. Am 30. Mai 1940 wurde sein Tod gemeldet. Wir begehen also heute, am Vorabend zum Pfingstfest 2020, seinen 80. Todestag. Das ist kein Zufall. In Verbundenheit mit dem Seligen Otto Neururer erwarten wir mit neuer Leidenschaft den Geist der Unterscheidung, der Gottesfurcht und der Freiheit.

Geist der Unterscheidung
Bedingt durch die Corona-Maßnahmen begehen wir das Gedenken heute in einfacher Weise, damit vielleicht auch dem Wesen Neururers entsprechender. Er war keine Gestalt der lauten Worte und der großen Gesten, eher zurückhaltend und von kleiner Gestalt, bescheiden. Wenn wir uns selbst groß machen und aufblähen, kann der Geist nicht wirken. Otto Neururer wird viele Nächte durchstanden haben, im Ringen um eine klare Position gegenüber der neuen politischen Heilslehre. Es wird im klar gewesen sein, dass er sich nicht der manipulierten Masse anschließen darf, auch nicht der Kirchenleitung, die verängstigt war und jedes Ungemach mit den neuen Mächtigen vermeiden wollte. Auch wenn wir heute nicht in einer vergleichbaren Bedrängnis sind, braucht es in vielen Fragestellungen ebenso einen Geist der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht. Er wird uns geschenkt, wenn wir trotz der Unsicherheit in vielen Fragen die Sehnsucht nach Klarheit bewahren.
Das entschiedene Auftreten des Pfarrers von Götzens gegen die totalitäre faschistische Ideologie missfiel den Nazis wohl schon lange. Bereits 1932, als er Pfarrer von Götzens wurde, erklärte Otto Neururer: „Es heißt jetzt: Gut ist, was dem deutschen Volk nützt, schlecht ist, was dem deutschen Volk schadet. Damit wird deutsches Blut und deutsche Rasse an die Stelle Gottes gesetzt, der allein die Norm für gut und schlecht gibt und dem allein das zusteht. Damit ist das eine Irrlehre.“ Anlass zur Verhaftung 1938 gab schließlich, dass er einer jungen Frau von der Ehe mit einem aus der Kirche ausgetretenen, wesentlich älteren und geschiedenen SA-Mann abriet und das Sakrament ablehnte. Auch in dieser heiklen Fragestellung traf er eine klare Unterscheidung und gab den entsprechenden Rat. Kompromisslos. Unbeirrt hielt er an der Heiligkeit der christlichen Ehe fest.

Geist der Gottesfurcht
Christlicher Glaube ist ein eindeutiges Ja zum Leben. Es ist Gottes Ja, das uns das Leben ermöglicht hat, mit großer Mühe und Verlässlichkeit begleitet und durchgehalten von vielen Menschen – darunter auch „Heilige von nebenan“. Es ist Gottes Ja, das uns aus aller Verlorenheit, Halbherzigkeit und Lieblosigkeit heraus zu einem neuen Leben befreit hat. Es ist Ja, das uns mit dem pfingstlichen Geist, den wir heute erwarten, neu eingegossen wird. Getragen von diesem mehrfachen Ja gibt es auch die Momente, in denen es notwendig ist, Nein zu sagen. Das Heilige Schrift verbietet uns, der Geringschätzung von Menschen zuzustimmen, die Schwachen und ohnehin schon Gedemütigten nochmals zu beschämen und die Menschen mehr zu fürchten als Gott selbst. Gottesfurcht befreit von Menschenfurcht. Der Geit Gottes bewahrt vor einem verbissenen, trotzigen Dagegen-Sein, auch vor einem Hochmut, der sich ins Nein-Sagen leicht einschleicht. Aus freier Überzeugung hat Otto Neururer Nein gesagt – nicht um der Verneinung, sondern um des gefährdeten Lebens, der Menschenwürde und um des ewigen Heils der Menschen willen. Er war ein mit Gott Verbundener, ein verlässlicher Beter – seine Entscheidung war Frucht des Hörens auf Gott. Er konnte, befreit von falscher Menschenfurcht, Gott gehorsam sein.
Vielleicht wird uns bewusst, welche Bedeutung das „Ich widersage“ unserer Taufe hat, das auch in der Glaubenserneuerung bei der Firmung wiederholt wird. Ich widersage allen feinen Schlichen der Lüge, der Verdrehung von Wahrheit, der Manipulation von Meinungen. Ich widersage auch der Gleichgültigkeit und der Trägheit, auf Unrecht rechtzeitig zu reagieren. Mich fasziniert folgendes Experiment: Ein Frosch wird in zu heißes Wasser geworfen. Mit einem kraftvollen Satz springt das Tier aus dem Gefäß und hat sich damit der Lebensgefahr entzogen. Im Vergleich dazu wird ein Frosch in ein Gefäß mit einem wohltemperierten Wasser gegeben. Er fühlt sich wohl, auch dann noch, als die Temperatur langsam erhöht wurde. Die Wärme des Wassers hat zusehends seine Muskulatur geschwächt, sodass er zu dem Zeitpunkt, als das Wasser bereits unerträglich heiß war, nicht mehr springen konnte. Er war wie gelähmt. Das Bild ist aussagekräftig. Otto Neururer hat sich nicht täuschen lassen. Er ist rechtzeitig gesprungen – ins Out der öffentlich gleichgeschalteten Meinung.

