Interview
Werner Tiki Küstenmacher: Keine Not-Weihnachten, sondern schlichtes Fest

Werner Tiki Küstenmacher, Autor des Bestsellers "Simplify your life" | Foto: zVg

Papst Franziskus hat die Gläubigen aufgerufen, Weihnachten heuer „schlicht“ zu feiern. Wir haben beim Experten für die „Simplify“-Methode nachgefragt, dem Bestseller-Autor und evangelischen Pfarrer Werner Tiki Küstenmacher, wie ein vereinfachtes, reduziertes Weihnachten 2020 aussehen könnte, das – trotz Corona-Beschränkungen – ein schönes Fest wird.

Nach Ostern feiern wir nun auch Weihnachten inmitten der Corona-Pandemie. Wird Weihnachten ebenfalls ganz anders gefeiert werden (müssen)?

Werner Tiki Küstenmacher: Absolut! Ich finde folgendes Gedankenexperiment gut: Man macht einen Zeitsprung und schaut von Weihnachten 2021 aus zurück auf 2020. Im Rückblick sehe ich: Weihnachten 2020 war kein Not-Weihnachten, sondern ein schönes Fest – anders schön. Das Gute an diesem Gedankenspiel: Wenn wir Menschen kurzfristig denken, dann überwiegt oftmals die Ängstlichkeit. Die langfristige Perspektive ist meist zuversichtlicher und von Hoffnung geprägt. Vielleicht hat uns die Corona-Krise sogar etwas gebracht?
Die Pandemie ist ein Einschnitt, alles ist auf den Kopf gestellt. Wir sollten diese besondere Zeit nützen und die Möglichkeiten, die Chance darin sehen. Winston Churchill hat einmal gesagt: „Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen!“

Welche Chance sehen Sie denn im heurigen Weihnachtsfest unter Corona-Bedingungen? Weniger Glitzer, mehr Inhalt?

Küstenmacher: Das Fest wird leiser, einfacher. Das passt gut, denn das Weihnachtsfest ist ja erst relativ spät zu dem Familien- bzw. „Coming Home“-Event geworden, wie wir es heute kennen. Vieles ist heuer unmöglich gemacht, was ohnehin unmöglich ist: das Besäufnis am Adventmarkt oder der Après-Ski. Jetzt ist Zeit, einmal Atem zu holen.
Man kann auch zuhause Gottesdienst feiern: mit Gebeten, Liedern, dem Evangelium. So hat das Chris­tentum angefangen, in den Häusern, in den Familien. Ich finde es schön, ein Kind das Weihnachts­evangelium vorlesen zu lassen, sozusagen die nächste Generation. Das Vorlesen sollte vorher geübt werden, denn es ist eine Kunst, die Übung braucht. Wenn jemand in der Familie musizieren kann, dann wird es besonders feierlich. Das ist kein Not-Weihnachten, sondern ein schönes Fest, eine Art „Home-Christmas“. Man kann auch einen Gottesdienst im Fernsehen oder Radio mitfeiern – aber nicht im Pyjama, sondern in einer feierlichen Atmosphäre.

Einfach anders feiern tut gut?

Küstenmacher: Wir feiern Weihnachten ohnehin immer gleich, da tut einmal eine Unterbrechung ganz gut. Vor über 20 Jahren hatte ich einmal vor Weihnachten einigen Stress und kam erst spät dazu, einen Christbaum zu kaufen. Die schönen waren alle weg und so kaufte ich einen schiefen, verkrüppelten Baum. An dieses Weihnachtsfest erinnern sich heute noch alle! Wir haben den Baum bemitleidet und viel gelacht. Es ist doch im Nachhinein oft lustiger, wenn einmal etwas nicht perfekt läuft, wenn man improvisiert.

Weihnachten ist immer mit Erwartungen und Sehn­süchten verbunden. Gerade in dieser emotional aufgeladenen Zeit kommt es häufig zu Konflikten. Wie kann man Streit vermeiden?

Küstenmacher: Mein wichtigster „Simp­lify“-Tipp ist: Bereitet euch gemeinsam früh genug auf das Fest vor und haltet eine Weihnachtskonferenz ab. Jeder beantwortet die Fragen: Wie sehen schöne Weihnachten für mich aus? Was nervt mich? Man kann sich zusammenrufen und fragen: Was wollt ihr? Heuer stehen die Chancen gut, etwas zu verändern! Nicht alle trauen sich, ihre Meinung und ihre Wünsche für Weihnachten auszusprechen. Umso schöner ist es, wenn das geht. Wir haben früher für eine Tante immer Früchtebrot gebacken. Keiner mochte Früchtebrot außer Tante Rosemarie und deshalb haben wir es ihr geschenkt. Einmal fragten wir sie: „Willst du das eigentlich?“ Sie mochte es gar nicht, traute sich aber nicht, es abzulehnen.
Wenn die Verwandtenbesuche wegfallen, dann ist das für so manchen eine Erleichterung – besonders in Patch­work-Familien, wo die Besuche oft Stress machen.

Für ältere Menschen ist es schwer, an den Festtagen allein zu sein …

Küstenmacher: Wir sollten daran denken, dass wir die Großeltern anstecken können. Wir tun ihnen heuer einen Gefallen, sie nicht zu besuchen – so sehe ich das. Oder wir machen vor dem Besuch einen Test. Es könnten sonst die letzten Weihnachten gewesen sein …

Wie könnten „schlichte“ Weihnachten konkret aussehen?

Küstenmacher: Weniger Geschenke auf dem Gabentisch, dafür wird das Auspacken regelrecht zelebriert. Nur einer packt aus, die anderen schauen zu, man erzählt einander Geschichten, erinnert sich. Wir haben einmal versucht, einander gar nichts zu schenken, doch das war furchtbar. Außerdem klappt das Nicht-Schenken ohnehin meist nicht, weil einer dann doch etwas schenkt. Nein, Geschenke gehören dazu. Bei Weihnachten geht es um das Beschenkt-Werden: Wir werden von Gott beschenkt. Kleine Kinder schenken selbst nichts, sie werden „nur“ beschenkt und ihre Augen strahlen – so ist Weihnachten. Es ist die Freude darüber, etwas zu bekommen. Das Leben ist uns auch geschenkt. Vieles ist Geschenk.
Und das große Festessen für zehn Leute muss nicht unbedingt sein. Weihnachten ist ja kein Essens-Fest. Es geht auch einfacher, schlichter.

Nach Weihnachten sitzen wir auf Bergen von Geschenkpapier. Lässt sich das vermeiden?

Küstenmacher: Die Verpackung kann auch schon Teil des Geschenks sein: ein schöner Stoff, eine Tasche, eine Kinderzeichnung, ein Kalenderblatt. Bei der Verpackung kann man eine große Menge an Abfall einsparen.

Wie werden Sie persönlich heuer Weihnachten feiern?

Küstenmacher: Unser Ältester lebt in Australien, da sind wir medial in Kontakt. Der Mittlere wohnt im Haus, mit ihm werden wir feiern. Vielleicht kommt auch unsere Tochter, die in Berlin lebt, dazu – sie lässt sich vor dem Besuch testen.

Interview: Patricia Harant-Schagerl

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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