Interview mit Weihbischof Hansjörg Hofer
Meine Geschichte mit Gott
Seit 2017 ist Hansjörg Hofer Salzburger Weihbischof. Im großen und persönlichen Interview mit dem Rupertusblatt spricht der Geistliche über seine Berufung, seinen Werdegang in der Erzdiözese, seine Erfahrungen und Sorgen in der Pandemie und seine Sendung zu den Menschen.
von David Pernkopf
RB: Wie geht es einem Weihbischof in Zeiten der Coronapandemie?
Weihbischof Hansjörg Hofer: Ich habe diese Zeit sehr zwiespältig erlebt: bedrückend und hoffnungsvoll zugleich. Der Lockdown hat vieles gebremst und verhindert. Es war schwierig für mich, den langen Atem zu behalten. Die Leute zu motivieren, war und ist in dieser Zeit nicht einfach.
RB: Haben Sie die Krise auch als persönliche Krise erlebt?
Hofer: Natürlich hat das auch mit mir etwas gemacht. Die leeren Bänke im großen Dom zu Neujahr – das war für mich schon herausfordernd. Es hat mich belastet, ohne Gemeinde den Gottesdienst zu feiern. Aber auch der plötzlich leere Terminkalender war eine persönliche Herausforderung. Alle Termine abgesagt. Ich war sozusagen „entpflichtet“ von meiner normalen Arbeit und von der Begegnung mit den Menschen. Das war – ohne Zweifel – eine gewisse Erfahrung der Leere.
Da habe ich die Möglichkeit ergriffen, bestimmte Dinge zu ordnen und aufzuarbeiten. Positiv war aber die neu gewonnene Zeit auch für das persönliche Gebet, die Betrachtung, das geistliche Leben. Das „Beim-Herrn-allein-sein“ gehört ja ganz wesentlich zur priesterlichen Identität und Lebensform.
RB: Haben Sie Tipps für ein geistliches Leben in Zeiten ungewollter Ruhe?
Hofer: In solchen Situationen ist der Rückzug in die Stille sinnstiftend. Die Hauskapelle im Domherrenhaus, in dem ich wohne, war und ist für mich eine unverzichtbare geistliche Oase. Die Begegnung mit Jesus im persönlichen Gebet trägt und schenkt Kraft, Hoffnung, Mut und Zuversicht. Langweilig ist mir eigentlich nie geworden. Ich hatte auch sehr viel Zeit zum Nachdenken und mein Leben und Tun zu hinterfragen.
RB: Wie kann man gut über sich selbst und seine Situation nachdenken?
Hofer: Dazu braucht es Einübung. Gott will, dass unser Leben gelingt. „Seine Freude ist es, bei den Menschen zu wohnen“, lesen wir bei den Propheten. Die Frage ist nur: Wollen wir das auch? Nützen wir diese Kraft? Welche Rolle spielt Gott in meinem Leben? Ein Kehrvers im Gotteslob ist mir dabei sehr wichtig geworden: „Die Freude an Gott ist unsere Kraft“. Diese Freude an Gott aber zu spüren, ist jedoch kein Zufallsprodukt, sondern das Geschenk eines konsequenten geistlichen Weges. Und dazu lade ich jede und jeden ein.
RB: Hatten Sie auch Angst in dieser Zeit?
Hofer: Angst habe ich eigentlich nicht gespürt. Wohl aber habe ich erlebt: Wir haben nicht alles im Griff. Für mich war am schmerzlichsten, dass ich nicht bei den Menschen sein konnte. Denn bei den Leuten lebe ich auf. Das nicht zu können, hat mich schon betroffen gemacht.
RB: Verstärkt die Pandemie und ihre Folgen das Ausdünnen eines ohnehin schon geschwächten kirchlichen Lebens? Anders gesagt: Beschleunigt sie das Ende der Volkskirche?
Hofer: Das war und ist für mich ein permanentes Thema. Es ist vieles weggebrochen. Die Frage, die mich umtreibt, heißt: Kommen die Leute wieder zurück? Da habe ich meine Bedenken. Denn ich vermute: von selber werden viele leider nicht mehr kommen. Vielleicht hat sich mancher den Gottesdienstbesuch endgültig abgewöhnt. Deshalb sind wir alle gefordert, ein missionarisches Zeichen zu setzen und ganz bewusst zu den Menschen zu gehen. Wir brauchen eine Offensive in der „Nachgeh-Seelsorge“. Ohne eine gewisse „Rückhol-Aktion“ wird es wohl nicht gehen. Offene Arme, eine werbende Sprache und Vieles andere mehr sind da notwendig.
