Edith Stein, spirituelle Wegbegleiterin
Den großen Fragen auf der Spur
Edith Stein war Philosophin, Lehrerin, Gottsuchende – und Karmelitin. Die Karmelitinnen in Innsbruck-Mühlau leben nach der Ordensregel, nach der auch Edith Stein gelebt hat. Priorin Sr. Marianna Lauber erzählt, was Edith Stein ihnen bedeutet – und welche Impulse sie uns heute geben kann.
„Für meine heilige Mitschwester nehme ich mir gern Zeit!“, haben Sie geantwortet, als ich Sie um einen Gesprächstermin gebeten habe, das hat mir gut gefallen. Was bedeutet Ihnen Edith Stein?
Sr. Marianna: Es ist ein sehr großes Geschenk, eine solche „heilige Mitschwester“ zu haben, die uns zeitlich noch so nah ist, deren Sprache die unsere ist. Edith Stein ist als Zeugin ganz groß für uns. Weil sie mitten in ihrem segensreichen pädagogischen Wirken gespürt hat, dass sie zu etwas Tieferem berufen ist, um anders für die Menschen da zu sein. Auch, dass sie ihren Glauben so einfach ausdrücken konnte, obwohl sie so gelehrt war, beeindruckt mich – überhaupt ihre ganze tiefe Menschlichkeit. Von Kindheit auf war ihr bewusst, dass es wichtiger sei, gut zu sein als klug.
Und das, obwohl ihr Bild als Gelehrte, als Wissenschaftlerin so präsent ist?
Sr. Marianna: Sie hat den Glauben durch ihre intensive, ja leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit gefunden. Darin ist sie Zeugin dafür, dass unser Glaube durchaus auf intellektueller Ebene gefunden werden kann und dem nicht widerspricht. Das ist ein sehr wichtiges Zeugnis für unsere Zeit, in der es manchmal scheint, als sei der Glaube etwas für jene, die nicht ganz in der Wirklichkeit stehen oder wissenschaftliche Erkenntnisse nicht akzeptieren. Und noch etwas bedeutet mir sehr viel: Begegnungen mit Freunden und Zeugnisse anderer waren ausschlaggebend dafür, dass sie zum Glauben gefunden hat. Sie selbst hat auch durch ihr Zeugnis gewirkt. Sie hat den anderen die Wahrheit nicht aufzudrängen versucht, sondern hat immer großen Respekt vor deren Überzeugungen gehabt.
Edith Stein wählte den Ordensnamen „Teresia Benedicta a cruce“ – die vom Kreuz Gesegnete. Wie kam es zu dieser engen Beziehung zum Kreuz?
Sr. Marianna: Als der Mann ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius im Krieg gefallen ist, hatte Edith Stein damit gerechnet, einer gebrochenen Frau zu begegnen. Stattdessen erlebte sie, welche Kraft, welche Hoffnung ihre Freundin aus dem Kreuz schöpfte. Das war ein ganz starker Anstoß für Edith Stein, sich dem christlichen Glauben zu öffnen. Am Ende ihres Lebens ist sie dann auch in dieser Gewissheit, mit dem Kreuz Jesu verbunden zu sein, den Weg nach Auschwitz gegangen. Dadurch konnte sie für die Mit-Deportierten so viel Trost, Kraft und Ruhe ausstrahlen.
Heute tun sich viele schwer mit dem Kreuz. Was kann sie uns über das Kreuz sagen?
Sr. Marianna: Wir alle erleben das Leid, es gehört zu unserem Gebrochensein als Menschen. Aber im Kreuz wissen wir, dass Gott selbst gelitten hat und wir im Leid nicht allein, sondern ganz tief verstanden sind. Und wir wissen: Das Kreuz ist nicht das Ende. Gott hat in der Auferstehung etwas Großes aus dem Leiden gewirkt. Aber es gibt den Auferstanden nicht ohne den Leidenden. Es gibt ihn nicht ohne die Wundmale. Niemand kann das Leiden aus der Welt schaffen, wie es vielfach versprochen wird. Aber das Leiden kann in diesem Glauben einen Sinn erhalten.
Das ist ein sehr ernstes Thema, Edith Stein wirkt auf den Fotos auch sehr ernst...
Sr. Marianna: Ja, sicher war sie eine ernsthafte Frau. Aber aus ihren Schriften strahlt eine große Menschlichkeit, sie war als Lehrerin sehr beliebt, muss eine starke Ausstrahlung gehabt haben. Sie hat gesagt: „Kreuzesliebe steht zu froher Gotteskindschaft keineswegs im Gegensatz.“ Das ist wichtig. Es gibt auch eine falsche Kreuzesliebe, die depressiv macht. Wir dürfen Kreuz und Leiden nicht absolut setzen. Vielmehr bekommt das Kreuz durch die Verbundenheit mit Jesus einen Wert. In dieser tiefen Verbundenheit – sogar im Leiden – können wir eine innige Freude spüren. Jeder Mensch braucht Freude, Gott schenkt sie tiefer, als sie sonst jemand schenken kann. Denn nur er kann schenken, wonach wir uns im Tiefsten sehnen. Das hat Edith Stein existenziell erfahren und wunderbar ausdrücken können.
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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