Interview mit Helmut Schumacher SJ
Mit Gott die Geschichte schreiben
Auch in Zeiten, in denen die Relevanz von Kirche für das Leben vieler junger Menschen abnimmt, suchen sie nach Halt im Glauben und stellen sich die großen Fragen des Lebens. Einer, der sie dabei intensiv begleitet, ist P. Helmut Schumacher SJ, langjähriger Leiter der MK und der Zukunftswerkstatt der Innsbrucker Jesuiten. Bevor er von Innsbruck in Richtung Libanon Abschied nimmt, zieht er ein Resümee seiner Arbeit.
Sie waren sechs Jahre Leiter der MK Innsbruck und haben die Zukunftswerkstatt aufgebaut. Jetzt ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Wie geht es Ihnen dabei?
P. Helmut Schumacher: Es war eine dichte, volle Zeit – es ist ganz viel passiert, ich habe vielen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen begegnen dürfen. Ich staune, wie schnell die sechs Jahre vergangen sind und was alles entstanden ist. Ich werde Innsbruck mit großer Dankbarkeit und viel Staunen im Herzen verlassen – für die Jahre, die ich hier leben durfte und die Möglichkeiten, die der Orden mir gegeben hat, so arbeiten zu dürfen, mit so viel Freiheit und Vertrauen! Natürlich fällt mir der Abschied schwer. Aber ich freue mich auf das Neue, was kommt. Es ist an der Zeit, die Sachen abzugeben.
Sie waren viele Jahre lang in der kirchlichen Jugendarbeit tätig. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen? Was wollen Sie den Jugendlichen mitgeben?
Schumacher: Mir ist wichtig, einen Ort anzubieten, an dem die Jugendlichen einfach sein dürfen. An dem sie soziale Kompetenzen erlernen, Fähigkeiten erweitern, eigene Projekte angehen und Verantwortung für andere übernehmen können. Damit sie einen Blick für andere, für die Gesellschaft als Ganzes entwickeln. Sie sollen hier in der MK und in der Zukunftswerkstatt Orte finden, wo sie in aller Freiheit ihr Leben entdecken, Fragen nach Gott stellen und sich ein Stück weit ausprobieren dürfen.
Wie stehen die Jugendlichen, mit denen sie arbeiten, der Kirche gegenüber?
Schumacher: Da ist es wichtig, zwischen der Zukunftswerkstatt und der MK zu unterscheiden, denn sie sprechen unterschiedliche Zielgruppen an. Bewohner/innen der Zukunftswerkstatt zeichnet eine starke Suche nach ihrem Weg aus, eine große Sehnsucht nach Spiritualität. Es steht oft die Frage nach Gott und nach guten (Lebens-)Entscheidungen im Raum, auch in Bezug auf Berufung. Für viele ist es ein brennendes Thema, wie sie die Spannung aushalten können, mit ihren Werten und Einstellungen in unserer Kirche, wie sie eben ist, zu leben. Viele fragen sich, ob sie die Kirche mit ihrem Bleiben weiter unterstützen wollen oder nicht.
Und wie ist die Situation in der MK?
Schumacher: Die MK ist eher ein säkularer Ort. Aber Fragen nach Gott, nach Spiritualität und nach dem Beten kommen durchaus auf, wenn auch auf andere Weise – auf Fahrten, wenn man gemütlich zusammensitzt, oder am Billardtisch. Fast alle sehen die Kirche sehr kritisch. So wie sie ist, würden sie die Kirche nicht unterstützen wollen. Sie ist für viele eher ein Hindernis, den persönlichen Glauben zu finden. Sie haben Fragen nach dem Glauben, nach gelungenem Leben, nach Gott. Aber sie rechnen eher nicht damit, dass sie in der Kirche Antworten auf diese Fragen finden.
Wie gehen Sie als Ordensmann damit um? Wie geht es Ihnen damit?
Schumacher: Als Jesuit habe ich es bestimmt etwas einfacher (lacht) – Jesuiten sind für viele Jugendliche „irgendwie cool“. Ihre kritische Haltung zur Kirche kann ich ganz gut annehmen, weil ich viele Fragen, die sie an die Kirche haben, teile. Gerade die jungen Erwachsenen in der Zukunftswerkstatt setzen sich sehr intensiv mit Kirche auseinander, sind sehr differenziert.
Was ist Ihr größter Wunsch an die Kirche?
