Anselm Grün über das Wandern
Wandern – als Gast auf Erden auf dem Weg zu Gott, Teil 4

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Anselm Grün beschreibt die spirituelle Dimension des Wanderns mithilfe der Theologie des Hebräerbriefs. „Der Mensch erfährt sich selbst als einen, der wesentlich auf dem Weg ist“, meint der berühmte Benediktinermönch. Auf dem Weg zu Gott.

Das Beispiel der Väter soll die Christen ermutigen, damit ihre erschlafften Hände und wankenden Knie wieder fest und stark werden (Hebräer 12,12) und sie voll Zuversicht ihren Weg gehen. Sie sollen sich von den zahlreichen Anfechtungen, von Leid und Trübsal nicht davon abhalten lassen, den Weg zur himmlischen Heimat mit Eifer und Freude weiterzugehen. Das Beispiel Jesu zeigt ihnen, dass ihr Weg notwendig durch eine Kampf- und Todeszone geht, die nur im Aufblick zu Christus und sein Kreuz bestanden werden kann. [ ...] Sie sollen auf die himmlische Heimat zugehen und mitten in der Welt doch die Welt hinter sich lassen, sie durchwandern wie Fremdlinge und Pilger: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige“ (Hebräer 13,14). [ ... ]

Die Theologie des Hebräerbriefes steht in einer Reihe mit vielen Entwürfen unseres Lebens als Weg zu Gott. Erinnert sei an Bonaventuras „Itinerarium mentis ad deum“ (Pilgerweg der Seele zu Gott), an Bunyans Pilgerreise, die das ganze Leben unter dem Bild des Weges beschreibt, an den Prolog in der Regel Benedikts, der das Leben eines Mönchs als einen Weg bezeichnet, den man mit weitem Herzen und in der Süßigkeit der Liebe läuft. Das Bild des Weges für das menschliche Leben ist in allen Religionen verbreitet. Für die chinesische Tradition ist Tao der Weg, der Gang des Alls, die natürliche Weltordnung, der der Mensch in seinem Leben entsprechen muss. Im alten Indien ist marga der Heilsweg, der ein Weg der Werke, der Erkenntnis, der leiblich-seelischen Übung (yoga-marga) oder ein Weg der Gottesliebe sein kann. Buddha lehrt den achtgliedrigen heiligen Pfad. Und die christliche Mystik kennt im Anschluss an die hellenistischen Mysterienreligionen den dreifachen Weg der Reinigung, Erleuchtung und Einigung.

Beim Gehen werden die
tiefsten Schichten des menschlichen Bewusstseins angesprochen.

Wenn man sich fragt, warum in allen Religionen der Weg als Bild für das menschliche Leben genommen wird, so wird man darauf stoßen, dass die Erfahrungen, die Menschen auf dem Wege gemacht haben und immer noch machen, so tief gehen, dass sie für die menschliche Existenz schlechthin gelten. Es geht also beim Wandern nicht nur um eine Fortbewegung, nicht nur um körperliche Ertüchtigung, um sinnvolle Freizeitbeschäftigung, sondern es werden beim Gehen die tiefsten Schichten des menschlichen Bewusstseins angesprochen. Der Mensch erfährt sich selbst als einen, der wesentlich auf dem Weg ist. Er hat hier keine letzte Bleibe. Der Tod stellt jede Heimat in Frage. Er zeigt dem Menschen, dass er in der Welt im Grund ein Fremdling ist, der nach einer ewigen Heimat sucht, wo er sich endgültig niederlassen kann. Der Mensch spürt, dass er auf seinem Weg immer weiter muss, dass er nicht stehenbleiben kann, ohne mit sich selbst uneins zu werden. [ ... ]

Der Mensch ist nicht bei sich zu Hause, sondern er ist auf dem Weg nach Hause. Und er wird dort nur ankommen, wenn er aus sich selbst auszieht und sich auf den Weg zu Gott macht, der ihn anzieht und so lange auf den Weg schickt, bis er sich nicht mehr bei Vorläufigem aufhält, sondern bei Gott selbst ankommt und bei ihm für ewig daheim ist.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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