Fastenserie, Teil 4
Ich höre dir zu

- Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Telefonseelsorge NÖ stehen Menschen in Krisen und schwierigen Lebenslagen, die ein Gespräch suchen, telefonisch rund um die Uhr kostenlos über die Nummer 142 sowie online täglich von 16 bis 23 Uhr zur Verfügung.
Fotos: Telefonseelsorge/Lovenson (2) - Foto: Telefonseelsorge/Lovenson
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In der Serie zur Fastenzeit greift „Kirche bunt“ heuer die sieben neuen Werke der Barmherzigkeit auf, die der deutsche Altbischof Joachim Wanke auf Grundlage der klassischen Werke der Barmherzigkeit, wie sie Jesus im Evangelium nach Matthäus nennt, neu formulierte. Persönlichkeiten aus der Diözese schreiben dazu ihre Gedanken. In der vierten Folge widmet sich Ama Ramona Lovenson, Leiterin der Telefonseelsorge NÖ, dem neuen Werk „Ich höre dir zu“.
Manchmal reicht ein einziger Satz, und das Leben einer Person wird für einen Moment leichter: „Möchtest Du darüber sprechen?“ Doch die Zeit, die wir füreinander aufbringen, ist knapp geworden und dieser Satz wird oft gar nicht mehr ausgesprochen. Wir leben in einer Zeit, die von Effizienz, Geschwindigkeit und ständiger Optimierung geprägt ist. Gerade in dieser Ära gibt es kaum etwas Dringlicheres, kaum etwas Menschlicheres, als die aufrichtige Bereitschaft, einer anderen Person einfach zuzuhören. Gerade heute ist Zuhören ein Werk der Barmherzigkeit – und nötiger denn je.
Alleinsein in einer vernetzten Welt
Technisch sind die Menschen weltweit so perfekt miteinander verbunden wie noch nie zuvor. Doch die Paradoxie unserer Zeit ist es, dass sich zugleich noch nie so viele Menschen einsam gefühlt haben. Zwar genügt ein Klick, um eine Nachricht um die halbe Welt zu schicken, oder um per Videotelefonie entfernte Gesichter direkt auf den Bildschirm zu bringen. Trotzdem klagen immer mehr Menschen über Einsamkeit. Anders als beim Alleinsein, das manchmal sogar wohltuend sein kann, äußert sich Einsamkeit als nagendes Gefühl, mit seinen Sorgen, Herausforderungen und Problemen ganz allein zu sein – unverstanden, übersehen, abgehängt.
Wie entsteht dieses Gefühl der Einsamkeit? In der Hektik des modernen Lebens bleibt kaum Raum für echte zwischenmenschliche Begegnung. „To-do“-Listen wachsen, die Kalender sind voll, das Smartphone piept, und stets wartet schon der nächste Termin. Auch in den Pflege- und Sozialberufen, dort also, wo Zeit für Menschen besonders wichtig wäre, wird genau diese Zeit immer knapper. Die Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen zwingt dazu, möglichst schnell und effektiv zu handeln. Wenn Pflege wie am Fließband funktionieren soll und Gesprächsminuten als Kostenfaktor gelten – wie kann da das aufmerksame Zuhören seinen Raum finden?
Jemandem wirklich zuzuhören heißt, sich auf das Gehörte unmittelbar einzulassen. Dazu ist es nötig, sich selbst zurückzunehmen und sich berühren zu lassen. Wer zuhört, öffnet die eigene Aufmerksamkeit für die Gedanken, Sorgen und Gefühle einer anderen Person – und auch für das eigene Mitgefühl, vielleicht sogar für das
Wahrnehmen der eigenen Hilflosigkeit.
Zuhören erfordert Mut. Zuhören beginnt oftmals auch mit einem wortlosen Gesprächsangebot: Das kann ein aufmunternder Blick sein, ein Lächeln, ein Zunicken. Kleine Gesten, die Interesse ausdrücken und signalisieren: „Ich bin bereit, jetzt etwas Zeit mit Dir zu verbringen, und Dir meine Aufmerksamkeit zu schenken. Es interessiert mich zu erfahren, was Dich beschäftigt.“ Diese kleinen Gesten des Alltags schaffen es, ohne Worte anzusprechen. Sie erreichen Menschen in ihrer Einsamkeit und laden die Nachbarin, den Kollegen, die Frau an der Bushaltestelle dazu ein sich mitzuteilen.
