Alle schlafen, die Herz-Jesu-Schwestern wachen
Durchbetete Nacht
Wenn die Welt zur Ruhe kommt, bleiben die Haller Herz-Jesu-Schwestern wach: für die Nachtanbetung in den Anliegen, die ihnen die Menschen anvertrauen.
Die Nacht kommt ganz langsam. Anfangs sind die Kirchenbänke und die goldenen Details des Hochaltars noch in sanftes Sonnenlicht getaucht. Mit der Zeit ist es, als würde jemand das Licht behutsam dimmen, nach und nach weicht es aus dem majestätischen Kirchenraum. Die Stadt außen kommt allmählich zur Ruhe. „Es dauert, bis es wirklich ruhig wird“, erzählt Sr. Maria-Theresia. „Zwischen ein und vier Uhr nachts ist die Atmosphäre ganz besonders. Da hört man wirklich keine Autos mehr.“ Und doch wird die Stille immer wieder vom Martinshorn durchschnitten, oder man hört Schreie. „Dann geschieht irgendwo ein Leid. Ich nehme es gleich mit ins Gebet hinein.“
Es tut gut, bei ihm zu sein
Die „Töchter des Herzens Jesu“ im Haller Damenstift haben sich der Anbetung des Allerheiligsten verschrieben. Tagsüber wechseln sich die sieben weiß gewandeten Schwestern jede halbe Stunde ab. Und immer wieder, insbesondere in der Nacht auf den Herz-Jesu-Freitag, beten sie, unterstützt von Laien, die ganze Nacht hindurch. Für die bodenständige Oberin Sr. Maria-Theresia keine mystische Bußübung, sondern eine Selbstverständlichkeit: „Den Herrgott lässt man nicht allein. Ich gehe zu ihm, weil ich ihn liebe. Es tut gut, Zeit in seiner Gegenwart zu verbringen. Wir tragen stellvertretend die Anliegen der Menschen zu ihm.“ Ihre offene Art lässt das enge Gitter vergessen, das sie im Sprechzimmer von mir trennt. „Als ich das Gitter zum ersten Mal gesehen habe, habe ich zu Gott gesagt: ‚Ich geh‘ für dich überall hin, auch nach Afrika, aber nicht hinter Gitter!“ Gott hatte offensichtlich andere Pläne, „er hat mich beim Schopf gepackt“, meint sie. So trat die patente Erzieherin, die ihre Arbeit im Kinderheim liebte, in genau dieses Kloster ein – und ihre Herzlichkeit straft alle Kloster-Klischees Lügen.
Zwischen Opfer und Eifer
Wie geht es ihr nachts, allein in der dunklen Kirche? Fürchtet sie sich nicht manchmal? „Natürlich!“, meint Sr. Maria-Theresia lachend. „So eine dunkle Kirche mitten in der Nacht ist schon speziell. Aber ich fühle mich geborgen.“ Manchmal werde sie auch schläfrig, „dann steh‘ ich halt ein bisschen auf. Aber meistens bin ich ganz frisch.“ Jede Schwester kann sich ihre Gebetszeit selbst gestalten: leise oder laut, frei oder Rosenkranz beten, manche singen. „Nachts allein zu singen, ist aber nicht meins“, so Sr. Maria-Theresia schmunzelnd. Mitten in der Nacht aufzustehen, sei eine Überwindung – und hin und wieder verschlafen auch Ordensschwestern: „Da hat eine dann vier statt zwei Stunden gebetet, weil die Ablösung nicht kam...“. Die Oberin achtet darauf, dass die Schwestern sich nicht übernehmen: „Man muss den eigenen frommen Eifer realistisch leben. Den nächsten Tag soll man auch überstehen.“
Aus ihren Worten spricht die mütterliche Weisheit von 25 Jahren intensivem geistlichen Leben. „Was wir wirklich brauchen, ist nicht viel: Seine Liebe, meine Liebe, dann ist Ruhe und Frieden im Herzen“, sagt sie, und sieht glücklich aus dabei.
Gott schläft nicht
Wenn es Nacht wird in Tirol, brennt in der Herz-Jesu-Basilika in Hall noch Licht. In dieser Nacht werden Kinder geboren, es wird vielleicht auch ein Mensch sterben, Verbrechen werden geschehen. In Fabriken wird gearbeitet, Eltern stehen auf, um ihre Kinder zu trösten. Dass für sie alle in dieser Nacht gebetet wird, ist ein starkes Zeichen: Ein Zeichen, dass Gott auch in der tiefsten Dunkelheit nicht schläft.
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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