Interview mit Br. Andreas Knapp
An der Schwelle zu Gott
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- Br. Andreas Knapp: Seelsorger, Dichter, Gottsucher.
- Foto: Gebauer
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Der bekannte geistliche Autor Br. Andreas Knapp lebt in Leipzig als Christ in einer säkularisierten Umgebung. Ein Gespräch über Fließbandarbeit, Gottsuche und warum er trotz allem Hoffnung für diese Welt hat.
Sie leben als „Kleiner Bruder vom Evangelium“ auf den Spuren von Charles de Foucauld in Leipzig in einem Plattenbauviertel. Wie kam es zu der Gemeinschaft in Leipzig?
Br. Andreas Knapp: Unsere Gemeinschaft hat sich vor genau 20 Jahren entschieden, nach Leipzig zu gehen, weil wir wussten, dass hier die Religionszugehörigkeit sehr gering ist: 85 Prozent der Menschen gehören keiner Religion an, 10 Prozent sind evangelisch, 4 Prozent katholisch. Leipzig ist eine der am stärksten säkularisierten Städte weltweit. Religion spielt wenn nur eine kulturelle Rolle – im Stadtzentrum gibt es die Nikolaikirche, das Grab von Johann Sebastian Bach, den Thomanerchor.
Wie ist es, dort zu wohnen?
Knapp: Wir wohnen als Gemeinschaft von drei Brüdern mittendrin in Leipzig-Grünau, im 6. Stock eines Plattenbaus in einer Wohnung. Es ist sehr anonym hier, z.B. bei Begegnungen im Treppenhaus – zu vielen Nachbarn haben wir auch nach Jahren, die wir hier wohnen, keinen Kontakt. In unserer Wohnung haben wir eine Kapelle, verbringen viel Zeit mit Gebet und Meditation, beten gemeinsam das Morgen- und Abendlob und feiern Eucharistie oder Wortgottesdienst. Wir sind eine kleine betende Gemeinschaft, eine christliche Zelle in einem Hochhaus, in dem wohl sonst keiner mehr getauft ist.
Und wovon leben Sie?
Knapp: Wir sind berufstätig, ich habe z.B. viele Jahre am Fließband gearbeitet und ehrenamtlich in der Gefängnisseelsorge. Vor kurzem bin in Pension gegangen und habe jetzt mehr Zeit für die Flüchtlingsarbeit. Wir haben eine große Sehnsucht, einfach zu leben und brauchen nicht viel. Wir bekommen auch viel geschenkt, haben kein Auto, kaufen Secondhand, leihen uns Dinge aus. Unsere Gemeinschaft hat von Anfang auch an eine große Nähe zur ökologischen Bewegung. Und es ist uns wichtig, einen solidarischen Lebensstil zu pflegen, zu teilen, Menschen einzuladen. Jeden Donnerstag ist z.B. offener Abend mit Bibelteilen und anschließendem Essen.
Wie ging es Ihnen als Fließbandarbeiter – wurden Sie auf Ihren christlichen Hintergrund angesprochen?
Knapp: Ja, ich wurde viel darauf angesprochen, man kam schnell ins Gespräch. Ich war mitten unter Menschen, die mit dem Christentum oft seit Generationen nichts mehr zu tun haben. Für mich waren diese Gespräche sehr kostbar, denn sie unterbrechen das, was in mir religiös Sozialisiertem selbstverständlich abläuft. Ich muss selbst noch einmal nachdenken – über das Wertvolle am eigenen Glauben ebenso wie über das Fragwürdige, auf das mich die Fragen nicht-religiöser Menschen aufmerksam machen. Das kann den eigenen Glauben, das scheinbar Vertraute und Selbstverständliche, sehr vertiefen und bereichern.
Was macht diesen Glauben aus? Kurz gefragt: Warum sind Sie Christ?
Knapp: Ich bin Christ wegen Jesus von Nazareth. Als Jugendlicher bin ich mit dem Evangelium in Berührung gekommen, es wurde mir so lebendig, was Jesus geteilt und weitergegeben hat. Das ist ein großer Schatz. Ich möchte in Freundschaft mit ihm leben. Deshalb bin ich Christ. Nicht wegen einer Institution. Ich wünsche mir, mit ihm immer vertrauter zu werden, mein Leben von seinem her immer mehr zu verstehen und das, was ich verstanden habe, mit anderen zu teilen.
Und wenn Menschen Sie nach Gott fragen, was antworten Sie? An was für einen Gott glauben Sie?