RB: Gibt es eine geistliche Dimension in dieser Krise?
Hofer: Grundsätzlich ist zu fragen: Was will uns Gott durch diese Pandemie sagen? Denn er spricht zu uns durch Menschen und Ereignisse. Auch durch dieses leidvolle Ereignis spricht Gott zu uns. Hier gilt es hinzuhören. Mir ist sehr deutlich geworden: Das Leben ist gefährdet. Wir haben nicht viel in der Hand. Wir sind nicht die Herren der Schöpfung. Da taucht die Frage nach Gott auf einmal wieder auf. Vielleicht geht es auch darum, Gott seinen eigentlichen Platz wieder zuzuerkennen. Und: ein unbegrenztes Wachstum kann es auf Dauer nicht geben. Das sind einige Ansätze, die wir vertiefen müssen. In vielen ist auch wieder eine Sehnsucht nach dem Gottesdienst aufgebrochen. Diese Zeichen müssen wir ernst nehmen.
RB: Kommen wir zum Alltag eines Bischofs jenseits von Corona. Sie sind seit vier Jahren Bischof. Was hat sich in Ihrem Leben verändert?
Hofer: Ich war vorher 25 Jahre Personalreferent und 11 Jahre Generalvikar. Da war ich auch für die Personalpolitik zuständig. Wenn ich in dieser Aufgabe einen Priester besucht habe, hat er sich die Frage gestellt: „Was will denn der Generalvikar von mir? Er hat sicher ein Anliegen, und das ist meist eine zusätzliche Aufgabe“. Als Bischof jedoch komme ich zu meinen Mitbrüdern und will nichts Derartiges, außer zu fragen: „Wie geht es Dir?“ Das ist ein wesentlicher und spürbarer Unterschied. Denn als Weihbischof komme ich als Seelsorger und nicht als Manager.
Aber es gibt auch große Ansprüche. Die Menschen erwarten sich ganz zurecht etwas von einem Bischof. Da stelle ich mir schon die Frage: Gelingt es mir, gemäß meinem bischöflichen Motto – „Ad Christum“ – sie zu Christus zu führen? Wird das, was ich versuche zu sagen, auch ernst genommen? Kann ich diesen Anforderungen und Erwartungen entsprechen?
RB: Was genau sind die Aufgaben des Weihbischofs?
Hofer: Ich versuche, unseren Erzbischof so gut es geht zu unterstützen: in sakramentalen, liturgischen und repräsentativen Aufgaben bei Firmungen, Jubiläen, diversen Festen, speziellen Anlässen. Eine schöne und wichtige Aufgabe sind auch die bischöflichen Visitationen, das heißt die offiziellen Bischofsbesuche, die jedes Jahr in den Pfarren eines bestimmten Dekanats stattfinden. Dabei habe ich neben vielen Begegnungen – auch in den Schulen – die Möglichkeit, den unzähligen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Pfarren im Namen des Erzbischofs und der Kirche für ihren wirklich engagierten und oft auch jahrzehntelangen Einsatz ganz öffentlich und aufrichtig zu danken. Hut ab vor all diesen Leuten, die so viel Zeit, Idealismus, Kompetenz in die Pfarren investieren. Sie sind die wahren Schätze der Kirche. Von ihrem Einsatz leben unsere Pfarrgemeinden. Von ihrem Tun und Beten geht viel Segen aus. Von ihrem Mittragen, Mitgehen, Mitbeten und oft auch Mitleiden bin ich selber immer wieder persönlich ergriffen. Ihnen allen Vergelt’s Gott zu sagen und sie neu zu motivieren, freut mich besonders.
RB: Haben Sie eine ganz persönliche Sendung? Wofür will Gott sie ganz besonders „benützen“?
