Wort zum Sonntag: Dechant Herbert Döller
Wer fängt an, aufzuhören?
Wenn es heißt: „Wer hat angefangen“, dann es ist immer der/die andere gewesen. Nach dem Hören oder Lesen des heutigen Sonntagsevangeliums aber wird klar, dass sich Jesus nicht mit der Frage „Wer hat angefangen?“ beschäftigt, sondern dass es ihm darum geht: „Wer fängt an, aufzuhören?“
Als Illustration des Evangeliums bietet uns die Leseordnung als Vorbild aus dem Alten Testament den König David. Aus Eifersucht und Neid über dessen Erfolge wird König Saul zu Davids ärgstem Feind, der ihn hasst, ihn verflucht und sogar schon einmal aufzuspießen versuchte. Sein Hass geht soweit, dass er ihn mit einer Soldateska verfolgt. Die Lesung erzählt nun, wie David sich mit einigen Vertrauten nächtens an den König anschleicht und ihn leicht hätte töten können. Seine Freunde erwarten es sogar von ihm und wollen diese „Arbeit“ für ihn erledigen. David aber lässt es nicht zu. Er nimmt lediglich Speer und Trinkgefäß des Königs an sich, um ihm die Trophäe später als Beweis seiner Loyalität und Treue zu präsentieren. Und so kann Saul dann seinen Fehler einsehen. „Ich habe töricht gehandelt und schwere Fehler gemacht“, sagt er, und entlässt schließlich David mit einem Segen in seine Zukunft.
Das eigene Spiegelbild – ein trügerisches Verhaltensmuster
Hätte sich David verhalten wie ein Spiegel, der genau das wiedergibt, was er „sieht“, wäre die Sache anders ausgegangen. Hätte David weitergetan, wie Saul angefangen hatte, dann wäre das geschehen, was eine indische Fabel schildert: „Einst verirrte sich ein Hund in ein Spiegelkabinett. Er setzte sich zuerst in die Mitte und schaute um sich, aber wohin er auch blickte, er sah nur sich selbst, nämlich Hunde; Da begann er die Zähne zu fletschen und zu knurren. Alle Hunde taten es ihm gleich, und er bekam Angst. Er bellte den nächstbesten Hund an, und mit ihm bellte jeder andere Hund zurück. In seiner Aufregung sah er nur die wütenden Gesichter um sich herum und begann zu laufen, aber er konnte die anderen Hunde nicht abschütteln. Er jagte Stunden um Stunden im Kreis und brach schließlich mitten im Raum tot zusammen, nur gehetzt von seinem eigenen Spiegelbild.“ Hätte er sich hingesetzt und angefangen, freundlich mit dem Schwanz zu wedeln, wäre alles anders gekommen.
Feindschaft wandelt sich in Segen
David hat den König verschont und zeigte sich dadurch als der Stärkere. So verwandelte sich tiefe Feindschaft in Segen. Indem er sich von der Fixierung auf die eigene Person löste, wurde er frei für den Nächsten. David hat sich als König erwiesen, weil er Respekt hatte vor dem Menschen, selbst vor dem Feind. Er hat im entscheidenden Moment auf die Erniedrigung des Gegners verzichtet und so Saul aus seinem feindlichen, gehässigen und verfluchenden Denken gelöst. Auch in dieser Weise ist David so ein Vorausbild für Jesus, der mit seinen Worten genau auf eine solche Haltung hinaus will. Einzig in der Liebe – in der Wirklichkeit Gottes, der die Liebe ist – finden wir innere Ruhe und (zusammen mit unseren Mitmenschen) unser Lebensglück.
Mit der Barmherzigkeit anfangen
Paulus spricht von den Nachfahren des neuen Adams. Wir dürfen bei ihnen genau an solche Menschen denken, die in ihrem Handeln nicht die Feindschaft widerspiegeln, die sie vielleicht erfahren, die nicht Flüche aussprechen, wenn sie solche treffen, die nicht verletzen, wenn sie gekränkt werden. Menschen als Nachfahren des neuen Adams sind nicht reflektierende Spiegel des Bösen, sondern in ihnen zeigt sich die Haltung Jesu, der gebetet hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Wenn ich oft ratlos bin, was ich tun soll, kann ich für Feinde beten. Für wen ich ehrlich bete, der/die hört auf, mein Feind zu sein. Wenn ich für Menschen bete, mit denen ich nicht kann, schweigt die Frage: „Wer hat angefangen?“, und ich beginne aufzuhören, weil ich mit der Barmherzigkeit anfange.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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