Zur-Ruhe-Kommen und Auftanken
Über die Bedeutung von Kraftorten
Nicht nur in der nervenzehrenden Corona-Zeit sehnen sich viele Menschen nach einem Ort zum Auftanken und Zur-Ruhe-Kommen. Kraftorte sind gefragt wie selten. Eine Spurensuche.
Wohl jeder hat einen Ort, wo er sich rundum wohlfühlt und den er aufsucht, um zu entspannen und wieder aufzutanken. Die einen finden ihn unter dem alten Apfelbaum im heimischen Garten, die anderen an der Bank am See oder vor dem Marienbild in der kleinen Kapelle. Wieder andere suchen diesen Ort im Urlaub auf – das Ferienhaus in den Dünen, die imposante Höhle oder die Almhütte in den Bergen.
Gerade in der heutigen, von vielen Alltagsbelastungen geprägten Zeit sehnen sich Menschen offenbar nach solchen Orten. Eine Sehnsucht, die sich auch auf dem Buchmarkt widerspiegelt – unzählige Titel beschäftigen sich mit den Kraftorten Garten und Natur. Allen gemein scheint die besondere Ausstrahlung und Atmosphäre zu sein, die Menschen dort in ihrem Innersten berührt; sie fühlen sich intuitiv zu ihnen hingezogen, fühlen sich verbunden mit der Welt und mit Gott.
Viele haben „ihren“ besonderen Ort schon gefunden. Das zeigt das Projekt „andere orte“ des ökumenischen Vereins „Andere Zeiten“. Seit 2017 sind Menschen eingeladen, solche besonderen Orte über eine App miteinander zu teilen. Hintergrund sei die Beobachtung gewesen, „dass Menschen Spiritualität an vielen Orten erleben, nicht ausschließlich in Kirchen“, erläutert Sabine Henning, die das Projekt betreut: „Im Alltag und in der eigenen Lebensgeschichte gibt es viele Kraftorte, Glücksplätze und Zufluchtswinkel.“
Derzeit seien in der App rund 1.400 Orte in Deutschland und in angrenzenden Ländern verzeichnet – darunter „Wow-Orte“, die Menschen ins Staunen versetzten. In Österreich sind derzeit von den Nutzern nur wenige Orte benannt, darunter die „Hundertwasserkirche“ im steirischen Bärnbach oder die Weg-Kapelle im Kärntner Dorf Innerkrems.
Auch Stephan Gröschler haben es kraftvolle Orte angetan. In seinem gleichnamigen Blog hat er mehrere Hundert kraftvolle, mystische und geheimnisvolle Orte in Bayern zusammengestellt, darunter Bäume, Quellen, Steine. „Jeder, der mit wachem Geist durch die Welt geht, kann diese besonderen Orte entdecken“, schreibt Gröschler. Von einigen gehe eine magische, unerklärliche Ausstrahlung aus, andere Orte spendeten Entspannung, manche machten Mut und wieder andere stimmten nachdenklich.
Nicht nur gläubige Menschen suchen gezielt auch alte Kirchen, Kathedralen, Kapellen und Klöster auf, um Kraft zu tanken. Vor vielen Jahrhunderten erbaut, scheinen sie die Glaubensgeschichte vieler Menschen widerzuspiegeln und die Besucher zu stärken. Nicht selten stehen sie an Stellen, die schon die Kelten als heilige Orte für Rituale nutzten. Die italienische Historikerin Roberta Rio hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. In ihrem Buch „Der Topophilia Effekt. Wie Orte auf uns wirken“ schreibt sie, dass frühere Generationen und Kulturen um die besondere Energie und den bereits bei den Römern bekannten „spiritus loci“ bestimmter Orte wussten und dieses Wissen gezielt nutzten.
So hätten die Kelten Kraftplätze und Kraftlinien gekannt – und sie entweder gezielt bebaut oder gemieden. Viele sakrale Bauten des Christentums stehen auf Kraftplätzen der Kelten, erklärt Rio. Dazu zählten auch die berühmten Kathedralen in Chartres und Köln. Dombaumeister hätten früher die Wirkung von Orten gezielt genutzt, so Rio. Das habe ihr auch der Wiener Dombaumeister Wolfgang Zehetner bestätigt: Bei der Standortwahl seien früher „energetische Informationen“ berücksichtigt worden. Kanzeln und Altäre sind demnach oft über Schnittpunkten von Wasseradern errichtet worden, um so eine Quelle für Kraft und Inspiration anzuzapfen.
Dieses Wissen sei aber in Vergessenheit geraten und werde von der modernen Wissenschaft abgelehnt, bedauert Rio. Sie wirbt für ein Miteinander von altem, oft intuitivem Wissen und heutiger Wissenschaft. „Nicht alles, was an die Grenzen des wissenschaftlich Erklärbaren stößt, ist deshalb gleich esoterischer Schwachsinn. Nur weil wir für etwas noch keine rationale Erklärung gefunden haben, muss es nicht falsch sein.“
Text: Angelika Prauß/KNA/Red.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.