Sr. Johanna Datzreiter – Missionarin zwischen Bürgerkrieg und Ebola Folge 4
Wo der Pfeffer wächst

Schwester Johanna Datzreiter, Wo der Pfeffer wächst. Missionarin zwischen Bürgerkrieg und Ebola. Be&Be-Verlag, Heiligenkreuz 2019. 335 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-903118-91-1, € 12,90. 
Erhältlich in jeder Buchhandlung. | Foto: Be&Be
  • Schwester Johanna Datzreiter, Wo der Pfeffer wächst. Missionarin zwischen Bürgerkrieg und Ebola. Be&Be-Verlag, Heiligenkreuz 2019. 335 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-903118-91-1, € 12,90.
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Pavolo, der Leprakranke

Eines Tages, als ich mit meinem VW-Käfer, einem Geschenk von MIVA-Österreich, unterwegs war, hielt mich ein etwa 40-jähriger Mann an und bat mich um etwas Nahrung. Ich bemerkte, dass der untere Teil seiner Beine verbunden und er selbst ärmlich gekleidet war. Ich ahnte nichts Gutes und fragte den Mann, wie es ihm denn gehe und wohin er unterwegs sei.

Seine Antwort war frappierend: „Ich suche meine Mutter und komme aus Monrovia, wo mein Sohn mit seiner Familie lebt. Vor zwei Monaten habe ich meine Familie verlassen. Man sagte mir, für meine Krankheit gäbe es keine Medizin in Monrovia. Vielleicht hilft mir ja bei meiner Mutter im Busch ein Medizinmann, wieder gesund zu werden.“

Ich reichte Pavolo, dem kranken Mann, eine große Gurke, die ich zuvor am Straßenrand für die Schwestern gekauft hatte. Er verzehrte has­tig die Gartenfrucht und rief voll Freude aus: „Ich danke Gott für mein Leben, jetzt geht es mir wieder gut!“ Ich versuchte ihn zu überreden, mit mir zu unserer Lep­raklinik zu fahren. Dort wollte ich ihn mit Medikamenten versorgen und seine Wunden zum Abheilen bringen. Denn sonst würde er seine Mutter niemals finden, vor allem nicht in dieser schlimmen Regenzeit.

Sobald er in mein Auto gestiegen war, scharten sich auch schon Leute um uns, die mir zuriefen: „Der Mann ist ein Leprakranker, ein Aus­sätziger, der gehört nicht hierher!“ Ohne auf ihre Argumente einzugehen oder Pavolos Zustimmung abzuwarten, fuhr ich los.

Viele Jahre später, im Jahr 2014, waren es die gleichen Leute, die händeringend vor den Häusern um Hilfe schrien, als die Ebola-Epidemie Liberia auszurotten droh­te. Gegen diese pestartige Seuche gibt es bis heute keine wirksamen Medikamente, während man Leprakranken Gott sei Dank mittlerweile gut helfen kann.
Während der einstündigen Fahrt zur Lep­raklinik erzählte Pavolo, er sei der älteste Sohn einer Großfamilie. Sein Vater war schon früh an einem Schlangenbiss gestorben. Eine Kas­sawaschlange, die er beim Schneiden von Sträuchern am Schwanz erwischt hatte, rächte sich, biss ihn in den Oberarm und verursachte so seinen raschen Tod. Die Mutter brachte die beiden großen Söhne, Pavolo und seinen Bruder Yarkpawolo, zum Onkel nach Monrovia, um ihnen eine gute Schulausbildung zu ermöglichen. Diese beiden sollten später einmal die Verantwortung für ihre restlichen Geschwister übernehmen.

