27. Sonntag: P. Felix Poschenreithner

Lohnt sich dieses Leben?

Vor einiger Zeit bat mich ein älterer Herr nach der heiligen Messe um ein Gespräch. Als ich mich zu ihm setzte, um ihm zuzuhören, begann er plötzlich ganz heftig zu weinen: „Was habe ich bloß aus meinem Leben gemacht“, schluchzte er. „Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, kann ich nichts Gutes entdecken, das ich gemacht hätte. Ich habe alles gehabt im Leben: Familie, gute Ausbildung und guten Beruf, Geld. Nun aber ist alles vorbei, nichts ist mir geblieben. Nicht einmal meine Kinder …“
Todunglücklich steht dieser Mann im Alter vor den Scherben seines bisher gelebten Lebens. „Dieses Leben lohnte sich nicht, es gelebt zu haben“, sagt er unter Tränen.

„Wer nicht rechtschaffen ist,
schwindet dahin …“

„Lohnt“ sich das Leben, das Sie leben? Wenn Sie kurz innehalten und Ihr Leben vorbeiziehen lassen und sich fragen: Hat sich all die bisherige Mühe und Anstrengung gelohnt? Was bleibt von dem, was ich bisher gelebt habe? Kann ich dankbar auf mein bisheriges Leben zurückschauen? Oder habe ich meine Zeit mit Oberflächlichkeiten und Nebensächlichkeiten verschwendet?

Kommt uns nicht manchmal der Gedanke, dass derjenige, der sich um ein gutes und rechtschaffenes Leben bemüht, immer das Nachsehen hat? „Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, und du hörst nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht.“ So formuliert es der Prophet Habakuk, bedrängt durch die Not und Unterdrückung des Volkes. Lässt Gott die Seinen im Stich?
Lässt er Sie im Stich und kümmert sich nicht?
Gott gibt dem Propheten eine sehr klare Antwort: Mag es auch scheinen, dass Gott zögert und nicht hört, zur rechten Zeit gibt er doch Antwort: „Wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, …

… der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben“

Es „lohnt“ sich, dem Herrn treu zu sein. Es „lohnt“ sich, in Rechtschaffenheit und Liebe seinen Weg zu gehen und sein Leben zu leben. Es „lohnt“ sich, dem Herrn zu vertrauen, auch wenn unser Glaube oft nur klein und schwach ist und wir wie die Apostel sagen müssen: „Stärke unseren Glauben!“

Der Glaube lässt uns im Vertrauen wachsen, dass Gott gut ist und das Gute für uns will. Der Glaube stärkt unsere Hoffnung, die uns ausharren lässt in schwierigen Zeiten. Im Glauben gelingt es uns, die Liebe zu leben: Gestärkt und ermutigt von der Liebe Gottes können wir diese Liebe weiterschenken, können wir uns öffnen für die Not und das Leid der anderen; in der Liebe können wir es annehmen, dass Gott nicht dann antwortet, wann wir es wollen, sondern dann, wenn die rechte Zeit gekommen ist.

In diesem Glauben werden wir erkennen, dass – auch wenn wir unnütze Sklaven sind und nur unsere Schuldigkeit getan haben – Gott immer der großzügig Liebende ist, der uns mit der Fülle des Lebens beschenkt.
Entscheidend ist, dass unser Auge und unser Herz auf Ihn gerichtet sind: In der Anbetung, in der Eucharistie, im Sakrament der Versöhnung. In diesem Schauen auf Ihn erneuert sich unser Herz und erkennen wir den Weg, der sich lohnt, ihn zu gehen.

Auf diesem Weg erfahren wir die heilende und rettende Gegenwart Gottes trotz aller Bedrängnisse und Nöte. Im Glauben wissen wir, dass ER uns nicht verlässt und dass es sich lohnt, sein Leben einzusetzen, damit durch unser lebendiges Zeugnis die Liebe Gottes in die Dunkelheit und Finsternis der Welt hineinleuchten und diese erhellen kann. So kann und wird unser Glaube Berge versetzen, weil bei Gott nichts unmöglich ist.
Dem alten Mann konnte ich nur sagen: „Lege die Scherben deines Lebens in die Hände Gottes. Das, was war, kannst du nicht mehr rückgän­gig machen. Aber Gott kann es annehmen und heilen. Du aber ergreife die Gnade, die Gott dir schenkt, damit du das Gute jetzt tust und erkennst, wie gütig Gott dir mit seiner Liebe entgegenkommt.“