Wort zum Sonntag - von H. Quirinus C. Greiwe can.reg.
„Fürchte dich nicht, glaube nur“
Auf eigentümliche Weise sind in der heutigen Erzählung zwei Erzählstränge miteinander verbunden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Ob die Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jairus bereits ursprünglich ineinander verwoben waren, lässt sich schwer klären. In jedem Fall ergeben sich bemerkenswerte Zusammenhänge im Rahmen der Gesamterzählung. Doch betrachten wir unser Evangelium genauer.
Zwei Frauen und eine Gemeinsamkeit
Zunächst handelt es sich bei beiden Kranken um Frauen. Die blutflüssige Frau ist schon reifer, die Tochter des Jairus dagegen noch ein Kind. Die ältere Bibelexegese hat in den beiden Frauen „Synagoge“ (also die Juden) und Kirche (also die Christen) gesehen, was ohne Zweifel eine allegorische Überinterpretation war, die vom Evangelisten nicht beabsichtigt war.
Ob dagegen ein weiteres Detail eher unbeabsichtigt Eingang in unsere Erzählung gefunden hat, ist weniger offensichtlich: Zwölf Jahre lang ist die Frau schon krank und kann nicht gesund werden; die Tochter des Jairus ist zwölf Jahre alt. In beiden Fällen tritt also die Zahl Zwölf hervor, die in der Heiligen Schrift eigentlich immer eine Bedeutung hat.
Endzeitliche Verheißung
Jesus Christus hat zwölf Apostel berufen und sich damit die zwölf Stämme Israels zum Vorbild genommen. Nach den Prophezeiungen der hebräischen Bibel werden es diese zwölf Stämme Israels sein, die am Ende der Zeiten in das Himmlische Jerusalem einziehen. Die Christen sind durch die Zwölfzahl der Apostel in diese endzeitliche Verheißung einbezogen, so die Deutung der Apostelberufung durch Christus.
Vor diesem Hintergrund gewinnen Heilungswunder und Totenerweckung an den beiden Frauen eine endzeitliche Dimension. Das Handeln Christi an den Frauen eröffnet also eine Perspektive der Erlösung, die deutlich über die isolierte Betrachtung zweier Wunder hinausgeht.
Vertrauen und Furcht
Zweimal nähert sich die blutflüssige Frau Jesus. Beim ersten Mal voller Hoffnung und Vertrauen, als sie ihn berührte; beim zweiten Mal, nachdem Jesus sie aufgefordert hatte, sich zu zeigen, voller Furcht. Beide Gemütsregungen sind für die Begegnung des Menschen mit der Allmacht Gottes typisch.
Einerseits regen sich Schrecken, Entsetzen und Furcht. So lesen wir es immer wieder in den Evangelien, wenn die Volksmenge von den göttlichen Machttaten Jesu erfährt. Auch die Leute, die die Erweckung von Jairus‘ Tochter miterleben, sind über die Gegenwart Gottes in Jesus Christus entsetzt. Das ist wohl die natürliche Reaktion, wenn der endliche und sündige Mensch dem ewigen und guten Gott begegnet. Wie in einem Spiegel erkennen wir dann unsere eigene Hinfälligkeit.
Andererseits regen sich Hoffnung und Vertrauen. Mit dieser Gemütshaltung nähert sich die blutflüssige Frau dem Herrn, obwohl es ihr eigentlich verboten ist, denn durch ihre Krankheit gilt sie als „unrein“ und muss sich von den Menschen fernhalten. Doch ihr Vertrauen auf die Vollmacht des Gottessohns überwindet alle gesellschaftlichen Schranken. Auch Jairus ist vom Vertrauen auf den Herrn erfüllt, als er vor Jesus niederfällt und ihn um Rettung für seine Tochter bittet.
Das Vertrauen überwindet die Furcht
„Sei ohne Furcht; glaube nur!“ Mit diesen Worten bestärkt Jesus den Synagogenvorsteher, als seine Tochter schon verloren schien. Damit stellt der Herr zugleich klar, welche der beiden Gemütsregungen obsiegen soll. Das Vertrauen auf das Erbarmen und die Gnade Gottes können und sollen Furcht und Schrecken überwinden. Zu vertrauen aber bedeutet zu glauben. Schon im Alt-Griechischen bringt ein und dasselbe Wort („pisteuo“) diese zwei Bedeutungen hervor: ich vertraue, ich glaube.
„Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.“ (Mk 5,34) Wenn wir „geholfen“ lesen, dann schreibt das griechische Original eigentlich „gerettet“. So wird viel klarer, dass es hier nicht um eine bloße Heilung von einer schweren Krankheit geht. Vielmehr soll diese Heilung nur ein Zeichen für die Errettung des Menschen durch Jesus Christus sein. Ein Zeichen für die Heilung von allen menschlichen Leiden und ein Zeichen für den ewigen Frieden.
Beide Wunder – Heilung und Totenerweckung – sind eschatologische Zeichen, die deutlich machen, dass durch die Inkarnation des Gottessohns die Heilszeit schon begonnen hat.
Anm.: eschatologisch = auf die Endzeit, das Kommen Christi bezogen; Inkarnation = Menschwerdung.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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