Prophetinnen. Und ein Hauch von Gerechtigkeit.

14 Jahre war ich alt, als ich mit ein wenig Stolz meinen ersten Reisepass in Händen hielt. Er wurde im Jahr 1977 ausgestellt, um mir den Grenzübertritt in den damaligen „Ostblock“ zu ermöglichen. Zusammen mit meinen Eltern und hunderten weiteren Burgenländern fuhr ich im Marienmonat Mai nach Tschenstochau, dem „polnischen Mariazell“, wo die „Schwarze Madonna“ verehrt wird. Und wir besuchten Piekary, wo (damals, in tief kommunistischer Zeit) zehntausende fromme Männer zu ihrer jährlichen Wallfahrt zusammenströmten. Von fern nahm ich dort auf der Tribüne in Kardinalsrot den Erzbischof von Krakau wahr, Karol Józef Wojtyła. Nur ein Jahr später sollte der als Papst Johannes Paul II. die Bühne der Welt betreten. Ja, mit der Kirche, mit meiner burgenländischen Heimatdiözese, konnte ich seit meiner Jugend ungezählte besondere Augenblicke erleben, und die Ausfahrten ragten dabei mit Momenten hervor, die man in keinem Reisebüro buchen kann.

Doch ich will noch auf einen anderen Punkt hinaus: In diesem meinem behördlichen Reisedokument wurde die Körpergröße vermerkt: 182 Zentimeter. Ich war also ausgewachsen in diesem Alter. Hat mich damals auf der Bezirkshauptmannschaft der Amtsarzt vermessen? Daran erinnere ich mich nicht mehr. Jedenfalls hat die Behörde bei den seither mehrmals erfolgten Neuausstellungen meines Passes diesen Wert einfach abgeschrieben. Ich habe es amtlich, dass ich 182 cm groß bin.

Nun ist mir bewusst, dass bei so gut wie allen Menschen die Körpergröße im Lauf des Lebens wieder abnimmt. Unser Skelett krümmt sich und die Bandscheiben verlieren nach und nach an Höhe. So vermaß ich mich neugierig vor ein paar Tagen und spekulierte, im Vorfeld, ob ich so einen oder zwei Zentimeter eingebüßt haben würde. Dass nur wenig mehr als 178 cm abzulesen waren, hat mich ernüchtert. Und nach ein bisschen Grübeln beschloss ich, mich in eine vordergründige und eine tiefgründige Erkenntnis zu fügen: Ich bin weniger groß (und wichtig), als ich mir lange eingebildet hatte.

„Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin“ und „Der Patriarch glaubt an Putin, obwohl er an Gott glauben sollte.“ – Erinnern Sie sich noch? Es war einer der Skandale des Jahres 2012. Die russische Punk-Band „Pussy Riot“ (Muschi-Aufruhr auf Deutsch) betrat für 41 Sekunden den Altarraum der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und rezitierte dort ihr „Punk-Gebet“. Die orthodoxe Kirche geiferte, der russische Staat schlug mit der Faust von Gefängnisstrafen zu, und auch gar nicht so wenige führende Katholiken verurteilten das Geschehen als Blasphemie, als Gotteslästerung. Mir war schon damals bei den Verurteilungen nicht ganz wohl, und im Nachhinein entpuppt sich die Handlung der russischen Künstlerinnen als Prophetentum, so wie es an zahlreichen Stellen der Bibel, besonders dem Alten Testament, vorkommt: Von Gottes Geist getriebene Seher halten den ungerecht Herrschenden in bitteren Worten und Zeichen einen Spiegel vor. Vor einigen Tagen erst hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland wegen eines Angriffs auf die feministische Punkband Pussy Riot (etwas später, im Jahr 2014), zu einer Geldstrafe verurteilt. Russland muss gemäß des Urteils den fünf Klägerinnen und Klägern von Pussy Riot daher jeweils 15.000 Euro Schmerzensgeld und 7.200 Euro für Kosten und Auslagen zahlen.

FRANZ JOSEF RUPPRECHT 
Chefredakteur

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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