Wort zum 6. Ostersonntag - von Josef Pichler
Das Testament unserer Mutter

„Der blühende Baum war mir gleichsam ein Hoffnungszeichen für neues Leben und Auferstehung“ – Zeichen für das Leben in Fülle, das Gott denen gibt, die lieben. | Foto: Stephan - stock.adobe.com
  • „Der blühende Baum war mir gleichsam ein Hoffnungszeichen für neues Leben und Auferstehung“ – Zeichen für das Leben in Fülle, das Gott denen gibt, die lieben.
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Als unsere liebe Mutter im Jahr 1994 im Alter von 84 Jahren starb, war ich 5000 Kilometer weit weg von daheim. Ich war als Missionar unterwegs in Ghana im westafrikanischen Busch, auf dem Weg von der Hauptstadt Accra zurück in meine Pfarre Adeemmra in den entlegenen Afram Plains. Da ich telefonisch nicht erreichbar war, musste mir der Provinzial der Steyler Missionare nachfahren, um mir die Nachricht zu überbringen.
Im Garten des Missionsspitals von Kwahu Tafo sagte er mir unter einem blühenden Magnolienbaum, dass unsere Mutter verstorben war.

Der blühende Baum aber war mir gleichsam ein Hoffnungszeichen für neues Leben und Aufer­stehung. In der schweren Zeit der Kriegs- und Besatzungsjahre hatte sie acht Kindern das Leben geschenkt, zwei davon waren schon bald nach der Geburt verstorben, zwei von uns sind Priester geworden. Darüber hatte sie rückblickend gesagt: „Der HERR hat uns nicht nur zwei Kinder genommen, ER hat uns auch zwei Priesterberufungen geschenkt.“Erst nach ihrem Begräbnis kam ein Brief zum Vorschein, den sie gleichsam als ihr geistliches Testament an uns Kinder geschrieben hatte:

„Meine lieben Kinder! Wenn ihr diesen Brief findet, bin ich nimmer bei euch. Daher will ich noch einige Ermahnungen an euch richten. Als erstes: Seid gut zueinander, liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Haltet die Gebote, haltet den Sonntag heilig. Erfüllt treu eure Pflichten und haltet euren Stand heilig. Vergesst eure Eltern nicht und betet für uns.
Nun wünsche ich euch Gottes Segen. Vergesst eure Eltern nicht mit einem
Gebet.
Gut meinte ich alles, beleidigen wollte ich niemand.
Auf Wiedersehen, eure Mutter“

Ich habe diese Zeilen so oft gelesen, dass ich sie inzwischen auswendig kann. Oft und oft habe ich dieses Testament auch bei Hochzeitsansprachen verwendet. Denn was gibt es für eine Mutter Schöneres, als dass sie am Ende ihres Lebens ihren Kindern mit den Worten Jesu sagen kann: liebt einander so, wie ich euch geliebt habe. Und bei Begräbnissen habe ich immer wieder vom Wiedersehen gesprochen, weil wir das als tiefe Glaubensüber­zeugung von unserer Mutter gelernt hatten.„Geht in Gottes Namen!“

Wir hatten es gesehen, wie sie uns geliebt hat. Wie sie im Schweiß ihres Angesichtes das Brot für uns gebacken hat, wie sie mit dem Badewasser von uns Kindern noch die Küche aufgewaschen hat, wie die Eltern sich alles abgespart haben, um uns allen eine gute Ausbildung und das Studium zu ermöglichen. Und wenn wir nach den Ferien oder vor einer Reise uns verabschiedeten, segneten sie uns mit Weihwasser und mit den Worten: „Geht in Gottes Namen!“In der heutigen Lesung aus dem
ersten Johannesbrief heißt es: „Jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe.“ Und einige Verse zuvor hatte es geheißen: „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit.“

Die Worte unserer lieben Mutter waren keine leeren Worte, sondern es waren sichtbare, spürbare Taten. Ganz aufrichtig und überzeugend verbinden sich die Worte aus dem Testament unserer lieben Mutter mit dem Auftrag Jesu bei seinem Abschied aus dieser Welt: Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe.Die Abschiedsworte Jesu waren keine leeren Worte. Sie waren die Zusammenfassung aller Gebote und seiner Sendung für uns: damit wir das Leben haben und es in Fülle haben.
Möge der heutige Muttertag ein Ehrentag für unsere lebenden und auch für die uns schon vorausgegangenen Mütter sein und uns in Erinnerung rufen, welches Vermächtnis sie uns durch ihre Liebe hinterlassen haben.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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