Melanie Wolfers im Interview
Mehr ins Leben finden

„Ich bin neugierig auf das Leben!“ Melanie Wolfers geht den Dingen gern auf den Grund. 
 | Foto: Ulrik Hölzel
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Die Philosophin und Salvatorianerin Melanie Wolfers schreibt einen Bestseller nach dem anderen. Ihre Motivation: Den Schatz des Glaubens in der Mitte der Gesellschaft wachhalten.

Ihr neuestes Buch widmet sich der Ohnmacht – ein Gefühl, das aktuell viele kennen. Wie kamen Sie auf das Thema?
Melanie Wolfers: Als Russland in die Ukraine einmarschierte, wachte die Welt mit Angst und Ohnmacht auf. Spontan habe ich dem Thema eine Folge meines Podcasts „Ganz schön mutig“ gewidmet: Das Fazit war: „Die Ohnmacht gehört zu uns, aber wir gehören nicht der Ohnmacht“. Diese Podcastfolge stieß auf ungeheure Resonanz. Das war dann für mich der konkrete Anlass, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen.

Kennen Sie das Gefühl der Ohnmacht auch persönlich?
Wolfers:
Während ich schon an dem Buch schrieb, erkrankte ich an Long Covid, ein Jahr lang war ich sehr eingeschränkt. Von jetzt auf gleich zu merken, wie fragil der Körper ist, wie so vieles, was selbstverständlich ist, nicht mehr möglich ist – Treppen steigen, konzentriert arbeiten – war schon eine Erfahrung von Ohnmacht.

Wie geht das konkret – nicht der Ohnmacht anheimzufallen?
Wolfers:
Es ist wichtig, sich der Ohnmacht zuzuwenden, die zur Realität unseres Lebens gehört, sich aber nicht von ihr lähmen zu lassen, auch wenn sich die gesellschaftlichen und globalen Krisen noch so umfassend anfühlen. Sondern sich zu fragen: Welche Kräfte schlummern in uns? Deshalb lautet der Untertitel meines Buches auch: Entdecke die Kraft, die in dir wohnt.

Was genau bedeutet es, sich der Ohnmacht zuzuwenden?
Wolfers:
Sich ohnmächtig zu fühlen, heißt noch lange nicht, auch tatsächlich ohnmächtig zu sein! Gefühle sind wichtig, aber können die Wahrnehmung sehr verzerren. Da ist es gut, dem eigenen Erleben eine gewisse Skepsis entgegenzubringen und sich zu sagen: „Glaub nicht alles, was du fühlst! Mach nochmal einen Realitätscheck.“ So kann man den Tunnelblick in der Krise vermeiden. Und stattdessen gerade in der Krise Hoffnung spüren, die „Kraft des Trotzdem“.

Wie soll man angesichts der Klimakrise zuversichtlich sein?
Wolfers
: Wir müssen nüchtern feststellen, dass wir schon mittendrin stecken in der Klimakatastrophe. Wir können sie nicht aufhalten, aber begrenzen. Ein Blick in die Geschichte hilft: Es kam oft dann zu gesellschaftlichen Umschwüngen, wenn viele Menschen gemeinsam viele kleine Schritte gegangen sind und so gemeinsam etwas erreicht haben. Die Sozialwissenschaft spricht von „sozialen Kipp-Punkten“. Wenn ca. 25% der Bevölkerung inhaltlich von einer Sache überzeugt sind und ca. 4% sich dafür engagieren, kann sich das gesellschaftliche Klima sprunghaft ändern. Das Frauenwahlrecht war z.B. unvorstellbar, heute ist es selbstverständlich. Ähnlich war es mit der Aufhebung der Rassentrennungsgesetze in den USA. Die Kraft des Wir ist ungemein groß. Mit ihr können wir der Ohnmacht entgegenhalten. Denn Ohnmacht ist gefährlich, weil aus ihr leicht Aggression, Leugnen oder eine Haltung nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ entstehen können.

Woher nehmen sie diese Zuversicht?
Wolfers:
Als Salvatorianerin bewegt mich die therapeutische Dimension des Glaubens. Glaube setzt für mich nicht erst dort an, wo ich anfange, von Gott zu sprechen. Gott ist ja Mensch geworden! Das bedeutet: Dort, wo das Leben von Menschen heiler wird, wo Menschen mehr ins Leben finden, einander helfen, dort ist Gottes Gnade spürbar. Und dort, wo Menschen sich gemeinsam für eine enkeltaugliche Welt einsetzen, da ereignet sich Gottes neue Welt, da ist sein Geist gegenwärtig.

Sie sind Ordensfrau und Bestseller-Autorin, Ihren Namen liest man häufig in populären Zeitschriften, Sie schreiben Bücher, treten in Fernsehen und Radio auf. Warum tun Sie das?
Wolfers:
Es ist zutiefst mein Anliegen, so säkular unterwegs zu sein. Der Glaube ist so ein großer Schatz! Ich frage mich: Wie können wir diesen Reichtum vermitteln an sinnsuchende Menschen, die keinen Bezug zum Glauben haben oder der Kirche ablehnend gegenüberstehen? In meinen Büchern und in meinem Podcast beschäftige ich mich mit Facetten des Lebens, z.B. Mut, Scham und Zuversicht. Und mache ein Angebot, all das im Horizont des christlichen Glaubens zu deuten. Das empfinden auch viele Gläubige als sehr erfrischend.

Ist es in diesen Medien Thema, dass Sie Ordensfrau sind?
Wolfers
: Ja, ich werde immer darauf angesprochen. Die Leute sind neugierig, wollen wissen, warum ich mich dafür entschieden habe.

Sind Sie stolz auf sich?
Wolfers:
Ich bin sehr dankbar und erlebe mich als sehr beschenkt. Angefangen bei meinem Elternhaus, der guten Ausbildung. Ich habe eine gute Intuition für Themen. Und ich bin neugierig auf das Leben. Im Leben gibt es nichts Wichtigeres als das Leben selbst! Daher gehe ich den Dingen gern auf den Grund. Bücherschreiben ist auch viel harte Arbeit. Dass ein Buch ein Bestseller wird, ist ein Geschenk für mich!

Was sagen Ihre Mitschwestern zu Ihrem Erfolg?
Wolfers:
Viele freuen sich, weil ich etwas lebe, was die Mite unserer Spirtualität ausmacht: die Frage nach Gott in der Mitte der Gesellschaft wachzuhalten. Unser Ordensgründer hat gesagt: „Verkündet Gott von den Kanzeln der Welt“! Für ihn war es das Wirtshaus, heute würde er vielleicht sagen: Macht einen Podcast, geht ins Internet, schreibt Bücher…

Woraus schöpfen Sie Kraft?
Wolfers:
In Tirol habe ich die Liebe zum Bergsteigen entdeckt, das ist eine große Kraftquelle für mich. Wenn ich in Stille gehe, weitet sich mein Blick, vieles ordnet sich neu.

Wenn Sie nur einen Satz hätten, um den Kern des Christentums zusammenzufassen, wie würde er lauten?
Wolfers:
Vertrau dem Leben, weil Gott es mit dir lebt!

13. bis 16. März 2024: Tournee mit Melanie Wolfers in Tirol. 
Alle Infos und Termine hier: 
https://www.bildung-tirol.at/neues/1024-termine-melanie-wolfers

Zum Weiterlesen:
Melanie Wolfers: Nimm der Ohnmacht ihre Macht. bene! Verlag 2023, 208 Seiten, € 20,40
Zum Weiterhören:
Podcast „ganz.schön.mutig“ auf melaniewolfers.at

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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