Interview - Buchtipp
Warum ich Christ bleibe

Tobias Haberl lebt in München und erlebt sich manchmal „unter Heiden“.  | Foto: Matthias Ziegler
  • Tobias Haberl lebt in München und erlebt sich manchmal „unter Heiden“.
  • Foto: Matthias Ziegler
  • hochgeladen von Kirche bunt Redaktion

Tobias Haberl, Jahrgang 1975, arbeitet als Journalist für die Süddeutsche Zeitung und lebt in München. In der Großstadt erlebt der Katholik den Glaubensverlust seiner Umwelt hautnah mit. Er meint, dass der säkularen Welt etwas fehlt.

„Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe“ – der Titel Ihres Buchs klingt provokant. Was war die Motivation für Sie, dieses Buch zu schreiben?
Tobias Haberl: Mir fällt auf, wie überrascht, ja perplex viele Menschen sind, wenn sie erfahren, dass ich in der Kirche bin und fast jeden Sonntag in die Messe gehe. Was früher normal war, scheint etwas Unerhörtes geworden zu sein. Dazu kommt: In den letzten Jahren wurde fast nur im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal über die Kirche gesprochen – was wichtig und notwendig war –, umso wichtiger ist es, an die strahlende Seite des Glaubens zu erinnern, die Schönheit, den Trost, die Hoffnung.

Sie sehen in Ihrem Umfeld, dass die meisten Menschen nicht mehr an Gott glauben. Sie meinen, dass diesen Menschen etwas fehlt, ohne dass sie es merken. Woran erkennen Sie das?
Tobias Haberl: Viele Menschen kommen mir getrieben vor, ängstlich und atemlos. Als würden sie vor etwas davonlaufen. Als müssten sie sich permanent ablenken, um nicht über die großen und letzten Fragen nachdenken zu müssen, vor allem natürlich über den Tod. Sie scheinen eine innere Leere zu spüren, die sie bannen wollen, aber es gelingt nicht, sie werden immer nur kurzfristig befriedigt, hetzen von einem Dopaminschub zum nächsten und bleiben hungrig zurück.
Seien wir ehrlich, man kann Gott über Bord werfen, aber die große Freiheit stellt sich nicht ein, immer nur neue Ängste, Zwänge, Süchte, die längst gesellschaftlich akzeptiert sind. Leider kommen immer weniger Menschen auf die Idee, dass man sie mit einem gläubigen Leben zumindest in Zaum halten kann. Bei Chesterton (Schriftsteller, Anm.) steht: „Wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche“. Er hat recht. Die Menschen sind auf der Suche nach Sinn und Halt und wenden sich allen möglichen exotischen und esoterischen Formen zu, ohne zu ahnen, dass es all diese Techniken – Meditation, Stille, Rhythmus, Gesang – im Christentum seit 2000 Jahren gibt. Wer bei einem Abendessen von einem Klangschalenseminar oder einem Retreat in einem buddhistischen Kloster erzählt, erntet Zustimmung und Neugierde. Wer sagt, dass er jeden Sonntag in die Messe geht, sieht sich oft skeptischen Blicken ausgesetzt.
Ich habe das Buch auch geschrieben, um daran zu erinnern, welch großer Schatz das Christentum ist und wie viel Nützliches es für ein gelingendes Leben bereithält.

"Seien wir ehrlich, man kann Gott über Bord werfen, aber die große Freiheit stellt sich nicht ein."

