Gott wartet nicht auf perfekte Momente“

Bischof Dr. Alois Schwarz betont im „Kirche bunt“-Interview: „Wir als Kirche müssen hier hinterfragen, andere Antworten geben, nach anderen Antworten suchen, mehr Fragen stellen. Wir müssen zu einer Humanisierung der Gesellschaft beitragen.“ | Foto: Ferdinand Bertl/Archiv
  • Bischof Dr. Alois Schwarz betont im „Kirche bunt“-Interview: „Wir als Kirche müssen hier hinterfragen, andere Antworten geben, nach anderen Antworten suchen, mehr Fragen stellen. Wir müssen zu einer Humanisierung der Gesellschaft beitragen.“
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Im Interview zum Pfingstfest spricht Bischof Alois Schwarz über die Bedeutung des Pfingstfestes heuer, über Kritik wegen der Beschränkungen an Staat und Kirche, aber auch über die Chancen der Coronakrise und er mahnt zum „Augenmaß“ bei Rufen nach einem starken Staat und Milliardenhilfspaketen.

Sehr geehrter Herr Bischof: Die letzten Wochen waren für alle Menschen eine ziemliche Herausforderung. Wie ist es Ihnen persönlich in der Zeit des „Lockdowns“ gegangen?

Bischof Alois Schwarz: Die Ideen der Hilfsbereitschaft vieler Menschen in ihrem Umkreis habe ich bewundert und bin dankbar für die Aufmerksamkeit füreinander. Persönlich sind mir die Begegnungen, das Unterwegssein abgegangen, auch wenn ich mit vielen Menschen telefonisch und digital in Kontakt und im Austausch war. Es war sicherlich auch eine Zeit der Herausforderungen: Krisenorganisation, Reorganisation, liturgische, pastorale, karitative Fragen. Wir waren zudem als Kirche und als Arbeitgeber gefordert. Gleichzeitig war es in gewisser Weise auch eine plötzlich freigewordene Zeit für Arbeiten, denen im Trubel des Alltags oft keine Priorität eingeräumt werden kann. Es wurde auch eine Zeit des Innehaltens, eine Art spirituelle Inventur.

Zu Ostern gab es keine öffentlich zugänglichen Gottesdienste. Viele Gläubige freuen sich, dass die Gottesdienste seit 15. Mai und zu Pfingsten zumindest in beschränkter Form zugänglich sind. Viele fragen sich aber auch, wie lange sie mit dieser Situation leben müssen.
Bischof Schwarz: Ich bin über diese positiven Entwicklungen und die aktuelle Situation dankbar. Im Nachhinein betrachtet waren die getroffenen Entscheidungen, die immer auf Basis von Wissen und Prognosen zum Entscheidungszeitpunkt gemeinsam und in großer Verantwortung und Beratung entstanden sind, richtig. Ich hoffe, dass die Zeit der großen Beschränkungen nicht mehr lange dauert. Wir haben Ostern anders gefeiert als sonst, die Vielfalt in der Glaubenspraxis wurde auch sichtbar. Die liturgischen Fragen sind vielleicht oft die offensichtlichsten: Schmerzhaft für mich war aber auch zu wissen, dass Menschen, die gestorben sind, nur im engs­ten Familienkreis verabschiedet oder noch gar nicht begraben wurden. Freunde und Bekannte konnten sich nicht verabschieden. Die Sehnsucht nach vertrauten Handlungen ist groß.

Bezüglich der Regeln gab es von verschiedenen Seiten Kritik – auch an der Kirche. Manche meinten, dass sie durch die strikten Vorgaben in ihrer Glaubenspraxis und Religionsausübung eingeschränkt waren.
Bischof Schwarz: Gott hat viele Wege, um den Menschen zu zeigen, wie er das Leben liebt und fördert. Die Frage ist ja: Wie findet Gott zu mir und wie lasse ich mich auf ihn ein? Die gewohnten Treffpunkte Gottes in der Feier der Sak­ramente waren plötzlich nicht zugänglich. Das hat zu neuen Fragen geführt, wie ich meine Beziehung zu Gott gestalten und leben kann. Glauben heißt immer Beziehung zu Gott leben.

Hat das Pfingstfest heuer vor dem Hintergrund der Pandemie eine besondere Botschaft für uns Gläubige?

