Wort zum Sonntag von Dr. Prüller-Jagenteufel
Das Wort, in dem Leben ist
Das Wort kommt nicht!“, sagt Herr M. enttäuscht; er hätte mir gern etwas gesagt, aber aus dem Bild im Kopf wird kein Wort mehr. Frau R. kann es noch genauer beschreiben: „Hier im Kopf ist alles da; aber sagen kann ich nicht mehr, was ich fühle und denke. Beten kann ich auch nicht mehr.“ Aber sie kann Worte noch verstehen und so bete ich mit ihr für sie.
Im Pflegeheim erlebe ich fast täglich Menschen, die aufgrund demenzieller Erkrankungen oder anderer Leiden mit dem Wort nicht mehr so selbstverständlich umgehen können wie die meisten Menschen. Dass ihnen die eine oder andere Bezeichnung eines Gegenstands nicht einfallen will, ist lästig und mühsam; dass sie sich selbst, ihre Gefühle und Gedanken nicht mehr ausdrücken können, ist ein schwerer Verlust und macht viele innerlich sehr einsam.
Wir brauchen Worte nicht nur zur Verständigung im Alltag; wir gebrauchen sie auch, um unsere Beziehungen zu gestalten, um uns selber mitzuteilen, um gemeinsame Erinnerungen und gemeinsames Wollen auszusprechen und um miteinander auszuhandeln, wie unser Leben sein soll.
Das Wort, das Gott spricht, erschafft die Welt und gibt allen Dingen Sinn
Der so genannte Prolog des Johannesevangeliums nimmt als erstes „das Wort“, um das Wunder der Menschwerdung Gottes in diesem poetischen Text mit menschlichen Worten auszuloten. Das im Original griechische Wort „Logos“ ist dabei weiter und steht sehr umfassend für das, was allen Dingen und der ganzen Welt Leben und Sinn und Bedeutung gibt. Es knüpft hier an das hebräische Wort „dabar“ an, das besonders die schöpferische Kraft des Wortes betont: das Wort, das Gott spricht und damit die Welt erschafft. Der gesamte Prolog hat zudem starke Anklänge an Beschreibungen der Weisheit, die im Ersten Testament jene Qualität Gottes verkörpert, die Welt und Menschen vom Anfang der Schöpfung an begleitet und erfüllt und die in der Welt ist, um die Menschen von der Torheit abzubringen und zu Gott zu führen. Der Sohn Gottes ist auch die fleischgewordene Weisheit Gottes.
Mir ist in diesem Jahreswechsel von 2021 zu 2022 sehr bewusst, dass unsere menschlichen Worte nicht immer weise sind und dass Worte Beziehungen nicht nur im Guten gestalten, sondern auch stören und zerstören können. In vielen Familien ist ja leider gerade die Weihnachtszeit eher von Streitgesprächen als vom tiefen menschlichen Austausch geprägt. Wir kommen als Menschen immer wieder an die Grenzen der Verständigung miteinander, verstehen einander nicht, können uns nicht verständlich machen und schaffen mit unseren Worten oft mehr Unfrieden als Liebe. In den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen dieser Tage wird das mitunter allzu handgreiflich deutlich.
Das Evangelium verbindet das Wort mit Leben und Licht. Und es beschreibt Johannes den Täufer als Zeugen des Lichts und benennt damit die Sendung jeder Christin und jedes Christen bis heute: Zeugnis zu geben für das Wort Gottes, das Licht und Leben bringt. Wirksam geschieht das wohl u. a. dadurch, dass wir auf unsere Worte achten: ob sie uns und andere lebendiger und die Welt ein Stück heller machen oder mit Gift und Groll verdunkeln; ob sie gute Beziehungen befördern oder gefährden; ob das, was wir sagen, wahr ist und voll Mitgefühl für die Schwachen oder hart und falsch.
Von Christus, dem Sohn Gottes, heißt es im Text, dass er voll Gnade und Wahrheit ist. Vielleicht ist das ein guter Vorsatz für 2022: Nur die Worte zu sprechen, die sicher der Wahrheit entsprechen, und vor allem das zu sagen, was Zuwendung ausdrückt und anderen hilft und sie aufrichtet. Aus meinen Begegnungen mit Menschen, die nicht mehr viele Worte zur Verfügung haben, weiß ich, dass die liebevolle Zuwendung entscheidend ist; in guten Momenten bringt sie Licht ins Leben – sogar ganz ohne Worte – und dann macht auch das hinfällige Leben wieder Sinn und Gottes Weisheit spielt ihr Lied für uns.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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