Gastkommentar von Mag. Gudrun Sailer
Dass ich liebe, wo man hasst

Mag. Gudrun Sailer | Foto: Charlotta Smeds

Noch bis zum Morgen des Abflugs Richtung Bagdad schien diese Reise unmöglich. Bei Radio Vatikan hätten wir uns über eine Absage nicht gewundert. Ein Papst im Irak, zum ersten Mal, und das unter diesen Bedingungen: Terror und Seuche. Der jüng­ste Anschlag lag wenige Wochen zurück, 32 Menschen waren gestorben. Und die Coronapandemie fordert auch im Irak ihre Opfer. Aber diese Reise war derart wichtig, und zwar für alle Beteiligten, dass sie trotz aller Warnungen zustande kam. Vonseiten des Papstes mit einer Entschlossenheit, die an Johannes Paul II. erinnerte. Vonseiten des Irak mit einem Sicherheitsaufgebot, das nichts zu wünschen übrig ließ und dem Land und allen anderen signalisierte: Es geht voran. Vonseiten der Christen mit Enthusiasmus, Stolz, Ergriffenheit und Feierlust. Vonseiten der meisten Muslime im Land mit Wohlwollen. Und vonseiten der Weltöffentlichkeit mit Staunen.

Franziskus hat die Christen in ihrer Hoffnung bestätigt und ihre Treue anerkannt. Das war wichtig, weil die Christen im Nahen und Mittleren Osten sich schon lange von ihren Glaubensgeschwistern im Westen ignoriert und um Solidarität betrogen fühlen. Franziskus hat aber auch an das tragische Opfer der übrigen Einwohner im gemarterten Irak und jener, die fliehen mussten, erinnert. Bei fast jeder seiner Reden auf irakischem Boden erwähnte er die Jesiden, und im Flugzeug Richtung Rom verriet er, warum: Er hat das Buch der in Deutschland lebenden jesidischen Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad gelesen, die er zweimal in Rom traf. Die Schilderung ihrer Versklavung durch die abartigen Terroristen des sogenannten „Islamischen Staates“ war der Hauptgrund für seine Versessenheit auf diese Irak-Reise, so der Papst.

Und dann stand er da, in Mossul, der Ex-Hochburg des IS. Auf diese Bilder konnte man kaum gefasst sein. Vier Kirchen waren einmal auf dem Platz, alle sind zerstört. Der Papst sprach auf einem eigens freigeschaufelten Quadrat neben einer meterhohen Wand aus Trümmern. Von Mossul aus hatten die Terroristen mit den schwarzen Fahnen 2015 zum Sturm auf Rom geblasen. Nun stand der Bischof von Rom hier. Hinter sich ein aus dem Schutt gerettetes Kreuz. Und sagte vor und mit Christen und Muslimen: „Wenn Gott der Gott der Liebe ist – und das ist er –, dann dürfen wir die Brüder und Schwestern nicht hassen.“ Es war ein Assisi-Moment, einer von dreien. Die anderen beiden waren das interreligiöse Gebet der Geschwisterlichkeit in Ur, der Stadt Abrahams, und die Begegnung mit dem schiitischen Großayatollah Ali al-Sis­tani, einem weit über den Irak hinaus geachteten Muslimführer.

Manche sprechen von der wichtigsten Papstreise im Pontifikat Franziskus’. Das ist nicht falsch. Doch alles in allem vollendet der Papstbesuch an Euphrat und Tigris, der Wiege menschlicher Zivilisation, tatsächlich einen Dreiklang, der in Abu Dhabi begann und sich über die Enzyklika „Fratelli tutti“ fortsetzte. In Arabien 2018 – auch das war eine Premiere als päpstliches Reiseziel – lancierten Franziskus und der sunnitische Großimam Ahmed Al-Tayyeb das Dokument der Geschwisterlichkeit. Und „Fratelli tutti“, das nach einem Zitat des Franz von Assisi heißt und von Franziskus in Assisi unterzeichnet wurde, buchstabiert die Geschwisterlichkeit in der Form des feierlichen päpstlichen Lehramtes aus. Im Irak vereinte sich das alles wie die beiden berühmten Flüsse, erhielt Gestalt und Geste.
Mag. Gudrun Sailer ist Redakteurin bei Vatican News

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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