Neue Erkenntnisse
Der vergessene Gründervater des Burgenlandes

Autor Sepp Gmasz mit der Biografie von Adalbert Wolf vor dem Familiengrab in Neusiedl am See. 

 | Foto: ELISABETH GMASZ
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  • Autor Sepp Gmasz mit der Biografie von Adalbert Wolf vor dem Familiengrab in Neusiedl am See.

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Der Historiker und Journalist Sepp Gmasz hat eine Biografie über einen wenig beachteten „Geburtshelfer“ des Burgenlandes verfasst: den Neusiedler Apotheker und Anschlusskämpfer Adalbert Wolf. Recherchen legen nahe, dass dieser auch den Begriff „Vierburgenland“ geprägt haben dürfte, aus dem der spätere Name des jüngsten Bundeslandes hervorging. Zuletzt erhielt Autor Gmasz gar einen Anruf von Verwandten Wolfs aus Kanada – die Recherche geht weiter.

GERALD GOSSMANN

Sepp Gmasz ist kurz nach dem Interview für die Kirchenzeitung martinus schon wieder auf dem Sprung. Der Historiker will ins Pfarramt von Neusiedl am See – um zu recherchieren. Das Ergebnis seiner letzten Recherche hat er in eine beachtliche Biografie gepackt. Darin erzählt Gmasz die Lebensgeschichte von Adalbert Wolf, Apotheker aus Neusiedl am See, der eine Schlüsselrolle bei der Angliederung von Deutschwestungarn an Österreich gespielt hat. Er gilt zudem als Schöpfer des ersten Landesnamens „Vierburgenland“ – ist aber als einer der Gründerväter des Burgenlandes heute trotzdem in Vergessenheit geraten. Der gebürtige Frauenkirchner Historiker und langjährige ORF-Journalist Sepp Gmasz versucht das mit seiner Arbeit zu ändern. Auf 240 Seiten erzählt er die Lebensgeschichte des Adalbert Wolf – und von dessen Lebenstraum: einem großdeutschen Vierburgenland.  

Staatsfeind. Die vor wenigen Monaten erschienene Biografie speist sich aus dem Nachlass Wolfs, den seine Großnichte Gertraud Stockinger in Neusiedl aufbewahrte und dem Stadtarchiv als Dauerleihgabe überließ. Dort konnte sich Gmasz durch alte Schriften, Briefe und Bildmaterial wühlen. Zunächst für eine autonome Region innerhalb Ungarns eintretend, wurde Wolf nach der ablehnenden Haltung der ungarischen Regierung zum glühenden Anschlusskämpfer an die junge Republik Deutschösterreich. Dafür stand er auch im geheimen Kontakt mit Bundeskanzler Karl Renner. Derartige Verbindungen machten ihn aber in Ungarn zum Staatsfeind. Wegen seiner politischen Agitationen für eine deutschnationale Identität wurde Wolf 1920 von einem ungarischen Gericht als „Hochverräter“ zu drei Jahren Kerker in Raab/Györ verurteilt.

Briefe entschlüsselt. „Es war sehr schwierig, die Briefe aus dem Gefängnis zu transkribieren“, erzählt Autor Gmasz im martinus-Gespräch. Die Arbeit an der Biografie habe sich über viele Jahre gezogen. Wolf hatte im Gefängnis kein richtiges Briefpapier zur Verfügung, vieles ist mit Bleistift geschrieben, er habe zudem versucht, sehr viel Text auf möglichst wenig Fläche unterzubringen. Wolfs Schriften und Notizen erzählen von der Tragik seines politischen Engagements: „Er hat sehr viel für die Autonomie Deutsch-Westungarns und dann für den Anschluss an Österreich getan, die entscheidenden Monate hat er aber nur aus dem Gefängnis miterlebt.“ Erst am 31. Dezember 1921 wurde er entlassen. „Da ist alles gelaufen gewesen.“ Wolf wurde zum glühenden Kämpfer für eine deutsche Identität (der aber Extremismus ablehnte) – und zum wichtigen Akteur der jungen burgenländischen Landespolitik, war Mitbegründer der Großdeutschen Partei und Bürgermeister von Neusiedl am See. Er sei wie viele Intellektuelle der damaligen Zeit „Großdeutsch gesinnt gewesen, aber nur kulturell und nicht aggressiv“, erzählt Gmasz. „Wir haben Reden und Texte von ihm erhalten, aber es fand sich darin kein einziger antisemitischer Anwurf. Das hat die Arbeit für mich sympathischer gemacht.“ Seine „völkischen“ Ambitionen versuchte er über den Gesangverein „Germanennest“ und den „Deutschen Turnverein Vier Burgen“ zu realisieren. Sein großes ideologisches Ziel habe Wolf „in der Vereinigung aller Deutschen im Sinne einer Volksgemeinschaft gesehen“.

