Interview: Mag. Michaela Krömer
Der Natur ihr Recht
Die Klima-Klage von zwölf Kindern und Jugendlichen, ein in Österreich einzigartiges Verfahren, hat Aufsehen erregt. Vertreten werden die Antragsteller*innen von Rechtsanwältin Michaela Krömer. „Kirche bunt“ hat mit ihr über den Klimawandel gesprochen und inwiefern juristisches Vorgehen den Klimaschutz fördern kann.
Wie schätzen Sie den Klimaschutz in Österreich ein? Sind wir unterwegs zum 1,5 Grad-Ziel?
Michaela Krömer: Nein, überhaupt nicht. Die Wissenschaft sagt, dass dieses 1,5 Grad-Ziel nicht mehr erreichbar ist. Wir müssen uns von dem Märchen lösen, dass, wenn wir jetzt ein paar Dinge nett und gut machen, ein bisschen mehr Bäume pflanzen, ein bisschen mehr Fahrrad fahren und ein bisschen weniger Fleisch essen, wir das dann hinkriegen.
Österreich ist nicht einmal ansatzweise auf dem Weg, die Pariser Klimaziele einzuhalten, auch nicht das Unter-2-Grad-Ziel. Wir haben in letzter Zeit ein paar erste kleine Schritte gemacht, die bei Weitem nicht reichen. Man vergisst gerne, dass man hier 30-40 Jahre einfach zugesehen hat und dass man das Lenkrad jetzt komplett herumreißen muss, um einen halbwegs stabilen Zustand herzustellen. Die Lage ist dramatisch, doch die Realität ist weder bei der Politik noch bei der Mehrheit der Bevölkerung angekommen.
„Wir brauchen ein Rechtssystem, das zukunftsfit ist und das die Klimakrise möglichst minimiert und nicht anheizt.“
Kann der juristische Weg einen effizienteren Klimaschutz bewirken?
Krömer: Die Klimakrise bedeutet eine Systemänderung, und dafür muss man an vielen Schrauben gleichzeitig drehen. Eine dieser Schrauben ist das Rechtssystem. Wir brauchen ein Rechtssystem, das zukunftsfit ist, das die Klimakrise, so gut es geht, minimiert und auf jeden Fall nicht aktiv anheizt. Eine erfolgsversprechende Möglichkeit, Änderungen im Rechtssystem zu bewirken, sind Gerichtsverfahren – ein Puzzlestein von vielen.
Ist der Klimaschutz in Österreich ein verfassungsrechtliches Ziel?
Krömer: Klimaschutz als Verfassungsrecht klingt in erster Linie plakativ. Die entscheidende Frage ist, wie ich das Recht einfordern kann und was es tatsächlich beinhaltet. Ich halte es für sinnvoller und noch wichtiger, ein Klimaschutzgesetz zu haben, das ein Treibhausgas-Budget im Verfassungsrang hat, das die Verpflichtung vorsieht, klare Reduktionspfade vorzulegen, die von der Wissenschaft überprüft werden und deren Überprüfbarkeit in einem Schnellverfahren eingefordert werden kann, und dass im Fall einer möglichen Übertretung der Reduktionsziele Klimaschutz -Sofortmaßnahmen in Kraft treten (z. B. eine Temporeduktion im Straßenverkehr), dass also nicht nur finanzielle Konsequenzen folgen. Ein Tempolimit, auch wenn es politisch unangenehm ist, würde umgehend, ohne Kosten, sehr viel CO2 sparen.
Welche Maßnahmen halten Sie des Weiteren für wichtig?
Krömer: Es gibt unzählige Maßnahmen. Da kann man auch keine priorisieren. Wir müssen Energie sparen, uns von unserem Konsumgedanken lösen, unsere Ernährung verändern, zu einer Kreislaufwirtschaft zurückfinden, Naturflächen erhalten, vom Wachstumsdenken wegkommen. Der Individualverkehr ist ein riesiges Thema. St. Pölten beispielsweise ist eine Fahrrad-Stadt per se und fast alle fahren mit dem Auto. Bisher ändert sich zu wenig im Denken. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der jede Form des noch so kleinen Verzichts schon als große Einsparung oder großes Opfer gewertet wird. Wir haben das Verständnis dafür verloren, was normal ist.
