1. Adventsonntag: Bischof Alois Schwarz

"Seid wachsam"

Jetzt werden Sie vielleicht sagen, liebe Leserin, lieber Leser, diesen mahnenden Satz muss ich mir nicht auch noch antun. Was hat denn eine solche Mahnung überhaupt in einem Evangelium verloren? Geht es hier um Misstrauen, das in unserer Gesellschaft ohnehin schon sehr großgeschrieben wird? Oder Sie fragen sich, was so eine Botschaft am Beginn der harmonischen Adventzeit verloren hat?

Lassen Sie sich hinführen zu einem Erklärungsversuch: Um diesen Satz einordnen und verstehen zu können, brauchen wir zunächst einmal die Texte der Lesungen. Da heißt es im ersten Satz aus dem Buch Jesaja: „Du, HERR, bist unser Vater“ (Jes 63,16b).

Im Nebel unserer Zeit haben wir Menschen sehr oft die Orientierung für das Eigentliche, nämlich die Ausrichtung auf Gott hin, verloren. Der Advent, der auch gleichzeitig der Beginn des neuen Kirchenjahres ist, möchte uns wie der Leuchtturm im Nebel der Zeit ein Signal setzen. Er lädt uns ein, unsere Ausrichtung zu überdenken und sich dem hinzuwenden, von dem alles Heilsame kommt – GOTT. Wir hören und lesen diese Texte am Beginn des neuen Kirchenjahres, weil sie uns erinnern wollen, dass wir Menschen in der Ausrichtung auf Gott hin Schutz und Heil erfahren. Es liegt an uns, diese Signale der Orientierung wahrzunehmen und ihnen zu folgen.

Advent – eine Einladung

Eine Möglichkeit, wie das gelingen kann, zeigt uns Paulus in der zweiten Lesung im Brief an die Korinther, wenn er sagt: „Ich danke meinem Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde, dass ihr an allem reich geworden seid in ihm, an aller Rede und aller Erkenntnis“ (1 Kor 1,4-5).

Paulus zeigt uns, wie es gelingen kann, sich an Gott auszurichten. Er nimmt GOTT als das Maß aller Dinge, als Orientierungssignal seines Lebens und, weil er das für sein Leben beschließt, kann er Gott gegenüber auch dankbar sein. Paulus denkt von Gott her, er handelt durch dieses Denken und erfährt dadurch eine große Gnade. Heute würde man dazu Liebe oder auch Freundschaft sagen. Seine Haltung führt ihn hin zur Transzendenzbegegnung mit Gott.

Wir Menschen sind eingeladen, die Haltung des Paulus auch für unser Leben anzunehmen, weil – und das ist das Entscheidende – es uns zum Heil wird.

Der Adventbeginn und damit die Texte des ersten Adventsonntages sind also eine Einladung an uns Menschen, einerseits die Ausrichtung unseres Lebens neu zu überdenken und andererseits die Entscheidung zu treffen, aus Gott heraus zu denken und zu handeln, um so neue Gotteserlebnisse in uns zu verinnerlichen.

„Mensch, sei wachsam, damit du dir das Leben nicht unnötig schwer machen musst. Schau auf dich! Ich, dein Gott, meine es gut mit dir.“

Was aber soll der Satz „Seid wachsam!“ (Mk 13,37) bedeuten? Sie kennen das, liebe Leserin, lieber Leser, wenn Sie vielleicht am Abend müde vom langen Arbeitstag nach Hause kommen, sich dann noch vor dem Fernseher mehr müde als wach einen Film anschauen oder im besten Fall mit einem Buch im Sessel versinken, dann lässt die Spannung des Alltages nach. Wir spüren, dass unser Körper sich innerlich vom Hamsterrad des Tages bereits verabschiedet.

Dieses Beispiel gilt aber nicht nur für unseren Körper, sondern dieses „Durchhängen“ und entspannen kennen wir auch in unserer Seele. Das sind Momente, in denen wir uns in der Familie und Partnerschaft oder am Arbeitsplatz dann oft nicht mehr bemühen im Umgang miteinander. Ein Wort ergibt dann das andere und es führt zu Streit und Unversöhntheit. Es kann sein, dass man dann einige wenige Minuten oder Tage später das Gesagte bereits wieder bereut, aber dann ist es meist schon zu spät. Das Sich-Gehenlassen hat ein zerstörerisches Potential.

Genau da hinein spricht Jesus die Mahnung: Seid wachsam, gebt Acht! Er sagt das nicht, weil wir IHM damit einen Gefallen tun. Er sagt das in der Sorge um den Menschen. Er spricht es uns zu im Sinne von: Mensch, sei wachsam, damit du dir das Leben nicht unnötig schwer machen musst. Schau auf dich! Ich, dein Gott, meine es gut mit dir. Diese Mahnung soll uns Menschen also wachrütteln aus unserem Durchhängen der Seele im Nebel unserer Zeit. Sie ist der Ausdruck Jesu in der Fürsorge für uns Menschen, um im Leben bestehen zu können.
Wenn wir nun hineingehen in diesen Advent aus unserer je eigenen Lebensgeschichte und aus den unterschiedlichen Lebensherausforderungen kommend, dann sollen uns diese Texte einerseits daran erinnern, dass unsere Ausrichtung Gott sei, und andererseits wollen sie uns dazu Mut, Stärkung und Hilfe zusprechen, um Gott wieder neu in unseren Alltag einzubinden.
Einen gesegneten Advent wünsche ich allen Leserinnen und Lesern!
Bischof Alois Schwarz