Sie haben eine Woche in einem strengen Benediktiner-Kloster in Südfrankreich verbracht. Was haben Sie von diesem klösterlichen Leben in Ihren Alltag mitgenommen?
Tobias Haberl: In der radikalen Weltabgewandtheit dieses Ortes konnte ich nicht nur Gott näherkommen, sondern auch einen schonungslosen Blick auf mein Leben und die gegenwärtige Gesellschaft werfen – eine schmerzhafte Erfahrung. Schon am dritten Tag war ich kurz davor abzubrechen, so quälend fand ich den gnadenlosen Rhythmus der Stundengebete, das Gefühl des Abgeschnittenseins. Man muss durch diesen Schmerz hindurch, um eine Ahnung von der Freiheit bekommen zu können, die dahinterliegt, eine Freiheit, die nichts damit zu tun hat, immer das zu tun, worauf man gerade Lust hat.
Stille ist die Voraussetzung, um das Göttliche zu spüren – leider fliehen die meisten Menschen vor ihr, weil sich in ihr Fragen stellen, die Google nicht beantworten kann.
Was ärgert Sie an dem Vorwurf, dass die Kirche nicht „zeitgemäß“ ist?
Tobias Haberl: Mich ärgert, dass viele Menschen „zeitgemäß“ mit „gut“ oder „richtig“ gleichsetzen. Mich hat nie interessiert, ob etwas zeitgemäß ist, sondern immer nur, ob etwas gut oder schlecht, wahr oder unwahr ist. Natürlich steht die Kirche in vielen Punkten quer zum Zeitgeist, ich hadere selbst immer wieder mit ihren Regeln, trotzdem liegt ihre Kraft gerade in der Differenz zum Zeitgeist. Freilich muss sie anders zu den Menschen sprechen als vor 500 Jahren. Trotzdem wäre eine vollkommen zeitgeistige Kirche ein Widerspruch in sich, weil sie in einer Gesellschaft, die außer sich nichts Größeres mehr sieht, unzeitgemäß sein muss, um davon erzählen zu können, woran sie nun mal glaubt: dass Gott den Menschen Gebote gegeben hat, nach denen sie leben sollen, um die Schöpfung zu bewahren und im Tod erlöst zu werden. Jesus war definitiv nicht kompatibel mit seiner Zeit – es ist der Grund, warum sich zweitausend Jahre später zwei Millarden Menschen auf ihn berufen.
Aber warum sollte man sich von der Kirche Pflichten auferlegen lassen?
Tobias Haberl: Als Junge wollte ich auch nie in die Kirche gehen, aber ich bin trotzdem gegangen, und selbst heute fällt es mir nicht immer leicht. Die Verlockungen des Alltags, die Konsum- und Entertainmentangebote sind gigantisch. Aber das, worauf man Lust hat, ist nicht immer das, wonach man sich in der Tiefe des Herzens sehnt und was einem guttut. Heute kann ich sagen, dass sich der Rhythmus eines gläubigen Lebens auszahlt. Je älter ich werde, desto mehr achte ich auf den regelmäßigen Messbesuch, ohne mich zu quälen, wenn es doch mal nicht klappt.

"Das, worauf man Lust hat, ist nicht immer das, wonach man sich in der Tiefe des Herzens sehnt und was einem guttut."

Ja, es braucht die Kirche in einer modernen Gesellschaft, die sich immer weiter beschleunigt. Ein religiöses Leben geht nicht ohne Pflichten, aber im Glauben weiß man wenigstens, wem man sich unterwirft, nämlich Gott, während man im Alltag (und vor allem im Internet) von fragwürdigen Kräften mal hier-, mal dorthin manipuliert wird. Ich verstehe nicht, wie man sich von Gottes Geboten gegängelt fühlen kann, während man sich gleichzeitig von Tech-Gurus aus dem Silicon Valley wie eine Taube in der Skinner-Box (Versuchskäfig, Anm.) konditionieren lässt. In der Kirche gibt es Räume und Momente, die einen weg vom Ego, hin zu Gott, hin zu anderen Menschen bringen, das ist nicht nur eine grandiose Erfahrung, es macht unsere Gesellschaft auch stärker, gelassener, empathischer.
Interview: Patricia Harant-Schagerl / btb Verlag


Buchtipp

„Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe“ von Tobias Haberl, btb Verlag Oktober 2024, gebundenes Buch, 288 Seiten, Preis € 22,70.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