Über 270 Vertonungen des Liturgietextes
„Stabat Mater“ – das Lied vom Schmerz der Gottesmutter

Die Gottesmutter mit dem Leichnam Christi – die Pieta von Michelangelo Buonarroti (1475-1564) im Petersdom gilt als eine der berühmtesten Skulpturen weltweit. Michelangelo fertigte sie aus einem Marmorblock in der Zeit von 1498 bis 1500. Er erhielt dafür 450 Golddukaten – nach heutigem Geldwert rund 50.000 Euro.  | Foto: Juan M Romero - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46153417
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  • Die Gottesmutter mit dem Leichnam Christi – die Pieta von Michelangelo Buonarroti (1475-1564) im Petersdom gilt als eine der berühmtesten Skulpturen weltweit. Michelangelo fertigte sie aus einem Marmorblock in der Zeit von 1498 bis 1500. Er erhielt dafür 450 Golddukaten – nach heutigem Geldwert rund 50.000 Euro.
  • Foto: Juan M Romero - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46153417
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Mit über 270 Vertonungen aus sieben Jahrhunderten ist das „Stabat Mater“ einer der am häufigsten in Musik gesetzten Texte der Liturgie. Der reich mit emotionalem Gehalt versehene Text bot Komponisten wie Zuhörern vom Mittelalter an reichlich Gelegenheit, die Kraft der Gefühle hörbar zu machen und in den Gottesdienst hineinzutragen.

Stabat Mater“ ergänzt den intellektuell ausgerichteten Zugang der mittelalterlichen Scholastik um eine wesentliche Komponente menschlicher Existenz, die Welt des Herzens, und spart nicht mit kräftigen Bildern des Schmerzes, des Brennens und der Leiden. Maria steht nicht als die erhabene Himmelskönigin im Blickpunkt, sondern als unsere menschliche Schwester am Abgrund ihrer Existenz.

Die Sequenz

Schon vor der ersten Jahrtausendwende nützten kreative Sänger frei formulierte Texte, um Melismen, lange Ketten von Tönen, die auf eine Silbe gesungen werden und so beispielsweise den Jubel eines „Alleluja“ klangvoll umsetzen, leichter fassbar zu machen. Neben den Hymnen, die schon seit dem vierten Jahrhundert nach Christus als Textgrundlage für die Musik des Gregorianischen Chorals dienten, waren diese Tropen und Sequenzen wichtige Formen, die den fast ausnahmslos auf Bibeltexten beruhenden liturgischen Gesang um Zeugnisse zeitgenössischer Dichter bereicherten. Kein Wunder, dass die Erfindung von Sequenzen und ihre Verwendung so überhandnahmen, dass das Konzil von Trient Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Zahl im Messbuch auf vier reduzierte. Es spricht für die Beliebtheit des „Stabat Mater“, dass es 1727 in die Liturgie am Gedenktag der Sieben Schmerzen Mariens wieder aufgenommen wurde.

Zeit des Umbruchs

Wiewohl der Text des „Stabat Mater“ keinem Autor eindeutig zuzuordnen ist, lassen die äl­testen handschriftlichen Quellen eine Datierung in das 13. Jahrhundert zu. Bevölkerungswachstum, Geldwirtschaft, Vergrößerung der Städte, soziale Mobilität und militärische Konflikte brachten nicht nur Gewinner hervor: Eine große Zahl neuer Ordensgemeinschaften nahm sich des geistigen und materiellen Elends an. Lange Zeit galt der Franziskanerorden als spirituelle Heimat des Textdichters. Der Empfang der Wundmale Christi zeigt den heiligen Franziskus ja als einen vom Mitleiden mit dem Gekreuzigten Gezeichneten. Der jüngste Fund weist in ein Dominikanerinnenkloster in Bo­logna, und auch Papst Innozenz III. gehört zum Kreis der möglichen Autoren. Verbreitet hat sich der aus zehn Doppelstrophen bestehende, gereimte Text rasch über ganz Europa. Schon um 1486 trägt ihn ein Schreiber aus dem St. Pöltner Chorherrenklos­ter in eine Handschrift ein, die als Codex 13 im Diözesanarchiv aufbewahrt wird (siehe Bild auf der nächsten Seite).

Biblische Grundlage

Das Fundament des Textes wird in der ersten Strophe gelegt: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter…“ (Joh 19,25) – „Christi Mutter stand…“, und auch die lukanische Weissagung des Simeon „… deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Luk 2,35) ist paraphrasierend beigesetzt: „… das Schwert des Leidens ging“. In den nächsten drei Strophen wird der biblische Bericht emotional entfaltet: Von der Trauer, dem Schmerz, der Angst, von Qual und Bangen der Gottesmutter ist die Rede. Rhetorisch fragt der Dichter, wer sich diese Szene wohl ohne Mitgefühl vor Augen führen könnte und nennt abschließend den Sinn des Leidens Jesu: Für die Sünden der Menschen nimmt er Leiden und Tod auf sich. Aus der Beschreibung der Kreuzigungsszene heraus formulieren die nächsten Strophen Bitten an die Gottesmutter: dass durch Mitleid mit ihrem Schmerz und den Leiden ihres Sohnes der betende Mensch in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen werden möge und ihm daraus ewiges Leben erwachse. In der letzten Strophe spricht der Beter direkt Christus an und bittet um die Seligkeit im Himmel.