Hofer: Besonders wichtig ist mir das ehrliche Gespräch von Du zu Du auf Augenhöhe. Ebenso das Zuhören, Trösten, Motivieren, Ausgleichen, Aufrichten. Dazu gehört auch, mit den Menschen über Gott, den Glauben, ihre persönliche Berufung, die Kirche und die diversen „heißen Eisen“ zu reden und dabei um Verständnis für die Sichtweise unseres Glaubens und der Kirche zu werben.
RB: Wie betreibt der Weihbischof Seelsorge?
Hofer: Neben den diversen Gesprächen auch durch das Gebet. Vor allem durch das stellvertretende Gebet. Ich bete für die Diözese, die Priester, die Welt, die Menschen in all ihren Nöten und Sorgen. Ich hol mir immer wieder ganz konkrete Menschen vor mein geistiges Auge und bete bewusst für sie in ihren Anliegen. Zudem nutze ich die vielen Begegnungen, die der Tag mit sich bringt, für die Seelsorge. Auch die Schreibtischarbeit dient letztlich der Seelsorge. Wenn ich Briefe schreibe oder Dokumente unterzeichne, bete ich für jene, die davon betroffen sind.
Natürlich ist auch die Predigt Seelsorge. Ich bereite mich sehr gewissenhaft auf sie vor. Dabei kommen mir in der Kapelle oft die besten Gedanken. Wenn ich einfach vor Gott da bin, schenkt er mir Ideen und Impulse. Dann feile ich am Schreibtisch weiter. Ich bitte den heiligen Geist: Lass mich die richten Worte für die Menschen finden.
RB: Was bedeutet Seelsorge für Sie konkret?
Hofer: Mich treiben die Fragen um: Wie geht jemand aus einer Begegnung mit mir weg? Konnte ich ihm etwas mitgeben, ihm womöglich weiterhelfen? Welches Bild von Gott und der Kirche haben die Menschen durch mich erhalten? Seelsorge ist für mich die Zuwendung zu den Menschen, um sie weiter zu Christus zu führen. Es geht mir darum, alle Lebenssituationen als Seelsorgemöglichkeiten zu verstehen. Ich möchte nicht übers Wetter reden, wenn ich zu den Menschen komme.
Besonders ist es die Seelsorge an den Mitbrüdern, den Priestern, die mir aufgetragen ist.
RB: Wie sieht diese dann aus?
Hofer: Schon als Generalvikar war es mir ein Anliegen, die Mitbrüder zu besuchen und nicht am Telefon oder brieflich mit ihnen zu kommunizieren. Als Weihbischof möchte ich das noch mehr vertiefen. Die erste Frage lautet dann oft: „Wie geht es Dir als Mensch und als Priester?“
RB: Wie nehmen die Mitbrüder diese Besuche auf?
Hofer: Ich mache die Erfahrung, dass sie sich darüber freuen. Manche öffnen sich mehr, andere weniger. Dabei ist mir schon bewusst, dass ich mir Zeit nehmen muss für sie. Da schaue ich nicht auf die Uhr. Immer wieder ist der gemeinsame Gang in die Kirche oder die Frage: „Warum bist du Priester geworden“? ein Gesprächsöffner. So sind wir mittendrin in der Lebenssituation des Priesters. Ich will meinen Mitbrüdern ganz bewusst vermitteln, dass ich an ihrem Leben Anteil haben möchte, wenn sie es wollen.
RB: Wie geht es den Priestern grundsätzlich in der Erzdiözese?
Hofer: Das ist ganz unterschiedlich. Aber es sind Tendenzen zu erkennen. Pensionierte Mitbrüder freuen sich, wenn sie noch gebraucht werden. Sie haben Sorgen um Gesundheit und Pflege. Viele jüngere Mitbrüder leiden an der Situation der Kirche, am Rückgang der Kirchenbesucherinnen und -besucher, an der verbreiteten Gottvergessenheit, an der Schwierigkeit der Glaubensvermittlung, aber auch am Missbrauchsskandal, auch wenn keine persönliche Verfehlung vorliegt. Die zunehmende Arbeitslast sowie die priesterliche Lebensform sind auch immer wieder Thema.
RB: Warum sind Sie Priester geworden?