Nach zwei Jahren in unserer Lepraklinik wurde Pavolo als geheilt entlassen und kehrte freudestrahlend zu seiner Familie zurück, um allen das Wunder seiner Genesung mitzuteilen. Seine Familie wies ihn jedoch ab aus Angst, sich mit Lepra anzustecken. Seine Geschwister empfahlen ihm, eine neue Familie zu gründen. Sein Sohn bestellte für ihn ein Taxi, das ihn zurück zu den Schwestern bringen sollte. Durch einen Verwandten erhielt er noch die traurige Nachricht vom Tod seiner Mutter, bevor er Monrovia für immer verließ.

Zurück bei den Schwestern bot er sich an, alle anfallenden Arbeiten zu übernehmen, aus Dankbarkeit für seine Genesung. Er teilte seine Trauer der Verlassenheit und die Abschiebung durch die eigene Familie mit anderen Patienten, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatten. In Monrovia hatte er den christlichen Glauben kennengelernt. Er wollte ihn auch mit seinen Freunden in der Lepraklinik teilen. So entstand eine sehr aktive Gebetsgruppe, die für viele dieser armen Leprakranken ein Trost war.

„Kookaburra lacht für Tapi“

Bei meinen Besuchen in der Lepraklinik, wo ich mich über Pavolos gesundheitliche Fortschritte erkundigte, sah ich auch die große Not der Kinder von kranken oder bereits genesenen Eltern. Keiner der genesenen Leprakranken durfte in sein ursprüngliches Dorf zurückkehren. So ist es auch heute noch, denn es besteht noch immer eine große Furcht vor Ansteckung durch diese gefährliche Krankheit und die Angst, dadurch den eigenen Stamm auszurotten.

Diese Kinder irrten mit ihren Eltern nach der Entlassung im Busch herum, wo sie sich ein Stückchen Land aneigneten. Sie hatten natürlich keine Chan­ce, eine Schule zu besuchen. Als ich diese ausweglose Situation erkannte, schoss es mir wie ein Blitz durch meinen Kopf: Ich schreibe an Missio Österreich! Ich war mir sicher, dass sich in meiner Heimat einige treue Spender dieser Kinder erbarmen würden.

So entstand das Kinderjahrbuch 1977 von Missio Österreich mit der Titelgeschichte „Kookaburra lacht für Tapi“. In diesem Artikel ging es um Tapi, das jüngste Kind einer geheilten Leprosenfamilie des Mano-Stammes, und den „lachenden Vogel“ namens Kooka­burra. Gabriele Huber, eine zwölfjährige Schülerin der Frauenfachschule Billrothstraße 31 in Wien, las zufällig den Artikel im Missio-Kinderjahrbuch. Der Artikel berührte sie so sehr, dass sie gleich unter ihren Schulfreunden, Lehrern und Bekannten für den Bau unserer Lepraschule zu sammeln begann. Eine der Lehrerinnen von Gabriele, die dieses Projekt von Anfang an unterstützte, war Frau Dr. Edith Mock, die Frau des späteren Außenministers Alois Mock. Sie und viele andere Lehrer und Schüler aus dieser Zeit sind mit mir bis heute befreundet. Gabriele war mit ihrer Sammelaktion äußerst erfolgreich: Noch vor Ende des Jahres übermittelte uns Missio Österreich so viele großzügige Spenden der Schüleraktion, dass wir mit dem Schulbau für diese ärmsten Kinder von Liberia beginnen konnten. Es war auch das erste Zeichen, das wir gegen die Diskriminierung von Lepra­kran­ken setzen konnten.

Unsere Kookaburra-Schule für Leprakinder füllte sich bald mit all jenen Kindern, die sonst nie eine Gelegenheit zu einer Schulbildung gehabt hätten. Viel Gutes ist seither in dieser Schule passiert dank der großartigen Unterstützung der Schüler in meiner österreichischen Heimat. Durch ihre Hilfsbereitschaft haben sie unzähligen armen Kindern eine Schulausbildung ermöglicht, sodass die Schule – die einzige dieser Art in ganz Liberia – bis heute noch besteht.

So bewahrheitete sich der Spruch: „Sag’ das Gute weiter, dann wird es sich vermehren!“ Fortsetzung folgt

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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