Zum 200. Geburtstag von Anton Bruckner
Dem "lieben Gott" widmetet er seine schönste Sinfonie
Stürmisches Genie, Zwangsneurotiker und demütiger Dorfmusikant: Vor 200 Jahren wurde Anton Bruckner geboren.
Dem lieben Gott“ steht als Widmung über der unvollendeten Neunten Sinfonie, mit der Buckner vom Leben Abschied nahm: unirdische Klänge von Sehnsucht und Hoffnung. Nach dem düsteren, mit einem unentrinnbaren Schicksal beladenen Streichertremolo des Anfangs ein gewaltiger Fortissimo-Ausbruch des ganzen Orchesters, als stürze die Menschheit vor dem richtenden Gott auf die Knie. Und dann ein wunderbar leichtes Totentanz-Scherzo jenseits aller Erdenschwere.
Der Komponist strahlender Messen und inniger Marienmotetten gilt als liebenswürdig-schrulliger alter Herr, demütig ohne alle Künstlerallüren, als großes Kind, das die Kraft seiner Tonsprache aus unbefangener Gläubigkeit und eisernem Gottvertrauen gewonnen haben muss. Anton Bruckner: vorwärtsdrängendes Genie und im Grunde doch ein schlichter, fröhlicher Dorfmusikant bis an sein seliges Ende.
Aber die an barocke Liturgien erinnernden Choräle, die er in seine Sinfonien einfügt und mitten in den profanen Werken zitiert, drücken nach Bruckners eigenen Worten seine Dankbarkeit für die „Errettung vom Wahnsinn“ aus. 1867 fiel er in eine Nervenkrise, in der Klinik stufte man ihn als ernsten Fall ein. Zeitlebens litt er an quälenden Minderwertigkeitsgefühlen und Zwangsneurosen. Zu seinen Manien gehörte es, sich immer und überall Zeugnisse ausstellen zu lassen.
Als er bereits Organist am Linzer Dom war, wollte er am Wiener Konservatorium unbedingt noch einmal ein Orgelexamen ablegen, obwohl er dort nie studiert hatte. Mit seiner Hartnäckigkeit brachte er die Professoren tatsächlich dazu, ihn zum Examen zu laden, und überzeugte dann mit seiner Stegreifkomposition einer Doppelfuge derart, dass einer der Herren betroffen äußerte: „Er hätte uns prüfen sollen!“
Noch als musikalische Berühmtheit benahm er sich schrecklich ungeschickt, arrangierte die Uraufführungen seiner genialen Werke am völlig falschen Ort, mit schlecht vorbereiteten Ensembles, die von seiner Musik nichts hielten. Er fühlte sich verfolgt, hatte ständig Angst vor Abweisungen und Demütigungen, die er durch seine naive Weltfremdheit selbst heraufbeschwor. Er warb Jahr um Jahr ebenso aufdringlich wie verblendet um die Hand schöner, reicher Mädchen, ohne zu begreifen, dass er sie mit seinen Dorfmanieren und seinem skurrilen Gehabe abschrecken musste. „Welcher Tischler hat Ihnen denn diesen Anzug gemacht?“, fragte ihn eine wohlmeinende Gönnerin einmal verzweifelt.
Anton Bruckner, das lebendige Rätsel. Der schüchterne Dorfschullehrer, der sich nach jahrzehntelanger Bedenkzeit endlich ans Komponieren wagte und sinfonische Ungetüme von unerhört neuem Klang schuf. Bruckner, dem zu Lebzeiten nur wenige anhingen, den die meisten als technisch hervorragenden Organisten, aber dilettantischen Kompositeur irgendwo zwischen Wagner und Schubert einstuften.
Der komponierende Dorfschullehrer
Im oberösterreichischen Dörfchen Ansfelden kam Anton Bruckner am 4. September 1824 zur Welt. Er sollte Dorfschulmeister werden wie der Vater und der Großvater. Das war einerseits eine Respektsperson, andererseits ein Laufbursche, der neben seiner pädagogischen Arbeit in der Kirche Orgel und auf dem Tanzboden Violine zu spielen hatte.
Nach dem Tod des Vaters hatte der Tonerl zwar einen Kostplatz als Sängerknabe im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian bekommen. Doch den Siebzehnjährigen schickte man als Schulgehilfen ins kleine Windhaag. Früh um vier hatte er die Kirchenglocke zu läuten, sodann mähte er die Wiesen. Zum Glück versetzte ihn der einfühlsame Propst von St. Florian nach Kronsdorf, wo die Leute aufgeschlossener waren und ganz in der Nähe, in Enns, ein tüchtiger Chorleiter amtierte, der ihm Unterricht in Kompositionslehre erteilte. Als Hilfslehrer nach St. Florian zurückgekehrt, wurde Bruckner bald zum provisorischen Stiftsorganisten ernannt, bewarb sich in devoten Briefen um eine Stelle als Kanzleischreiber, legte dann doch in Linz die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab – und hätte sich dann wieder fast nicht getraut, als die Stelle des Linzer Domorganisten frei wurde.
Nun endlich hängte Bruckner den Lehrerberuf an den Nagel und widmete sich ganz der Musik – scheu, linkisch, ohne Ahnung von den Aufbrüchen jener Zeit. Das Linzer Theater betrat er auf Anraten seines Beichtvaters nicht, aus Furcht vor den unmoralischen Opern. Er lernte, büffelte den „Strengen Satz“, komponierte Messen, Lieder für Männerchor – und dann endlich Sinfonien, die immer gewaltiger wurden, die er aber mit unfehlbarem Talent dem falschen Publikum zur falschen Zeit vorstellte.