Bischof Schwarz: Pfingsten ist das Fest, an dem wir uns erinnern, dass Gott seinen Heiligen Geist den Menschen schenkt. Gerade jetzt braucht es ein geisterfülltes Wirken der Chris­ten, eine neue Sprache der Mitmenschlichkeit im Aufbau von Begegnungen. Für ein kluges Handeln im Privatleben, im Beruf und in der Politik braucht es die Gabe der Weisheit und des Rates.
Unsere großen Glaubensfeste sind immer hineingerufen in die Lebensrealität der Menschen. Gott wartet nicht auf perfekte Momente, in denen er uns etwas sagen möchte. Er ist da, er ist bei uns, er geht mit uns, er will in unserer Haut stecken, er sichert uns zu: „Fürchtet euch nicht!“
Unser Leben ist zum Guten ausgerichtet. Führen wir es doch so. Wir alle haben in uns Weisheit, Harmonie, Stärke. Leben wir doch das, was an Gutem in uns ist. Unsere Antwort auf die Probleme der Welt heißt doch Liebe, Großzügigkeit, Schenken, Fürsorge, Mitgefühl. Viele haben in letzter Zeit die eigene Bequemlichkeit zurückgestellt und ihren Nachbarn geholfen. Pfingsten gibt uns den Geist für das Erweitern der Grenzen unserer Fürsorge. Der Heilige Geist stärkt unsere spirituelle Infra­struktur und Widerstandskraft. Im Grunde haben wir alle so viel an Herzenskraft.

Die Corona-Pandemie bereitet einerseits große wirtschaftliche Sorgen, andererseits wird aber auch über die positiven Effekte des „Lockdowns“ für die Umwelt gesprochen. Sie sind in der Österreichischen Bischofskonferenz u. a. für Wirtschaft und Umwelt zuständig. Wo sehen Sie die Möglichkeiten, dass hier in Österreich alle Herausforderungen gut bewältigt werden können?
Bischof Schwarz: Die letzten Wochen waren wie ein Brennglas auf die Schwächen, aber auch auf die Stärken unserer Gesellschaft. Dass Hilfe gut und richtig ist, wenn die Not akut und plötzlich ist, steht außer jeder Frage. Nachdenklich stimmt mich der stetige Ruf nach dem starken Staat, nach Milliardenhilfspaketen und damit nach Hypotheken auf die Zukunft nachfolgender Generationen. Hier wird man mit viel Augenmaß agieren müssen. Auch für uns als Diözese ist die derzeitige Situation eine finanzielle Herausforderung.

Kann die katholische Kirche bei den oben genannten Herausforderungen einen Beitrag leisten?

Bischof Schwarz: Wir können eine Stimme sein, Perspektiven geben. Das Wort „systemrelevant“ zum Beispiel hat mich nachdenklich gemacht, denn es ist eigentlich das genaue Gegenteil vom Ansatz in „Laudato si“: Wenn es ein gemeinsames Haus gibt, dann darf auf niemanden vergessen werden. In vielen Bereichen war es keine soziale, sondern eine physische Dis­tanz. Es gab vielerorts eine besondere Aufmerksamkeit für den Nachbarn, die Familie, das Miteinander. Wir als Kirche müssen hier hinterfragen, andere Antworten geben, nach anderen Antworten suchen, mehr Fragen stellen. Wir müssen zu einer Humanisierung der Gesellschaft beitragen. Wir müssen uns entschieden gegen Selektierungen im Sozial- und Gesundheitswesen, gegen Verletzungen der Würde des Menschen, gegen ethische Beliebigkeiten stellen. Wir müssen dagegenhalten, wenn das Leben der Schwächsten weiter abgewertet wird.

Am 24. Mai ist es fünf Jahre her, dass Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si“ fertiggestellt hat. In dem Schreiben spricht der Papst von der Wegwerfkultur und ökologischer Schuld. Er mahnt Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein – hat das Schreiben in der jetzigen Krise eine neue Bedeutung bekommen?
Bischof Schwarz: „Laudato si“ und die Zeit der Corona-Maßnahmen haben gezeigt, dass unsere Gesellschaft eine zutiefst verwobene Struktur darstellt. Das darf nicht aus dem Blick geraten. Die neuerliche Lektüre der Enzyklika lohnt in jedem Fall und schärft den Blick. Der Nachhaltigkeitsforscher Fred Luks hat in diesen Tagen darauf hingewiesen, dass in der Enzyklika die drei Begriffe Schönheit, Fülle und Großzügigkeit tonangebend sind und unsere Welt außer aus Knappheiten auch aus Fülle besteht. „Um eine Leidenschaft für den Umweltschutz zu fördern“, braucht es eine „Mystik, die uns beseelt“ und eine „ökologische Umkehr“ (LS Nr. 216.217). Das sind neue Blickwinkel zum Jahrestag von „Laudato si“.