Schumacher: Am wichtigsten ist mir, einen anderen Umgang mit den Machtstrukturen, die überall in der Kirche herrschen, zu finden: anders zu führen, besser aufeinander zu hören. Ich wünsche mir, dass für die vielen Themen, die im synodalen Prozess in Deutschland diskutiert werden, eine größere Offenheit entsteht: in Bezug auf Sexualmoral, Weiheämter für Frauen, die Lebensform von Priestern. Eine gute Antwort auf diese Fragen und Herausforderungen zu finden, gehört für mich mit der Verkündigung der frohen Botschaft zusammen! Man kann diese Fragen nicht wegschieben. Jugendliche werden nur schwer etwas vom Evangelium hören oder kommen und ihre Lebensthemen mit uns teilen wollen, wenn wir nicht glaubwürdig auftreten und uns wichtigen Themen stellen. Es sei denn, sie finden Halt in konservativen Gruppen und können dort ihren Glauben und ihre Werte leben – das ist aber nur ein kleiner Teil. Der Großteil der Jugendlichen sucht etwas anderes. Und das wird in den meisten klassischen Pfarrgemeinden nicht mehr angeboten.
Welche Angebote suchen die jungen Leute denn?
Schumacher: Bei uns suchen sie einen Zugang zum Glauben, der von unserer Spiritualität her stimmig ist: mit dem eigenen konkreten Leben beten zu lernen, z.B. im Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Einen Zugang zur Bibel zu finden – in dem Wissen, dass die Geschichten von damals ganz konkret mit dem eigenen Leben zu tun haben. Wir sagen ihnen zu: Du kannst deine Geschichte mit dem Evangelium und mit Gott schreiben.
Welche Voraussetzungen braucht es dafür?
Schumacher: Dafür sind Räume wichtig, die ansprechend sind und in denen man sich wohlfühlt. Natürlich auch eine stimmige, ansprechende Liturgie. Wenn sie in Entscheidungsprozessen spüren, dass ihnen wirklich geholfen wird oder in Gesprächen spürbar wird, dass sie begleitet werden, die eigene Spur im Leben zu entdecken. Unsere Kurse in der Zukunftswerkstatt sind voll. Man kann daran sehen – junge Leute sind auf der Suche, sie kommen, wenn man ihnen den Raum dafür bietet.
Wie geht es für Sie nach dem Abschied aus Innsbruck weiter?
Schumacher: Für mich steht jetzt das Terziat an, der letzte Ausbildungsabschnitt bei uns Jesuiten. Das ist eine Art Sabbatical, in der man sich Zeit nimmt, auf das eigene Leben und die Ordensbiographie zu schauen und sich intensiv mit unseren Satzungen auseinanderzusetzen. Die „großen“ 30-tägigen Exerzitien und ein Sozialexperiment gehören auch dazu. Wir kommen als Gruppe aus der ganzen Welt im Libanon zusammen. Jeder bringt seine Geschichte mit.
Wo werden Sie diese Zeit verbringen?
Schumacher: Das Terziat selbst dauert acht Monate, ich werde es im Libanon, in der Nähe von Beirut, verbringen. Das wird nächstes Jahr im September sein. Davor breche ich erst einmal für ein halbes Jahr in die USA auf. Ich werde in New York an einem Projekt mitarbeiten, Exerzitien in einem Gefängnis zu geben und Haftentlassene zurück in den Arbeitsalltag zu begleiten. Anschließend geht es weiter nach Uganda, wo ich mit Geflüchteten arbeiten werde.Das klingt nach einer sehr aufregenden, aber auch sehr dichten Zeit.
Was gibt Ihnen Kraft dafür?
Schumacher: Ich mache meine Arbeit sehr gern und ziehe viel Energie, Kraft und Halt daraus. Wenn ich erlebe, dass durch unsere Arbeit Menschen wachsen und Halt finden, gibt mir das Kraft. Es ist auch wunderschön, so vielen tollen Menschen zu begegnen, gerade auch den Kindern und Jugendlichen, und ihr Leben ein Stück weit zu teilen. Auch in der Natur zu sein und mit Freunden etwas zu unternehmen, gibt mir Kraft. Und natürlich lebe ich aus dem Halt, den mir das Gebet und die Spiritualität geben: Der Glaube daran, dass unser Leben von Grund auf getragen ist.
P. Helmut Schumacher stammt aus Norddeutschland und war Prieser in der Diözese Osnabrück, bevor er 2014 in den Jesuitenorden eintrat. Seit 2016 lebt er in Innsbruck, wo er das mk-Jugendzentrum leitete, die Zukunftswerkstatt aufbaute und über ignatianische Spiritualität promovierte.
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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