„Frau Hess ersetzt zwei Kapläne"
Die Pfarrsekretärin von Neusiedl am See eilt von Termin zu Termin – auch wenn schon längst Dienstschluss ist. Zuletzt versorgte sie mit einigen Helfern Geflüchtete aus der Ukraine und modelte dabei den Pfarrhof um. Für Interviews hat sie nur wenig Zeit.
GERALD GOSSMANN
Frau Hess ist im Stress. Mehrere Interview-Versuche scheitern aus einem einfachen Grund: Die Pfarrsekretärin von Neusiedl am See Christiane Hess hat einfach immer alle Hände voll zu tun. „Von früh bis spät“, sei sie im Einsatz, obwohl das ihre Pflichten aus dem Anstellungsverhältnis weit überschreite, erzählt Pfarrgemeinderat Gerhard Strauss. Am Höhepunkt der Ukraine-Flüchtlingswelle fragt „martinus“ dreimal wegen eines Interviews bei der 63-Jährigen an – doch diese eilt von Termin zu Termin. Abgehetzt erklärt sie jedes Mal aufs Neue, dass es gerade „ungünstig“ sei.
Nun hat es doch geklappt. Hess sitzt im Auto und fährt nach zig Erledigungen von Neusiedl am See zu ihrer 86-jährigen Mutter nach Frauenkirchen, die eigenständig wohnt, aber schon etwas Hilfe benötigt. „Ich stehe gerade im Stau“, sagt Hess, als sie sich zum Gespräch meldet, „jetzt komme ich Ihnen wenigstens nicht aus.“ Die gebürtige Frauenkirchnerin agiert in der Pfarre wie sie spricht: schnell und zackig. Ihr Programm der letzten Wochen: Geflüchteten bei der Eingliederung helfen, Kinder in der Schule anmelden, bei Behördenwegen zur Seite stehen, Essen besorgen, einen Flohmarkt organisieren, den Alltag der Pfarre bewältigen. Oft sei sie erst gegen elf Uhr abends zu Hause gewesen. Zuletzt hat eine Geflüchtete „ihren Zuschuss verloren“, Hess half weiter. Dann brachte eine Ukrainerin ein Baby zur Welt – Hess organisierte mit. „Meine zwei Kinder sind schon regelrecht eifersüchtig“, lacht sie, „weil ich so wenig Zeit für sie habe.“ Jetzt wird auch klar, warum Christiane Hess so lange keine freie Minute für ein Interview hatte: Zwischen Pfarre und Familie ist sie ständig am Helfen. „Frau Hess ersetzt zwei Kapläne“, betont Pfarrer Wilhelm Ringhofer mit Hochachtung in der Stimme. Der Ukraine-Krieg bescherte auch der Pfarrsekretärin von Neusiedl am See viele (ehrenamtliche) Zusatzschichten. An Aschermittwoch habe der Flüchtlingsstrom eingesetzt, schildert sie. Kaplan Julian Heissenberger, der in Rom studiert, rief an und fragte, ob es denn in der Pfarre eine Übernachtungsmöglichkeit für eine geflüchtete Familie gebe. „Deine Wohnung steht doch leer“, antwortete Hess. Kurzerhand fragte sie bei Pfarrer Ringhofer nach, „der mir freie Hand gelassen hat“. Hess krempelte die Wohnung um, organisierte Bettwäsche, Handtücher und das Notwendigste. „Am Abend habe ich für die Familie Pizzen besorgt, vegetarische, weil ja ein Fasttag war. Es war ein wunderschönes Zusammensein.“ Immer mehr Flüchtlinge kamen nach Neusiedl. Die Pfarrsekretärin startete einen Aufruf (unterstützt von Pfarrgemeinderat Strauss, der diesen in den sozialen Netzwerken teilte) und suchte nach freien Unterkünften. „Leute riefen mich an, boten mir Wohnungen an – und am Abend habe ich sie schon vergeben gehabt.“ Fast zwanzig Einheiten konnten über die Pfarre zur Verfügung gestellt werden. Bislang war der Pfarrhof ein „Zwei-Personen-Haushalt“ gewesen – „heute können wir hundert Menschen versorgen“, erzählt Hess. Sie trieb Geschirr, Lebensmittel und Hygieneartikel auf. Pro Tag wurden zuletzt fünfzig bis sechzig Personen im Pfarrsaal verköstigt. Bäckereiunternehmer Nagelreiter stellt die Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis zur Verfügung, von der Pfarre erhielten die Geflüchteten 10-Euro-Gutscheine.
Das notwendige Geld dafür erwirtschaftete Hess mittels Flohmarkt, den sie mit einem engagierten Team
organisierte. Pfarrangehörige stellten Geschirr, Bilder, Handarbeiten zur Verfügung, und eine Spendenbox wurde aufgestellt – damit konnten 5.500 Euro eingenommen werden. „Sie hat schon Hilfstransporte nach Rumänien organisiert – vor allem das soziale Engagement ist ihr wichtig“, betont Pfarrgemeinderat Strauss. Hess selbst wiegelt ab. „Bitte nennen Sie auch alle, die mir helfen“, fordert sie, ehe sie am Tag nach dem Interview nochmals anruft und nachfragt, ob man die Geschichte besser doch nicht schreiben wolle, sie stehe ungern im Mittelpunkt. Dann willigt Christiane Hess doch ein. „A bisserl könnens mich vorstellen“, sagt sie, „aber bitte nicht übertreiben.“
MEHR DARÜBER
Damit die Hilfe gut koordiniert werden kann und auch dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird, hat die Caritas Burgenland eine eigene Hotline für Unterstützungsmöglichkeiten eingerichtet.
Telefonisch: 02682 / 73 600 333 (Mo – Do: 8 – 15 Uhr, Fr 8 – 12 Uhr)
E-Mail: hilfe.ukraine@caritas-burgenland.at
Alle Infos zum Ukraine-Krieg und wie Burgenländer helfen können: https://bit.ly/3hRvSFv
Caritas-Spendenkonto. IBAN AT34 3300 0000 0100 0652, Kennwort: Ukraine-Krise
Autor:Martina Mihaljević aus Burgenland | martinus |
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