Judas Iskariot in neuem Licht
„Judas wollte den Tod seines Meisters sicher auch nicht“
Welche Rolle spielt Judas in der Dramaturgie der Kar- und Ostertage? Der Jesuit Christoph Wrembek hat sich damit intensiv auseinandergesetzt und stellt den Apostel Judas Iskariot in ein neues Licht.
Die Fragen stellte Gerald Heschl
Sie beschäftigen sich in Ihren jüngsten Publikationen mit Maria Magdalena und Judas. Eine Sünderin, die von Jesus bekehrt wurde, und ein Apostel, der Jesus verkauft und verraten hat. Was fasziniert Sie an diesen Persönlichkeiten?
P. Christoph Wrembek: Erstmals zu Judas: Den Begriff „Verrat“ müssen Sie streichen. Die neue Bibelübersetzung hat endlich etwas gemacht, das längst fällig war. Das griechische Wort, das in der Bibel steht, bedeutet nicht „verraten“, sondern ausliefern, übergeben. Was Judas getan hat, war einfach ein Identifizieren. Es war Nacht, Jesus und die Jünger trugen Kapuzenmäntel, und niemand konnte sie erkennen. Judas sagte nun den Wächtern, wen sie verhaften sollten. Das war also eine Identifikation und kein Verrat.
Aber warum tat er das?
Wrembek: Zunächst war er wie alle anderen elf Apostel überzeugt davon, dass Jesus der Messias ist, den Moses vorhergesagt hatte. Nur meinte Judas, dieser Messias solle seine Macht endlich zeigen. Judas wollte ihn zwingen, seine Macht zu demonstrieren und das neue Reich für Israel endlich aufzubauen. Als die Soldaten zunächst alle umfielen, zeigte Jesus diese Macht. Doch dann erkannte Judas, dass sich Jesus nicht gegen die Gefangennahme und alles weitere wehrte. Vielleicht war Judas in diesem Moment der erste Apostel, der verstand, was Jesus wirklich wollte. Er war sicher nicht der einzige, der wünschte, dass Jesus endlich seine ganze Macht zeigt. Alle wollten im neuen Reich des Messias ihre Plätze haben.
In den Evangelien wird die Szene mit dem Kuss des Verrates bzw. der Identifikation durchaus verschieden dargestellt …
P. Wrembek: Nehmen Sie das Johannes-Evangelium. Dort wird dieser Kuss gar nicht geschildert. Da tritt Jesus selbst vor und fragt: Wen sucht ihr? Bei Johannes ist Judas gar nicht beteiligt. Ich meine, hier muss unsere kirchliche Verkündigung noch einiges umdenken. Wenn man nun fragt: Wer trägt die Schuld am Tod Jesu, lautet die Antwort: nur Jesus selbst. Wie er gelebt und gewirkt hat, machte er sich mehrfach der Gotteslästerung schuldig und musste daher nach der jüdischen Thora gesteinigt werden.
Von den Jüngern wollte aber keiner den Tod seines Meisters – Judas ganz sicher auch nicht.
Über Maria Magdalena, die große Frau im Kreise der Apostel, schrieben Sie ein umfassendes Buch, das sogar die Grundlage für einen Spielfilm war. Derzeit ist ein dreiteiliger Roman in Arbeit. Woher kommt die Begeisterung für „Die sogenannte Magdalenerin“, wie Sie Ihr Buch bezeichnen?
P. Wrembek: Ich glaube, ich bin der Erste, der nachweist, dass diese Frau die Schwester der Magda und des Lazarus aus Bethanien ist. Sie kam erst später nach Magdala am See Genezareth. Sie ist eine höchst interessante Frau. Sie war nicht verheiratet, aber offensichtlich sehr reich und führte Handel mit weiten Teilen der damaligen Welt. Lukas schreibt, sie sei von sieben Dämonen befreit worden. Die Zahl steht einfach für „viele“ und die Dämonen sind keine Teufel, sondern übersetzt kann man sagen: Abhängigkeiten und Süchte.
Wie beurteilen Sie die Beziehung zwischen Jesus und dieser Frau?
P. Wrembek: Diese Frau wollte aus ihrem bisherigen Milieu hinaus. Aber sie wurde von allen, bei denen sie Hilfe suchte, immer nur missbraucht. Bei Jesus merkte Maria Magdalena, dass er sie nicht gebraucht, sondern ihr als einziger wirklich hilft. Sie hat zu seinen Füßen den ganzen Schmutz und das Elend ihres Lebens ausgeheult. Er hat sich nicht zurückgezogen, sondern hat sie angenommen. So ist sie ein neuer Mensch geworden. Sie sammelte einen Kreis von Frauen, die Jesus und den Jüngern gedient haben.
Jesus hat sie also angenommen, wie sie war ...
P. Wrembek: Ja. Ihr wurden ihre vielen Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Gott sieht im Leben dieses Menschen Liebe. Das ist die Rettung durch Gott. Er sucht im Gericht nach der Liebe im Leben jedes Menschen. Und wenn er nur einen winzigsten Fussel davon findet, dann reicht ihm das. Das ist die Frohe Botschaft.
Maria Magdalena gilt etwa in der Kunst als „die Sünderin“ schlechthin. Warum tun wir uns heute mit dem Begriff der Sünde so schwer?
P. Wrembek: Die Beichtstühle sind heute meistens leer und ich habe schon erlebt, dass sie als Abstellkammer benutzt werden. Das bedeutet für mich, dass vielfach die persönliche Beziehung zu Jesus Christus verlorengegangen ist. Da macht es keinen Sinn mehr, von Sünde zu sprechen. Obwohl der Begriff Sünde heute durchaus vorkommt. Man spricht von Verkehrssündern, die bestraft werden. Auch beim Begriff Umweltsünder weiß jeder, was das ist. Der Begriff Sünde kommt in der Gesellschaft vor, aber nicht mehr im kirchlichen Kontext.
Ist es nicht noch schwieriger mit der Erbsünde, die Sie in Ihrem Buch „Adams rettende Vertreibung“ zum Thema machen?
P. Wrembek: Der Begriff „Erbsünde“ ist ein typisch deutscher Begriff. Im Grunde ist er unsinnig. In den anderen Sprachen gibt es dieses „Erb“ nicht, denn es führt zu völlig falschen Assoziationen. Im Buch Genesis wird der Begriff Sünde überhaupt nicht erwähnt. Meines Erachtens geht es um etwas viel Fundamentaleres: Der Mensch stellt fest: „Ich kann nicht alles, habe nicht alles und bin nicht alles.“ Aber Gott kann, hat und ist alles. Da wächst Misstrauen. Dieses wird bildhaft dargestellt in der Schlange.
Dann gibt es einen großen Bogen zum Neuen Testament: Weil Gott Mensch geworden ist und auf den Wegen der Menschen geht, wächst das Vertrauen. Der unendliche Abstand zwischen Gott und Geschöpf ist aufgehoben. Der Mensch kann seinem Gott wieder vertrauen. Das ist die große Heilsgeschichte der Heiligen Schrift.
Christoph Wrembek. (K)eine Chance für Judas? Wie barmherzig wir Gott denken dürfen. Verlag Neue Stadt. 64 Seiten. € 8.50
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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