Hofer: Ursprünglich wollte ich Tischler werden. Ich bin sozusagen neben der Hobelbank aufgewachsen und hätte als Ältester den Familienbetrieb übernehmen sollen. Ich war aber auch eifriger Ministrant. Eines Tages nahm mich der damals schon alte Heimatpfarrer zur Seite und fragte: „Möchtest du nicht auch Priester werden?“ Was ich darauf geantwortet habe, weiß ich nicht mehr, aber mir war völlig klar: durch diesen Priester hat mich Jesus angefragt. Von da an hat mich diese Frage nicht mehr losgelassen. Sie hat mich umgetrieben, da ich gespürt habe: Jesus will etwas von mir, aber ich laufe davon. Drei Jahre hat mich dieser innere Kampf beschäftigt. In den Schulen oder bei Visitationen sage ich gerne: „Eigentlich bin ich ein Flüchtling. Denn ich bin drei Jahre vor Jesus geflüchtet“. Als ich mich aber dann dem Ruf Jesu gestellt habe, war der weitere Weg klar: Borromäum, Matura, Priesterseminar. 1971 bin ich unter Regens Lüftenegger eingetreten. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie mich während der Zeit im Borromäum nie auf meine Zukunft angesprochen oder gedrängt haben, Priester zu werden. Erst nach der Matura haben sie gefragt, was ich nun werden will. Dann habe ich ihnen eröffnet, was sie ohnehin vermutet haben.
RB: Was gab Ihnen Kraft und Durchhaltevermögen in dieser Zeit?
Hofer: Mein Primizspruch war und ist für mich besonders wichtig: „Geh nur wohin ich dich sende. Verkünde, was ich dir auftrage. Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir“ (Jer 1,7f). Diese Verse aus dem Buch Jeremia gaben mir damals Kraft und sie tun es auch noch heute. Anders als der Prophet Jesaja hadert Jeremia mit seiner Berufung: „Ich kann das nicht, bin schüchtern und kann nicht reden“. Daraufhin sagt ihm Gott die Worte, die ich als Primizspruch gewählt habe. Ich identifiziere mich mit Jeremia. Das ist auch meine Geschichte mit Gott.
RB: Wie kann man den Ruf Gottes hören und darüber auch sprechen?
Hofer: Das ist nur möglich, wenn ich mich ganz Gott aussetze. Dann ist sein Ruf spürbar. Darüber reden kann man nur aus einer persönlichen Betroffenheit heraus. Und dabei geht es mehr um das persönliche Zeugnis und weniger um theologische Reflexionen. Wir brauchen Schwierigkeiten nicht zu verschweigen. Auch für Berufene gibt es Krisen. Denn den Weg der geistlichen Nachfolge gibt es nicht zum Nulltarif. Bewähren muss sich eine Berufung im Alltag. Dann wird aber auch sehr schnell deutlich: Der Priesterberuf kann sehr wohl glücklich machen.
RB: Wie schaut dieser Alltag bei Ihnen konkret aus?
Hofer: Ich bin Frühaufsteher. Ich liebe die Stille des Morgens. Gebet, Betrachtung und geistliche Lesung. Dann gehe ich um 7 Uhr, wenn ich nicht auswärts bin, in den Dom zum Breviergebet und zur heiligen Messe. Danach frühstücke ich mit meiner Haushälterin, die mich seit fast 40 Jahren begleitet. Das ist auch eine Berufung, die es leider so fast nicht mehr gibt. Danach geht es ins Büro zu Terminen, Besprechungen, Sitzungen oder auch Ausfahrten und anderen Verpflichtungen. Abhängig von Abendterminen endet mein Tag in der Regel um ca. 22 Uhr.
RB: Noch eine persönliche Frage. Wie haben Sie Ihren Sommer verbracht?
Hofer: Nach ein paar gemeinsamen Tagen mit meinen priesterlichen Freunden und Weihekollegen in Kärnten war ich in meinem Heimatort Stumm. Der Kontakt zu meiner Heimatgemeinde ist mir sehr wichtig. Da mache ich jedes Jahr zwei Wochen Urlaub und vertrete dabei den Ortspfarrer. In dieser Zeit wohne ich in meinem Elternhaus, einem alten Holzhaus. Nach der Morgenmesse bzw. vor der Abendmesse geht es dann mit dem E-Bike oder zu Fuß durch das Zillertal oder hinauf in die Berge. Natürlich traf ich auch meine Familie und viele Leute im Ort. Das war für mich ein sehr schöner Sommer.
Autor:Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT |
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