Auf ein Gegenüber hoffen
Es erfordert ebenso Mut, sich auszusprechen, nicht alles in sich hineinzufressen, sondern die Hoffnung zuzulassen, dass da jemand ist, der zuhören will. Es erfordert Mut, die Hoffnung aufzubringen, dass jemand sich hinsetzen und das Smartphone aus der Hand legen wird, um einfach nur mit da zu sein. Es kann schwierig sein, keine Angst davor zu haben, dass statt zuzuhören, Ratschläge erteilt oder Lösungen präsentiert werden. Es ist gar nicht so einfach, auf ein Gegenüber zu hoffen, das einfach nur wahrnimmt und mit aushält, was gesagt wird.
Ein Werk der Nächstenliebe und Barmherzigkeit
„Ich höre Dir zu“ – dieser einfache Satz ist ein Akt der Nächstenliebe. Oft zeigt sich Barmherzigkeit gerade in den kleinen Gesten des Alltags: Das kann bedeuten, eine Stunde zu verschenken, ein offenes Ohr anzubieten, oder aufrichtiges Interesse an einer anderen Person zu zeigen. Wer zuhört, baut eine Brücke in die Einsamkeit einer anderen Person. Zuhören verbindet und tut gut.
Die Tradition der Werke der Barmherzigkeit reicht weit zurück. Menschen zu speisen, Kranke zu besuchen, Trauernde zu trösten – all das sind konkrete Handlungen der Nächstenliebe. Im Zeitalter der digitalen Dauerverfügbarkeit und des ökonomischen Drucks gewinnt das Zuhören eine neue Bedeutung innerhalb dieser Tradition. In einer Welt, in der fast alles andere schneller, lauter und oberflächlicher zu werden scheint, ist es dringender als je zuvor, sich gegenseitig Aufmerksamkeit zu schenken.
Zuhören ist keine Zeitverschwendung – im Gegenteil: Es ist eines der kostbarsten Geschenke, das wir einander machen können. Wer zuhört, sagt damit: Du bist mir wichtig. Deine Gedanken zählen für mich. Du bist nicht allein. Ich bin mit Dir da, weil Du mich interessierst. Und manchmal ist es genau in diesen Momenten, in denen jemand endlich das aussprechen kann, was zuvor lange unausgesprochen geblieben ist. In denen jemand spürt, dass er mit seinen Sorgen nicht mehr allein sein muss. Dass da jemand ist, der das Gewicht der Worte mitträgt. Vielleicht ist diese Erfahrung am Ende sogar wichtiger als jede Lösung, wichtiger als jeder Ratschlag: Die Erfahrung, gehört zu werden.
Telefonseelsorge über das Telefon, per E-Mail oder Chat
Für Personen in Krisen und schwierigen Lebenslagen ist die Telefonseelsorge Tag und Nacht erreichbar unter:
Telefonischer Notruf 142 (0–24 Uhr)
E-Mail & Chat (16–23 Uhr): www.telefonseelsorge.at
Gebet
Gott, du kennst unser Herz und weißt,
wie oft wir im Lärm des Alltags die leisen Stimmen überhören.
Hilf mir, innezuhalten.
Schenke mir den Mut, auf andere zuzugehen,
sie wahrzunehmen, mich wirklich für sie zu interessieren.
Öffne meine Ohren für die Sorgen derer, die sich allein fühlen.
Mach mein Herz weit, damit ich nicht nur höre, sondern wirklich zuhöre.
Und wenn ich selbst sprachlos bin und niemanden finde,
der mir zuhört, sei du mein Ohr und mein Trost.
Lass uns füreinander da sein –
achtsam, barmherzig, und offen.
Denn wenn wir anderen Menschen zuhören, dann hören wir auch Dir zu.
Amen.
Impulse
• Wann habe ich mir das letzte Mal wirklich Zeit genommen, jemandem zuzuhören – ohne Ablenkung, ohne Eile?
• Wo spüre ich in meinem eigenen Leben das Bedürfnis, dass mir jemand zuhört?
• Wer könnte in meiner Umgebung gerade jetzt ein offenes Ohr besonders dringend brauchen?


Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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