Unterwegs mit einem Hobby-Ornithologen
Singen in der Dunkelheit

Das Schwarzkelchen ist ein Meister der Täuschung. Seine 
Gesänge sollen Feinde auf eine falsche 
Fährte führen. 
 | Foto: Mathias Schaef/MInden Pictures/picturedesk.com
2Bilder
  • Das Schwarzkelchen ist ein Meister der Täuschung. Seine
    Gesänge sollen Feinde auf eine falsche
    Fährte führen.
  • Foto: Mathias Schaef/MInden Pictures/picturedesk.com
  • hochgeladen von TIROLER Sonntag Redaktion

Ein Beitrag von Eva-Maria Kircher-Pree

Bedächtig schreitet Stefan Pöll im Morgengrauen nur auf Wegen durch die Fluren. Mit Achtsamkeit nimmt er seine Umgebung wahr: hier ein Trillern, dort ein Zwitschern, ein Flöten, Krächzen, ein Singen und Rufen. Die Stimmen von Mönchsgrasmücke, Amsel, Rabenkrähe und Feldsperling, von verschiedenen Meisen und Finken, von Garten-
baumläufer, Goldammer oder Feldlerche hört er wie verschiedene Instrumente aus einem Natur-Orchester heraus.

„Ich kann nicht mehr hinausgehen, ohne auf singende Vögel zu achten“, beteuert Stefan. In den  Frühjahrsmonaten, wenn Brutzeit herrscht, sind die Vogelkonzerte am vielfältigsten. Für den musikalischen Kirchenchorsänger beginnt jede Vogelbeobachtung mit dem Identifizieren des Gesangs. Dieser taugt als Unterscheidungsmerkmal häufig besser als das oft doch sehr ähnliche Erscheinungsbild. Erst dann nimmt er den lichtstarken Feldstecher zur Hand und geht den Stimmen nach. Der 63-jährige Hobby-Ornithologe weiß, wo er suchen muss. Manche Vögel bevorzugen exponierte „Sitzwarten“ wie Dächer, Baumspitzen, Kirchtürme, Pflöcke am Feld oder Gartenzäune, andere ziehen unscheinbare Plätze vor.
Stefan „schießt“ keine Fotos, sondern dokumentiert lediglich Vogelart und deren Verortung in einer App. Selbst bezeichnet er sich deshalb als „Jäger ohne Waffe“.

150 Arten

Sein Biologie-Professor legte während der Schulzeit den Grundstein für das Hobby. Am Beginn stand das Beobachten und Zählen von Wasservögeln in einer Kleingruppe von Vogelkundlern. Seit Ende der 1980-er Jahre beschäftigt sich Stefan nun intensiver mit der Materie. Im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit erkennt er inzwischen wohl mehr als 150 verschiedene Arten. Und lernt immer noch dazu.
Welch wichtiger Indikator Vögel für den Zustand der Natur und der Ökosysteme sind, lässt sich gut am eklatanten Rückgang an Wiesen- und Feldvögeln erkennen. Je reichhaltiger die Landschaft strukturiert ist, je mehr Feldgehölze, Mischwald, feuchte Wiesen, aber auch gehölzreiche Parks und Blumenwiesen es in Städten gibt, desto eher finden Vögel die notwendige Nahrung und geeignete Brutmöglichkeiten. 

Nachtsänger
Normalerweise versiegen mit Sonnenuntergang die Gesänge der Vögel. Nachtaktive Jäger wie der Uhu und andere Eulen beginnen ihre Arbeit. Den Waldkauz kann man mitunter sogar in der Stadt rufen hören. „Aufgrund der Dunkelheit nehmen wir akustische Reize umso bewusster und intensiver auf. Auch die Geräuschkulisse während des Tages fehlt weitgehend.“ Unvergesslich ist dem Vogelkundler eine kalte Vollmondnacht im Februar vor 40 Jahren an der Innpromenade. Um 2 Uhr Früh nahm er am Nachhauseweg einen lauten und klaren Gesang wahr und sah dann auch den Instrumentalisten – eine Amsel.
Echte „Nachtsänger“ sind rar gesät: Dem berühmten Gesang der Nachtigall lauschen zu dürfen, zählt in Tirol schon zu den selteneren Vergnügen. Zahlreiche Vogelarten beginnen bereits vor Sonnenaufgang zu singen, die ersten in fast vollständiger Dunkelheit.
„Was übers Gehör zu uns hereinkommt, wirkt sich aufs Wohlbefinden aus“. Für den Mitarbeiter des Statistikreferates im Stadtmagistrat Innsbruck bietet das Hobby einen erholsamen Ausgleich zu Zahlen und Tabellen. „Da kann ich optimal abschalten und zu mir finden“, erklärt der lebhafte, frohgestimmte Mann. Besonders große Freude empfindet Stefan, wenn er einen Neuntöter entdeckt, der im Dornengebüsch schon einmal auf Vorrat Insekten aufspießt, bevor er sie später abholt und verfüttert. Auch das ebenso immer seltener vorkommende Schwarzkehlchen, das Fressfeinde durch sein Verhalten und seine Rufe vom Nest am Boden „verleitet“, hat es Stefan angetan. Augenzwinkernd lacht er: „Die Liebe zu den Vögeln kann so weit gehen, dass die Achtsamkeit meinem Gesprächspartner gegenüber nachlässt.“

Das Schwarzkelchen ist ein Meister der Täuschung. Seine 
Gesänge sollen Feinde auf eine falsche 
Fährte führen. 
 | Foto: Mathias Schaef/MInden Pictures/picturedesk.com
Stefan Pöll (63) stammt aus Thaur und hat ein feines Gehör. Der dreifache Familienvater ist gerne in der Natur unterwegs – und fast immer mit einem Feldstecher. Häufig ist er auf den Thaurer Feldern oder im Naturpark Karwendel anzutreffen. Allein an ihrem Gesang erkennt er rund 150 verschiedene Vogelarten.  | Foto: Kircher-Pree
Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