Der geistliche Weg von Pierre Stutz
Kämpfen und Tanzen

„Unheilbar religiös“: Pierre Stutz erzählt von seinem Weg zur Lebendigkeit.    | Foto: Stefan Weigand
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  • „Unheilbar religiös“: Pierre Stutz erzählt von seinem Weg zur Lebendigkeit.
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Der geistliche Weg von Bestseller-Autor Pierre Stutz ist ein Weg zur Lebendigkeit. Eine Skizze seines Lebens und Glaubens in spirituellen Miniaturen, aufgezeichnet bei seinem Vortrag im Haus der Begegnung.

Der Versöhnte Blick zurück
Am Tag meiner Geburt wurde mein Vater Bürgermeister. „Das Dorf, das Dorf, das Dorf“ – das war die Priorität bei uns, „es darf nichts hinaus.“ Vorzeigefamilie zu sein, war traumatisierend. Und doch: Ich habe Mitgefühl, Empathie, öffentliches Sprechen von meinen Eltern gelernt. Selbstfürsorge nicht, die kannten sie ja selbst nicht. Aber ich schaue nicht nur auf das Defizitäre, sondern auch auf das Gute, das ich ihnen verdanke.

Kino
Das Internat war zunächst ein Horror für mich: 18 Stunden Französisch in der Woche! Mein Religionslehrer, ein Ordensmann im Habit, ging mit uns im Unterricht ins Kino. Eine neue Welt tat sich auf! Französisch wurde meine Glückssprache. Bis heute liebe ich Kino. Vieles, auch Filme, ist zutiefst religiös, auch wenn von Gott nie die Rede ist. Überall gibt es Tieferes.

Atmen und Segnen
Jahrelang habe ich gebetet: „Atme in mir, Heiliger Geist!“, spürte aber nicht, dass es mit mir zu tun hat. Ich atmete nur in die Brust. Anderen konnte ich sagen: „Du bist gesegnet vor allem Tun!“, mir selbst aber nicht. Ich habe mich immer nur nach Anerkennung von anderen gesehnt, sie mir aber selbst nicht gegeben. So wird man zu einem Fass ohne Boden, das weder Anerkennung noch Segen annehmen kann. Die Mystiker:innen aller Zeiten sagen uns: „Gott kann deine Probleme nicht lösen, wenn du dich nicht selbst annimmst!“ Darin bleibe ich ein Leben lang Übender, aber im aufrechten Gang!

Chicorée
Ich brauche für meine Spiritualität bodenständige Anker. Im offenen Kloster, das ich gegründet habe, lernte ich, wie Chicorée wächst: Die Wurzel kommt ins stockdunkle Nass. Dann heißt es warten. Für mich als Subito-Typ ein Horror! Denn am schwierigsten ist es, wenn das Alte nicht mehr trägt und das Neue noch nicht in Sicht ist. Chicorée ist mir Seelennahrung, er lehrt mich: Wir können am Schweren wachsen und reifen. Aber wir können auch daran zerbrechen. Das ist mein Lebensthema.

Das Paradoxe leben
Es gibt im Leben keine Garantie, nicht ins Dunkel zu kommen. Es gibt keine Dauer-Erleuchtung, kein Immer-Glücklich-Sein! Je näher wir am Licht sind, desto mehr werden wir das Dunkle wahrnehmen, lehrt uns Johannes vom Kreuz. Dorothee Sölle beschreibt sich als „grenzenlos glücklich, absolut furchtlos und immer in Schwierigkeiten.“ Ich bin wunderbar erfüllt und total erschöpft. Verwundet und aufgehoben.

Der zärtliche Gott
Ich glaube fest daran, dass wir alle „unheilbar religiös“ sind. Wenn Menschen von einer „höheren Macht“ sprechen, wird mir nicht warm ums Herz. Meine Sehnsucht kann nur ein persönlicher Gott stillen. Aber wie sind unsere Bilder von Gott? Darüber sollten wir reden. Ich bete seit Jahren: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Zärtlichkeit.“ Sprache hat so viel Macht, sie prägt unser Bewusstsein.

Kämpfen und tanzen
Viele Menschen in der Kirche haben noch immer Angst, zu sich zu stehen. Ich kämpfe für eine Kirche ohne Angst, ohne Schwarz-Weiß-Denken, auch wenn ich die Früchte meines Engagements wohl nicht mehr ernten werde. Ich möchte nicht in Feindbildern stecken bleiben, aber doch in Gelassenheit kämpferisch sein! Das gilt auch für unsere politische Situation: Von den Syrer:innen habe ich gelernt, trotz des Krieges zu tanzen. Je wilder es um uns herum wird, desto mehr müssen wir das Leben feiern! Das ist für mich Mystik.

Zum Weiterlesen:Pierre Stutz: Wie ich der wurde, den ich mag. bene Verlag 2023, 192 Seiten, 23,50 €.

„Unheilbar religiös“: Pierre Stutz erzählt von seinem Weg zur Lebendigkeit.    | Foto: Stefan Weigand
Das neue Buch von Pierre Stutz zeichnet seinen geistlichen Weg nach.  | Foto: Bene Verlag
Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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