Haben wir in Österreich eigentlich ein Klimaschutzgesetz, oder ist es 2020 ausgelaufen?
Krömer: Es ist nicht ausgelaufen, aber es ist seitdem nicht mehr verpflichtend, es kennt keine Verpflichtungszeiträume. Ein neues Klimaschutzgesetz ist seit 2021 in Begutachtung, doch scheinbar wird von Teilen der Regierung massiv blockiert. Ein nicht verbindliches Klimaschutzgesetz ist eine reine Farce und nicht brauchbar. Es kennt keine Umsetzungsverpflichtung.
Das ist so, wie wenn ich den Kuchen einfach jetzt aufesse und nicht einmal überlege, ob für andere Brösel übrigbleiben.
Die Klage der Kinder und Jugendlichen richtet sich gegen das derzeit in Kraft befindliche Klimaschutzgesetz?
Krömer: Ja. Man muss sich vor Augen führen: Wir haben seit 2020 ein Klimaschutzgesetz ohne Verpflichtungszeiträume, und trotzdem gehen die Menschen nicht auf die Straße. Das finde ich bemerkenswert. Wie viel die Bevölkerung eigentlich hinnimmt. Wir stellen aktuell einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung von Teilen des Klimaschutzgesetzes. Die Kinder und Jugendlichen sagen, dass sie insbesondere durch Teile des Gesetzes in ihren Kinderrechten verletzt werden, die im Verfassungsrang stehen, und auch in ihrem verfassungsrechtlichen Recht auf Gleichheit, das eine gerechte Lastenverteilung beinhaltet. Wenn es keine Treibhausgas-Reduktionsziele und kein Treibhausgas-Budget gibt, dann ist das so, wie wenn ich den Kuchen einfach jetzt aufesse und nicht einmal überlege, ob für andere Brösel übrig bleiben. Die jetzt noch vorhandenen Ressourcen sowie die Lasten der Klimakrise müssen einigermaßen fair zwischen den Generationen verteilt werden. Der VfGH kann das Klimagesetz „reparieren“.
Ist der Klimawandel noch zu wenig spürbar, um zu mobilisieren?
Krömer: Menschen schauen sehr lange weg, wenn sie können. Ich glaube, es ist auch viel Angst da und die Befürchtung, dass man als Einzelner keinen Unterschied macht. Das ist natürlich auch ein Narrativ, das von der fossilen Industrie lange Zeit propagiert wurde, das Individuum allein in der Verantwortung zu sehen: Es liegt an dir, an dir alleine. Das schwächt das Kollektiv. Wir leben in einer Gesellschaft, die es nicht mehr gewohnt ist, sich für Dinge einsetzen zu müssen. Dabei ist das Auf-die Straße-Gehen sehr wirksam, denn es entsteht Druck auf die Politik. Es sollte keine Ausrede geben, nicht an Klima-Demos teilzunehmen. Alle gemeinsam können wir das Rad herumdrehen. Und dafür muss jeder seine Verantwortung und seinen Handlungsspielraum wahrnehmen. Auch die Ausrede, dass es auf Österreich nicht ankommt, weil ja die Inder und Chinesen auch mitmachen müssen, kann man nicht gelten lassen.
Gibt es Vorbilder für diese Art von Klima-Klage?
Krömer: In dieser Form nicht, weil es mehrere Besonderheiten in Österreich gibt: ein nicht verbindliches Klimaschutzgesetz, die Kinderrechte im Verfassungsrang und eine sehr beschränkte Form des Individualantrags. In Deutschland ging es allerdings bei einer Klima-Klage von Kindern schon einmal um das Thema „Heute für morgen“: Wie weit muss der Gesetzgeber heute schon agieren, um vorhersehbare Grund- und Freiheitsbeschränkungen von morgen zu berücksichtigen? In Deutschland mussten aufgrund der Klage die Klimaschutz-Ziele verschärft werden.