Immer mehr Menschen bemühen sich, so zu leben, dass sie Gottes Schöpfung schützen. Aber viele bezweifeln, dass sie damit etwas bewirken. Muss die große „Umweltrevolution“ nicht von den politisch Verantwortlichen, den Regierungen, der EU oder den Vereinten Nationen kommen?

Bischof Schwarz: Die ökosoziale Dimension von Wirtschaftlichkeit muss sich wie ein roter Faden durch Bereiche ziehen, darf nicht Einzel­interesse sein, sondern muss Querschnittsmaterie werden. Gerade der und die Einzelne hat hier große Antriebsstärke und Kraft: Innovation und Unternehmergeist sind die Motoren der Menschheitsgeschichte. Ja, es liegt am Einzelnen. Politik kann Rahmenbedingungen herstellen, den Weg beschreiten müssen wir Menschen schon selbst. Dass Wohlstand schaffendes Unternehmertum heute zudem ganzheitlich gedacht werden muss, zeigt uns „Laudato si“ sehr deutlich.

Bietet die Coronakrise für die katholische Kirche auch Chancen?
Bischof Schwarz: Physische Anwesenheit, Präsenz, reale Teilnahme, Wahrnehmung, Zusammenstehen, Berührung und Nähe: Wenn diese Ausdrucksformen wegfallen, geht es in der Glaubenspraxis ums Ganze. Wo sind wir als Kirche präsent, wenn diese Dimensionen wegfallen? Kirche ist Gemeinschaft. Mögliche Chancen liegen im Hinschauen auf Herausforderungen, die durch Krisen entstehen oder aufgedeckt werden. Das kann für den einzelnen Menschen etwas anderes bedeuten als für eine Familie, eine Pfarre oder für uns als Diözese. Mein Eindruck ist, dass das Hinschauen derzeit vielfältig stattfindet.

Was denken Sie, macht die Coronakrise langfristig mit der Kirche und mit den Menschen?
Bischof Schwarz: Die Kirche hat ihre Präsenz in der Öffentlichkeit gezeigt und sehr verantwortlich agiert, das Leben zu schützen. Über die Frage, was macht ein gutes Leben aus, sollten wir mehr miteinander sprechen. Wird die digitale Informationsflut unser Leben fremdbestimmen? Werden wir mit noch mehr Werbung und Nachrichten zugeschüttet? Wir dürfen das Leben der alten Menschen nicht abwerten. Unser Beitrag als Kirche ist es, den Schwächsten eine Stimme zu geben. Die Welt war auch vor Corona voller Krisen, voller Not, voller Gewalt – und voller Glauben. Vielleicht macht es uns aufmerksamer für die Fragilität von Sicherheit, von sozialem Frieden, für die Sorgen und Hoffnungen der Menschen um uns. Vielleicht ändert es auch unseren Blick auf Selbstverständlichkeiten, auf Festgefahrenes. Ich würde es mir wünschen.

Der „Lockdown“ lässt auch an das biblische „Jobeljahr“ denken. Sollten wir nicht solche Zeiten – der Umwelt und uns selbst zuliebe – von Zeit zu Zeit nun freiwillig und öfter halten?
Bischof Schwarz: Ich tue mir schwer, Vergleiche von verschiedenen dramatischen Situationen zu ziehen. Es gibt etwas, das ich als „die Autorität des Leides“ bezeichne: Leidvolle Erfahrungen bestimmen für den Einzelnen immer den Rhythmus, die Teilhabe, das ganze Leben. Dieses Ausgeschlossensein trifft uns nun als Gesamtheit, im Kollektiv. Die Frage lautet doch immer: Was ist ein gutes Leben? Wir können nur antworten, was kein gutes Leben ist: Hass, Wut, Aggression, Missgunst, Neid, Abwertung, und vieles mehr. Im Ausschalten all dessen wächst das leise Aufblühen des Lebens. Zu einem gesunden Leben gehört auch ein gesunder Lebensrhythmus von Arbeit und Freizeit, Sonntag und Wochentag. Vielleicht gilt es, diesen gesunden Rhythmus gemeinsam wieder mehr zu suchen.

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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