Anselm Grün über das Wandern
Wandern – mehr als Unterwegssein, Teil 1

Anselm Grün zeigt die spirituelle Dimension des Wanderns auf, beschreibt die Kirche als das „wandernde Gottesvolk“ sowie inspirierende Aspekte biblischer Wege.

Wenn wir die verschiedenen Redewendungen der Heiligen Schrift anschauen, in denen die Wörter „gehen“ und „wandern“ vorkommen, so entdecken wir in deren Gebrauch schon ein ganz bestimmtes Verständnis, vielleicht sogar eine regelrechte Theologie. Da sind zunächst viele Redewendungen, die Haltungen nennen, in denen wir wandern sollen.

Wir sollen nach Weisung des Herrn wandeln (Exodus 16,4), auf den Wegen des Herrn gehen (Deuteronomium 8,6). Statt in Sünden (1 Könige 16,31) und Finsternis (Hiob 29,3) sollen wir im Licht wandeln (Hiob 24,17, Jesaja 1,5). Wir sollen in Demut vor unserem Gott wandeln (Micha 6,8) oder, wie Paulus sagt, „in der Wirklichkeit des neuen Lebens“ (Römer 6,4), in der Liebe (Römer 15,15), im Glauben (2 Korinther 5,7), im Geist (Galater 5,16) und in der Wahrheit, wie es der Johannesbrief ausdrückt (2 Johannes 1,4). [...]
Nichts kann Israel etwas anhaben, wenn Gott mit ihm zieht.

Umgekehrt verheißt Gott auch, dass er mit den Menschen wandeln will: „Ich gehe in eurer Mitte; ich bin euer Gott und ihr seid mein Volk. Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus dem Land der Ägypter herausgeführt hat, sodass ihr nicht mehr ihre Sklaven zu sein braucht. Ich habe eure Jochstangen zerbrochen und euch aufrecht gehen lassen“ (Levitikus 26,12f.). Für die Israeliten ist das Mitgehen Gottes ein Bild für die Erlösung. Gott ging mit dem Volk bei der Befreiung aus Ägypten, er begleitete es tagsüber in der Wolke, des Nachts in der Feuersäule. Wenn Gott mit den Menschen geht, dann können sie aufrecht gehen, erlöst, befreit. [...]

Miteinander gehen

Nicht nur Gott geht mit uns und wir mit Gott. Die Heilige Schrift spricht auch oft davon, dass Menschen miteinander gehen. Mit dem anderen zu gehen ist ein Zeichen der Solidarität, des Mitseins mit ihm. So heißt es bei Jesus Sirach 7,34, dass wir mit den Trauernden gehen sollen. Wenn ich mit dem anderen gehe, werde ich eins mit ihm, erfahre ich Gemeinschaft.

Beim Propheten Amos heißt es: „Können denn zwei miteinander wandern, es sei denn, sie werden einig unterwegs?“ (Amos 3,3). Das gemeinsame Gehen verbindet miteinander. Die Erfahrung der gleichen Mühen, das Teilen der körperlichen Anstrengung schafft eine Voraussetzung, auch mit dem Herzen des anderen eins zu werden. Wer auf dem Wege ist, ist noch offen für den anderen, er wird sich einig werden mit ihm. Nur wer festgefahren ist, bleibt stur, erstarrt, unbeweglich, isoliert. Christus fordert uns in der Bergpredigt auf: „Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm!“ (Matthäus 5,41). Wer mit dem anderen geht, nicht gezwungen, sondern freiwillig, der kann ihn im Gehen für sich gewinnen. Die Römer hatten das Recht, einen Juden zu einer Meile Wegbegleitung zu zwingen, entweder als Wegweiser oder als Lastenträger. Jesus rät, statt der geforderten einen Meile von sich aus zwei mit dem verhassten Römer zu gehen und so durch das Mitgehen aus dem Feind einen Freund zu machen. Wer mit dem anderen geht, hat an ihm Anteil und wird eins mit ihm, er überwindet die Trennung und Isolierung und schafft so Gemeinschaft.

... dass er in der Kraft Gottes über alle Schwierigkeiten hinweg ans Ziel gelangt.

Wenn Gott mit dem Menschen geht, dann schützt er ihn vor allen Hindernissen, er schenkt ihm das Vertrauen, dass er in der Kraft Gottes über alle Schwierigkeiten hinweg ans Ziel gelangt. Von dieser Erfahrung künden vor allem die Psalmen. So betet David: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Psalm 18,30). Gott gibt dem Wanderer Kraft, im Gehen wächst ihm die Kraft Gottes zu und er ahnt etwas von der Weite und Freiheit Gottes, in die er gehend hineinschreitet. Der Beter drückt diese Erfahrung so aus: „Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen. Gott – er hat mich umgürtet mit Kraft, meinen Weg macht er lauter. Du schaffst meinen Schritten weiten Raum, meine Knöchel wanken nicht“ (Psalm 18,20.33.37).

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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