Man könnte einwenden, dass Kinder für solche Klagen von Erwachsenen instrumentalisiert werden.
Krömer: Man darf die Kinder da nicht unterschätzen! Jeder, der Kinder hat, weiß, dass sie ein starkes Sensorium haben. Und auch wenn sie Dinge nicht 100%-ig verbalisieren und in der gesamten Konsequenz verstehen können, sie verstehen den Kern. Und den verstehen sie erstaunlich schnell. Dass hier etwas nicht stimmt, dass es der Erde nicht gut geht, dass man sich nicht gut um die Erde kümmert – das verstehen Kinder. Das verstehen sie leider schon sehr früh. Redet mit den Kindern und ihr werdet feststellen, dass sie beunruhigt darüber sind, was wir Erwachsenen tun! Natürlich mussten die Eltern bei dem juristischen Verfahren zustimmen, aber alle Antragsteller*innen wissen, worum es geht.
Klimaschutz ist mittlerweile ein spannungsgeladenes Thema, besonders zwischen Alt und Jung.
Krömer: Die Jungen betrifft es natürlich mehr. Viele Ältere denken wahrscheinlich: Mich wird es nicht so schlimm treffen. Die Nach-dem Krieg-Geborenen haben nur Wachstum erlebt. Sich von dem zu lösen, ist sicher nicht einfach. Natürlich gibt es auch ältere Leute, die sich sehr wohl für die Anliegen der Jüngeren einsetzen.
Sie stammen aus einer christlichen Familie. Motiviert sie Ihr Glaube zu Ihrem Engagement?
Krömer: Ich meine, dass wir als Christen eine Schöpfungsverantwortung haben. Die Schöpfung ist ein Geschenk, um das wir uns kümmern sollen. Wir haben die Freiheit bekommen, die Erde zu zerstören oder zu erhalten. Der christliche Glaube schenkt den Halt, dass man sich dieser Aufgabe stellt und die Verantwortung übernimmt. Davon sehen wir leider noch viel zu wenig.
Für mich persönlich bedeutet der Glauben diesen essenziellen Halt. Ohne diesen Halt würde ich es psychisch sehr schwierig finden, mich immer wieder mit den wissenschaftlichen Fakten auseinanderzusetzen, ohne zu verzweifeln oder handlungsunfähig zu werden, oder mich in die Öffentlichkeit zu stellen. Man kriegt ja nicht nur positive Rückmeldungen. Das erfordert viel Kraft.
Klima-Angst und Klima-Verzweiflung sind ein großes Thema in der Klimabewegung. Jeder, der verstanden hat, worum es geht, wird mit dieser Realität immer wieder hadern, nämlich dass wir inmitten einer Zerstörung leben. Christen haben aber Zuversicht, dass die Zerstörung nicht das letzte Wort ist, und einen Halt, die es ihnen möglich machen, aktiv zu bleiben.
Zur Person
Mag. Michaela Krömer ist Rechtsanwältin in Wien und St. Pölten. Sie studierte in England und an der Harvard Universität in den USA. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind u. a. der Schutz der Umwelt und die Bekämpfung der Klimakrise. Ihr Engagement wurde mit dem Menschenrechtspreis der Liga für Menschenrechte ausgezeichnet.
Zurzeit vertritt die Juristin u. a. zwölf Kinder und Jugendliche, die eine Klima-Klage vor dem Verfassungsgerichtshof einbrachten. Michaela Krömer stammt aus einer christlichen Juristenfamilie in vierter Generation. Ihr Vater Peter Krömer ist Präsident der Generalsynode der Evangelischen Kirchen in Österreich.
Autor:Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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