Deutsche Übertragungen

Dem Mönch Hermann von Salzburg wird die wohl älteste deutsche Übersetzung zugeschrieben, entstanden zum Ende des 14. Jahrhunderts. Im Got­teslob (Nr. 532) finden wir eine Strophenauswahl des Mainzer Lieddichters Heinrich Bone, der im 19. Jahrhundert seine Übersetzung in das originale lateinische Vers- und Reimschema hineinformulierte. Sie liegt auch der Version des deutschen Messbuchs für den Gedenktag der Sieben Schmerzen Mariens am 15. September zugrunde.

Stoff für Komponisten

So gut wie alle namhaften Komponis­ten haben den Text zur Gänze oder als Strophenauswahl in Musik gesetzt. Von den Meistern der frühen Vokalpolyphonie (Josquin Desprez um 1480, Orlando di Lasso, Giovanni Pierluigi da Palestrina) über die Großmeister des Barock (Marc Antoine Charpentier, Antonio Vivaldi, Heinrich Ignaz Franz Biber) bis zu den Vertretern der Klassik (Joseph Haydn, Luigi Boccherini, das Werk des 10-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart ist leider verloren gegangen). Dramatik und Gefühls­tiefe schätzten besonders die Romantiker Franz Schubert, Franz Liszt, Gioacchino Rossini und Antonin Dvorak, dessen Vertonung mit weit über einer Stunde auch die längs­te ist. Der Ungar Ernst von Dohnani, der Pole Krzysztof Penderecki, Frank Martin aus der Schweiz und Arvo Pärt aus Estland haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf die dramatisch schmerzensreiche Textgrundlage eingelassen. Allein 54 Vertonungen des „Stabat Mater“ sind seit dem Jahr 2000 entstanden.
Mit einer Bilderbuchkarriere startete der 1710 geborene Giovanni Battis­ta Pergolesi: bereits 1720 im Konservatorium Neapel aufgenommen folgte nach ersten Erfolgen im Operngeschäft 1734 die Ernennung zum Stellvertreter des königlichen Kapellmeisters. Zwei Jahre später entstand im Auftrag einer geistlichen Bruderschaft die berühmteste aller „Stabat Mater“-Kompositionen und sollte das letzte Werk seines Schö­pfers werden. Ist es die schlichte Besetzung mit zwei Frauenstimmen, Streicherensemble und Orgel, die in ihrer klanglichen Reduktion fasziniert? Klingt die Todesangst des tuberkulosekranken Komponisten durch den schmerzerfüllten Text? Dass opernhafte Züge an Pergolesis Musik auch kritisch gesehen wurden, tat der Begeisterung, mit der sie fast 300 Jahre hindurch gesungen, gespielt und gehört wurde, keinen Abbruch. Das stärkste Kompliment stammt aber wohl vom streng reformatorisch geprägten Thomaskantor Johann Sebastian Bach, der das Werk des weitaus jüngeren katholischen Kollegen in Leipzig aufführte.

Hinweis: „Stabat Mater“ wird vor Ostern an einigen Orten aufgeführt: Am 8. März um 16 Uhr in der Stiftskirche Seitenstetten; Am 15. März um 18 Uhr in der Pfarrkirche Neulengbach; Und am 10. April im Auditorium Grafenegg (siehe unten).

Tipp: Hans Van der Velden hat über 200 Vertonungen des „Stabat Mater“ zusammengetragen. Nachzulesen auf: www.stabatmater.info.

Gewinnspiel

„Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi wird am 10. April, Karfreitag, ab 18.30 Uhr im Auditorium Grafenegg aufgeführt. Interpreten: das Tonkünstler Orchester, Sophie Kartäuser (Sopran) und Christopher Lowrey (Altus). Vor der Aufführung stimmen Andrea Eckert, Rotraud Perner und Paul Zulehner poetisch und theologisch auf das Thema ein.

Kirche bunt verlost 2 mal 2 Karten für die Vorstellung.

Einsendungen mit dem Kennwort „Stabat Mater“ sowie Namen und vollständiger Adresse bitte bis 27. März 2020 an: „Kirche bunt“, Gutenberg­straße 12, 3100 St. Pölten oder per E-Mail an „gewinnspiel@kirchebunt.at“.

Die Gottesmutter mit dem Leichnam Christi – die Pieta von Michelangelo Buonarroti (1475-1564) im Petersdom gilt als eine der berühmtesten Skulpturen weltweit. Michelangelo fertigte sie aus einem Marmorblock in der Zeit von 1498 bis 1500. Er erhielt dafür 450 Golddukaten – nach heutigem Geldwert rund 50.000 Euro.  | Foto: Juan M Romero - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46153417
Beginn des „Stabat Mater“ aus einem Fragment aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Auszug aus der Handschriftensammlung des Diözesanarchivs). | Foto: Diözesanarchiv St. Pölten
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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