Wolfs Gesinnung. Mit der Machtverschiebung innerhalb des rechten Lagers von den Großdeutschen zu den Nationalsozialisten in den frühen 1930er-Jahren zog er sich aus der Politik zurück, um sich fortan seiner in Wien geführten Vierburgen-Apotheke zu widmen. Wolfs Gesinnung betrachtet Autor Gmasz sehr differenziert. „Die Deutschtums-Ideologie war keine einheitliche Bewegung, sondern zergliederte sich in viele Gruppen, die im Spannungsfeld von radikalem und liberalem Nationalismus agierten“, erzählt Gmasz. Wolf habe sich vor allem auf die deutsche Kultur, auf Werte wie Tüchtigkeit, Ordnung und Gehorsam berufen. Er sei zudem ein Wohltäter gewesen, der Soldaten versorgte und Flüchtlingskinder nach Neusiedl am See einlud. „Mir war wichtig, die Grautöne herauszuarbeiten. Vieles wird heute nur mehr Schwarz oder Weiß gesehen. Man muss Dinge genauer betrachten, es lässt sich nicht alles so einfach in Schubladen stecken.“ Autor Gmasz zeichnet in dieser Biografie das Lebensbild eines politischen Idealisten, das die für viele intellektuelle Deutschwestungarn charakteristische innere Zerrissenheit zwischen ungarischer Erziehung und dem wachsenden Bekenntnis zum „angestammten deutschen Volkstum“ subtil dokumentiert. Die Biografie sei „ein wichtiger Beitrag zu einer kritischen Geschichtsschreibung anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Burgenland und für die biographische zeitgeschichtliche Forschung zur politischen Kultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, kommentiert Oliver Rathkolb, Vorstand am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien.

Keine Lobby. Warum die Bedeutung Adalbert Wolfs als Geburtshelfer des Burgenlandes nie richtig gewürdigt wurde? Gmasz glaubt den Grund dafür zu kennen. „Er hat keinem politischen Lager angehört. Die Großdeutschen sind zwar durch die Nationalsozialisten nach oben geschwommen, da war er aber nicht dabei. Er hat keine politsche Lobby gehabt“, erzählt Gmasz im martinus-Gespräch. Dazu sei er ein wenig „aus der Zeit gefallen“ gewesen und habe altmodische Züge in seinen Reden aufgewiesen. Sprich: Er konnte seine Rolle nicht gut verkaufen. Gmasz fasziniert die Recherche rund um das Leben und Wirken des Adalbert Wolf merklich. Erst vor kurzem wurde er von Verwandten Wolfs aus Kanada kontaktiert, die sein Buch gelesen hatten. Bea Quarrie, 76, lebt heute in Ontario (Kanada) und war dort 45 Jahre lang Theaterdirektorin. Auf ihrer Flucht aus Ungarn 1956 traf sie als kleines Mädchen die Witwe von Adalbert Wolf, die ihrer Mutter einen goldenen Ring schenkte, den heute Bea Quarrie trägt. Im Sommer will sie nach Neusiedl kommen, das Familiengrab besuchen – und sich mit Autor Gmasz treffen. Den Historiker freut das: Die Recherche geht weiter. «

BUCHTIPP
Der Traum von einem großdeutschen Vierburgenland.
Sepp Gmasz, Eigenverlag, Hardcover, Biographie, 240 Seiten,
€ 28,-; ISBN: 978-3-200-07696-9

Autor:

Martina Mihaljević aus Burgenland | martinus

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