4. Fastensonntag: Msgr. Johann Zarl
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar

KR Msgr. Johann Zarl mit dem blinden Andreas bei der Kapelle, in der er seinen Glauben praktiziert. | Foto: Wolfgang Zarl
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Jesus will uns an den Sonntagen der Fastenzeit auf seinem Weg, der nach Jerusalem zur Kreuzigung und Auferstehung führt, zuerst die Sinne schärfen, damit wir österliche Menschen werden können.
Nach dem Weg mit Jesus in die Wüste zur Versuchung ließ er uns auf dem Berg Tabor ein wenig Himmelsluft schnuppern. Am Jakobsbrunnen kamen wir in Berührung mit dem Wasser des Lebens, das uns in der Taufe zu Christus geführt hat.

Mit dem heutigen Evangelium führt uns Jesus in die Sehschule. Er zeigt uns deutlich: Zum Sehen braucht es mehr als zwei gesunde Augen. Um begreifen zu können, was zu Ostern geschieht, braucht es die Augen des Glaubens. Und da reichen die physischen Augen nicht aus. Da braucht es die Augen unseres Herzens.
Ich habe einen jungen Freund. Er heißt Andreas. Von Geburt an ist er blind. D. h. er hat einen kleinen Schimmer. Vor Jahren habe ich ihn beim Kirtag auf der Straße getroffen und ich wollte ihn auf ein Eis einladen. Er aber hat abgelehnt. Auf meine Frage, was er sich wünscht, war seine Antwort: „Darf ich am Sonntag bei dir vorne in der Kirche sitzen?“ Seither sitzt er öfter neben mir und da strahlt sein Gesicht.

Wir haben ihm seinen großen Traum verwirklicht und in seinem Garten eine Kapelle errichtet. Täglich, in aller Früh, bevor er in die Geschützte Werkstätte nach Linz gebracht wird, feiert er dort Gottesdienst. Wenn in unserer Pfarre Anbetungstag ist, nimmt er sich diesen Tag frei und hält den ganzen Tag in seiner Kapelle Anbetung.

Man sieht nur mit dem Herzen gut...

Bei ihm ist mir der berühmte Satz aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry erst richtig bewusst geworden: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“
Wirkliches Sehen lernen ist eine Bewegung des Herzens.

Wenn Andreas neben mir beim Gottesdienst sitzt, denke ich mir mitunter: Er ist blind. Er hat nicht Theologie studiert. Er konnte nie eine richtige Schule besuchen. Aber sieht er nicht viel tiefer, viel intensiver als viele Sehende, als du und ich?

Seine Mama hat mir erzählt: „Andreas hat uns den Glauben gelehrt. Er hat uns schon so viel gegeben. Durch ihn sind auch wir ein bisschen sehender geworden.“ An seinem Beispiel wird mir immer klarer: Wahres Sehen ist nicht Sache eines Augenblicks. Ja, es gibt sie, diese „Aha-Erlebnisse“, ein toller Sonnenaufgang oder -untergang, ein Gipfelerlebnis. Aber das ist nicht die Regel.

Wirkliches Sehen lernen ist ein Prozess, eine Bewegung des Herzens.

Vielleicht ist die Fastenzeit dazu wieder ein guter Anstoß. Ich lade Sie ein zu einem Bilder-Fasten. Wer von morgens bis abends mit Bildern und Eindrücken überschüttet wird, der wird nicht tiefer sehen, weil Verstand und Herz nicht erreicht werden.

Ich erahne im anderen seine Seele. Und das lässt mich in ihm mehr, manchmal sogar Gott spüren.
Um dieses Sehen wieder zu lernen, braucht es heute das Fasten mit den Augen: Fernsehen, Internet, Handy und wie diese Geräte alle heißen, einmal zur Seite legen. Die Umgebung, die Natur, die Menschen um sich bewusst anschauen, ihr Leben wahrnehmen, sich davon berühren lassen. Sein eigenes Leben anschauen, so wie es wirklich ist. Dabei verweilen. Dankbarkeit empfinden für all das Selbstverständliche. Dann kann solches Sehen zum Blickkontakt mit Gott führen. Oder wie beim Geheilten des Evangeliums zum Bekenntnis: „Ich glaube, Herr!“

Von einem Blinden habe ich vor einiger Zeit ein Interview gelesen. Auf die Frage, ob er wieder sehen wolle, war seine Antwort überraschend. „Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Seit ich blind bin, nehme ich meine Umgebung ganz anders wahr. Ich bin nicht mehr vom Äußeren abgelenkt. Ich erahne im anderen seine Seele. Und das lässt mich in ihm mehr, manchmal sogar Gott spüren.“

KR Msgr. Johann Zarl mit dem blinden Andreas bei der Kapelle, in der er seinen Glauben praktiziert. | Foto: Wolfgang Zarl
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Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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