Anton Bruckner: vorwärtsdrängendes Genie und im Grunde doch ein schlichter, fröhlicher Dorfmusikant.
Obwohl ihm die Autorität im Umgang mit eigenwilligen Musikern fehlte, stellte er sich an das Dirigentenpult, lud zur Uraufführung seiner für damalige Verhältnisse ziemlich schräg klingenden Tongebilde Stiftsprälaten, bejahrte Baronessen und biedere Kleinbürger ein, kümmerte sich weder um die richtige Akustik noch um einflussreiche Kritiker. Noch 1877, als die „Dritte“ in Wien Premiere hatte, zeigten die Musiker deutlich, wie wenig sie von der Sinfonie angetan waren. Im Publikum hielten sich Applaus und Zischen die Waage. Schließlich verließen die meisten Zuhörer den Raum, während das Orchester den Dirigenten mitleidlos auslachte.
Als Bruckner trotz seines Ungeschicks 1868 die Professur für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel am Wiener Konservatorium und später auch noch eine Lektorenstelle für Musiktheorie an der Universität bekam, nahm er das nicht etwa als Bestätigung seines Könnens. 23 Jahre lang hielt er dieselben Vorlesungen, erlaubte sich nicht die geringste Abweichung vom Lehrplan, vermittelte seriöses Handwerk, ohne individuelle Begabungen unter den Studenten zu fördern – das wäre ihm zu riskant erschienen.
Und doch verbreitete sich in Europa allmählich die Kunde von einem österreichischen Professor, der in seinen Sinfonien und Kirchenmotetten Himmel und Hölle in gewaltigen Fugen durcheilte, dämonische Finsternis und strahlendes Leuchten in Töne zu bannen wusste und eine stürmische Musik von ganz neuer Art schuf. Während der undiplomatische Bruckner daheim im Dauerkonflikt zwischen „Wagnerianern“ und Brahms-Verehrern zerrieben wurde, feierte er auf Konzertreisen in Notre-Dame und in der Londoner Albert Hall Triumphe.
„Musikant Gottes“
1885, Bruckner war fast 60 Jahre alt, begann mit der Münchner Aufführung seiner Siebenten Sinfonie ein später Siegeszug. Das Werk war in Hamburg und Graz zu hören, in New York, Chicago, Boston, Amsterdam. Bruckner war nun endlich auch in Wien anerkannt – was ihn nicht hinderte, skrupulös an früheren Partituren herumzuändern.
1892 hängte man dem greisen Komponisten drei überdimensionale Lorbeerkränze um, als seine Achte Sinfonie in Wien uraufgeführt wurde. Kaiser Franz Joseph wies ihm generös eine Wohnung im Belvedere zu, am Rand des Schlossparks. Hier starb Anton Bruckner am 11. Oktober 1896 im Alter von 72 Jahren. Noch an seinem Todestag hatte er komponiert. Der einbalsamierte Leichnam fand seine letzte Ruhestätte in der Gruft unter der geliebten Orgel von St. Florian, wie er es sich gewünscht hatte.
Den „Musikanten Gottes“ haben ihn die einfachen Leute zärtlich genannt. Während bei den anderen starken Komponisten seiner Zeit die Messen und Psalmen eher Zufallswerke sind, entwickelt sich Bruckners Schaffen im Raum der Kirche, und auch seine Sinfonien sind mystisch erfüllt. In seinen sakralen Kompositionen aber verschmilzt er die fugenreiche Polyphonie mittelalterlicher Prägung mit der Klangfülle des romantischen Orchesters zu einsamer Größe.
Am beliebtesten ist heute noch sein Te Deum in C-Dur: C-Dur, seit der Romantik musikalisches Symbol reinen, sieghaften Glaubens. Zum strahlenden C-Dur führen die Solostimmen, die Cherubim und Seraphim versinnbilden, das Sanctus, und zum hellen C-Dur der Blasinstrumente steigt die Schlussfuge des Chors auf: „In te, Domine, speravi, non confundar in aeternum – Auf dich, Herr, habe ich vertraut, in Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.“ Christian Feldmann
VERANSTALTUNGEN ZUM BRUCKNER-JUBILÄUM
- 7. Sept., 19.30 Uhr: „bruckner reloaded“; Evangelische Kirche St. Pölten. Mit: Johann von Ruthendorf (Violoncello, Electronic).
- 8. Sept., 9.30 Uhr: Festmesse mit Orgelwerken von und über A. Bruckner; Prandtauerkirche St. Pölten. Mit: Felix Deinhofer (Orgel).
- 15. Sept., 18 Uhr: „Bruckner & Schmidt jubilieren“; Orgelkonzert in der Prandtauerkirche St. Pölten. Mit: Domorganist Balthasar Baumgartner (Osnabrück).
- 12. Okt., 15 Uhr: Hörseminar Anton Bruckner; Bildungshaus St. Hippolyt. Mit: Hubert Pausinger (Referent).
- 20. Okt., 18 Uhr: „bruckner 8“; Konservatorium für Kirchenmusik. Mit: Jacobus Gladziwa (Orgel), Marcus Hufnagl (Malerei).
- 24. Nov., 10.30 Uhr: Messe in d-moll – A. Bruckner; Dom St. Pölten. Mit: Valentin Kunert (Dirigent), Domchor.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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