Geist der Freiheit

Das Lebens- und Glaubenszeugnis Otto Neururers, seine innere Größe, seine Freiheit und sein bedingungsloses Vertrauen auf Gott – selbst im größten Martyrium –, lassen uns staunen und richten uns noch nach vielen Jahrzehnten auf. Der Glaube an Gott ist kein Dekor für ein gutes bürgerliches Leben, sondern die entscheidende Grundausrichtung. Als Neururer in Buchenwald einem Mithäftling verbotener Weise die Beichte abnahm, besiegelte er sein Todesurteil. In der Lagerkartei von Buchenwald wurde er als „Prominenter“ geführt, mit der Bemerkung „Kath. Pfarrer, hartnäckiger und hinterlistiger Gegner der NSDAP“. Woher hatte der schmächtige Neururer diese Kraft und Freiheit, sich nicht beugen zu lassen? Wir sind mit dem Vorabend von Pfingsten auf der richtigen Spur. Der Hl. Geist befreit von allen Abhängigkeiten – auch von der Abhängigkeit, das Wohlwollen in der öffentlichen Meinung zu verlieren. Wer Gottes Geist aufnimmt, lebt aus einer anderen Quelle, aus einer anderen Fülle und Sicherheit.
Der Heilige Geist ist Ermöglicher und Garant innerer Freiheit, weil er die Fülle eines Neuen Lebens schenkt, das nicht mehr zerstörbar ist. Er ist das Ewige Leben, das uns jetzt schon geschenkt ist. Heute in der Lesung hörten wir den Abschluss der Apostelgeschichte – wiederum eine Geschichte von einem Gefangenen kurz vor dessen Hinrichtung: Paulus in Rom, ganze zwei Jahre in seiner Mietswohnung. Er, der große Missionar der Völker, beendet seinen gewaltigen Lauf in einem äußerst bescheidenen Ambiente. Es kamen viele Leute zu ihm, Juden, Gottesfürchtige und Heiden. Einige konnte er überzeugen, andere nicht. Mit diesem open end schließt der Text von den ersten Jahrzehnten der Urkirche. Jetzt liegt es an uns, dass wir in größtmöglicher Freiheit Zeugnis geben – ganz egal, wie die Umstände sind, ob einladend oder mühsam. Obwohl wir nicht Verfolgung oder Drangsal zu befürchten haben, braucht es Mut. Mut, um rechtzeitig für jene Partei zu ergreifen, über die man leicht herfällt – oder auch den Mut für ein einfaches Zeugnis des Glaubens.
Mutige machen Mut. Mut entspringt einer inneren Freiheit. Der Selige Pfarrer Otto Neururer ist für uns eine ganz bedeutende pfingstliche Lichtgestalt. An seinem 80. Todestag danken wir Gott für ihn. Er möge uns am Vorabend des Festes, und am Vorabend ganz großer Herausforderungen den Geist der Unterscheidung, der Gottesfurcht und der Freiheit erbitten."

Bischof Hermann Glettler bei seiner Predigt in der Wallfahrtskirche Götzens. | Foto: Rosenkranz
Der Selige Pfarrer Otto Neururer auf einem Archivbild. | Foto: Archiv Diözese Innsbruck
Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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