Amselm Grün über das Wandern
Wandern – mehr als Unterwegssein, Teil 2

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Anselm Grün zeigt die spirituelle Dimension des Wanderns auf, beschreibt die Kirche als „wanderndes Gottesvolk“ sowie inspirierende Aspekte biblischer Wege. Zum Nachdenken beim Wandern und zu Hause.

Wenn Gott mit uns geht, kann uns nichts schaden, er schützt uns vor allem Unheil: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuß an keinem Stein sich stoße. Du wirst über Löwen und Nattern gehn, wirst Leu und Drachen zertreten“ (Psalm 91,11–13). Ähnlich heißt es in Psalm 37: „Vom Herrn werden die Schritte des Mannes gefestigt, er hat Gefallen an seinem Weg. Wenn er strauchelt, fällt er nicht, denn der Herr stützt seine Hand“ (Psalm 37,23–24).

Unser Weg führt durch Wüsten, durch finstere Schluchten, durch Feuer und Wasser, durch große Not. Doch wer mit Gott geht, kann immer wieder bekennen: „Muss ich auch gehen in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Du bist ja bei mir!“ (Psalm 23,4), oder: „Wir gingen durch Feuer und Wasser. Aber du hast uns herausgeführt, hin zur Fülle“ (Psalm 66,12). Gott ist mit uns auf unserem Weg und er führt uns in die Freiheit.

Gott kennt all unsere Schritte.

Unser Weg liegt immer vor Gottes Augen. Davon spricht Psalm 139: „Ob ich gehe oder ruhe – du ermisst es, du bist vertraut mit all meinen Wegen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, wohin vor deinem Antlitz fliehen? Stieg ich empor zum Himmel – du bist dort , und legte ich mich nieder in der Unterwelt – du bist zugegen“ (Psalm 139,3.7–8). Wir können vor Gott nicht davonlaufen, wir gehen vor seinen Augen. Er kennt all unsere Schritte. Er wird uns immer und überall einholen.

Wenn Gott unsere Wege kennt und wir immer vor ihm gehen, dann kommt es darauf an, dass unsere Wege auch in die richtige Richtung weisen. Daher betet der Psalmist: „Schau her, ob ich auf einem Weg bin, der dich kränkt, und führe mich auf dem Weg der Ewigkeit“ (Psalm 139,24).
Wohin geht unser Weg? Zum Hause des Herrn, zum Vater. Der Pilger betet auf dem Weg nach Jerusalem: „Welche Freude, da man mir sagte: ,Wir ziehen zum Hause des Herrn!‘ (Psalm 122,1). Und in der Verbannung erinnert er sich an seine Pilgerfahrt nach Jerusalem: „Ich denke daran, und das Herz geht mir über: wie ich im Gedränge dahinschritt, ihnen vorauszog zum Hause Gottes, beim Schall des Jubels und des Dankes, im Toben der feiernden Menge“ (Psalm 42,5). Bei Kohelet heißt es: „Ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus“ (Kohelet 12,5). Das Ziel des Wanderns ist immer die Heimat, das Daheimsein beim Vater. Wie der verlorene Sohn sollen wir uns aufmachen und zu unserem Vater gehen. Alle anderen Wege führen nur ins Verderben und machen uns genauso unglücklich, wie der verlorene Sohn es wurde. Dieser weiß es aus Erfahrung. Er ist die falschen Wege gegangen.

Der Weg zum Vater, zur Heimat, geht allerdings nicht immer den eigenen Wünschen und Vorstellungen entsprechend. Zum Vater gehen, das kann über das Kreuz führen wie bei Petrus: „Als du jünger warst, hast du dich selbst gegürtet und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst“ (Johannes 21,18). Wir können uns den Weg nicht selbst aussuchen. Wir gehen, wohin uns ein anderer führt. Wir meinen, selbst zu gehen, und doch ist da ein anderer, der uns an die Hand nimmt. „Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen“, sagt Gott zu Jeremia (Jeremia 1,7).

Richtige Wege, die ans Ziel führen, zum Vater, zur wohnlichen Stadt, in die Heimat.

Glücklich kann sich schätzen, wer sagen kann: „Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst“ (Matthäus 8,19), und wer bei all seinem Wandern durch Wüsten und Wirrnisse, durch Feuer und Wasser vertraut: „Du leitest mich nach deinem Ratschluss, hernach nimmst du mich auf in Herrlichkeit“ (Psalm 73,24).

Doch die Gefahr des Abirrens liegt nahe. Psalm 107 spricht von denen, die umherirren in der Wüste und den Weg zur wohnlichen Stadt nicht finden. So ist die Bitte berechtigt: „Zeige mir, Herr, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“ (Psalm 25,4). Unsere Wege sind oft nicht Gottes Wege. Wir können in die Irre gehen. Wir meinen, auf dem richtigen Wege zu sein, und doch kommen wir da nicht ans Ziel. Wer diese Erfahrungen beim Wandern gemacht hat, der versteht den existenziellen Ernst einer solchen Bitte, dass unsere Wege auch Gottes Wege seien, richtige Wege, die ans Ziel führen, zum Vater, zur wohnlichen Stadt, in die Heimat.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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