Knapp: Im Blick auf mein Leben, auf unsere Welt, auf den Kosmos ahne ich, dass eine größere, gütige Macht hinter allem steht, die wir nicht direkt wahrnehmen können. Aber ihre Spuren – die Spuren des Guten, des Ehrlichen, der Liebe – können wir wahrnehmen. Allein, dass es das Wunder der Liebe gibt, ist doch ein Hinweis, dass es etwas Größeres gibt. Und das nenne ich Gott, solange ich kein besseres Wort dafür habe. Dieses göttliche Geheimnis ist für uns Christen konkret erfahrbar und spürbar geworden in Jesus von Nazareth. In ihm hat sich Gottes Gesicht gezeigt: Er gibt den Kleinen ihren Platz, durch Zuwendung und Treue macht er das Leben eines jeden Menschen wertvoll und selbst mit dem Tod kann das Gute nicht zerstört werden.
„An der Schwelle zu Gott...“ heißt einer Ihrer Gedichtbände. Was bedeutet dieses „an der Schwelle stehen“ für Ihren Glauben?
Knapp: Wir bleiben immer Suchende und Tastende, im Staunen und im Erschrecken über unser Leben und die Welt. Wir fragen: Gibt es jemanden, dem sich diese Welt verdankt? Gibt es ein Ohr, das uns hört in Freude und Schmerz? Oder verhallt es in einem tauben und stummen Weltall? Ja, Glauben heißt, an der Schwelle zu stehen, suchen und tasten; aber mir kommt in der Gestalt Jesu auch jemand entgegen: Es ist nicht die Schwelle zum Abgrund, an der ich stehe. In Jesus von Nazareth hat sich Gott uns zugewandt, ist ansprechbar geworden. Er sagt uns zu: Jedes menschliche Wesen hat Bedeutung, niemand soll ausgeschlossen werden, Gott hat für alle Platz. Aber zugleich bleibt der Glaube auch verhalten, er gibt keine billigen, schnellen oder glatten Antworten. Es bleibt immer das Suchen, das Zweifeln, das langsame Vorantasten.
Glauben und Hoffen gehen Hand in Hand. Wir stehen im Heiligen Jahr, einem „Jahr der Hoffnung“. Viele Menschen haben Angst um die Zukunft. Haben Sie Hoffnung für unsere Welt? Woher nehmen Sie sie?
Knapp: Ja, ich habe Hoffnung, aber keine glattgebügelte Antwort. Die Welt steht schon immer in einem dramatischen Geschehen zwischen Gut und Böse, Egoismus und Nächstenliebe. In jedem Herzen findet dieses Ringen statt, immer schon. Ich denke, wir nehmen es durch die Medien in unserer Zeit stärker wahr. Manches hat sich auch zugespitzt, Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Man kann das nicht klein- oder schönreden. Dennoch ist meine Hoffnung, dass alles, was an Gutem und Ehrlichem gelebt wird, nicht vergeblich ist: weil es in Gott verwurzelt ist, dort seinen Sinn hat und weiter wirkt. Selbst wenn der Einsatz für das Gute jetzt zerstört wird, in Gott bleibt es unzerstörbar. Kein Funke Menschlichkeit ist je vergebens. Gott sichert und hält, was wir nicht in der Hand haben. Die Geschichte rollt über uns, aber wir glauben, dass es jenseits der Geschichte einen Raum gibt, in dem alles Echte bleibt.
Sie sind Ordensmann, Seelsorger, Arbeiter – und Dichter. Wie hängen Dichten und Glauben für Sie zusammen?
Knapp: Dichten und Beten hängen für mich eng zusammen: Ich kann vorgefertigte Gebete sprechen oder ich kann selbst nach Worten suchen. Diese Suche ist für mich Meditation. Meine Gedichte bringen Zweifel und Traurigkeit zur Sprache, Beziehung, Liebe, Staunen, Glück – alles auch religiöse Urformen. Lyrik definiert nicht, sie ist etwas sehr Freies, oft schwingen mehrere Bedeutungen mit. Ähnlich ist mein Verständnis von Gott: Er lässt sich nicht definieren, denn das hieße, ihn zu begrenzen. So wie Lyrik offen ist und nicht begrenzen will, so ist meine Beziehung zu Gott offen, weil er nicht begrenzbar ist. Wir können ihn nur suchen und ertasten.
Samstag, 8. Februar, 9:30-16 Uhr, Bildung St. Michael: Seminar mit Br. Andreas Knapp: „Sucht neue Worte, das Wort zu verkünden. Von Gott reden in säkularer Zeit.“ Um 16 Uhr Lesung: „ganz knapp.
Gedichte an der Schwelle zu Gott.
Infos & Anmeldung: st.michael.dibk.at
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Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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