Heikle Mission im Irak
Papst Franziskus im Zweistromland

Ein Soldat des irakischen Militärs patrouilliert vorbei an der syrisch-katholischen Sayidat-al-Nejat-Kathedrale in Bagdad, wo auf Plakaten der Besuch von Papst Franziskus angekündigt wird. | Foto: SABAH ARAR/AFP/picturedesk.com
  • Ein Soldat des irakischen Militärs patrouilliert vorbei an der syrisch-katholischen Sayidat-al-Nejat-Kathedrale in Bagdad, wo auf Plakaten der Besuch von Papst Franziskus angekündigt wird.
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Mit Papst Franziskus reist erstmals ein Papst in den Irak. Franziskus will mit seiner Reise die bedrängten Christen im Mittleren Osten stärken und seine Botschaft der Geschwisterlichkeit in die Heimat des schiitischen Islam tragen.

Angesichts der Pandemie- und Sicherheitslage blieb die Reise von Papst Franziskus bis zuletzt ungewiss. Für den Papst selbst ist die Reise wohl ein Herzensanliegen. Er will den von Konflikten und Gewalt ausgezehrten Menschen im Irak Trost und Freude bringen. Selbst die Covid-Erkrankung des Vatikanbotschafters in Bagdad konnte ihn nicht davon abhalten: Ende Februar hatte der Nuntius im Irak, Erzbischof Mitija Leskovar, leichte Krankheitssymptome gezeigt und hatte die Vorbereitungen für den Papstbesuch aus der häuslichen Quarantäne außerhalb der Nuntiatur fortgesetzt. Die Räume der Nuntiatur, in denen Papst Franziskus übernachten soll, wurden mittlerweile desinfiziert. Papst Franziskus und die mitreisende Delegation sind bereits seit längerem gegen das Coronavirus geimpft.

Symbolkräftige Begegnungen

Der Sieben-Tage-Mittelwert von Corona-Infektionen im Irak ist in den vergangenen vier Wochen um das Viereinhalbfache gestiegen. Die Regierung verhängte landesweite Ausgangssperren. Im Vorfeld des Papstbesuches wurde die Hauptstadt Bagdad weitgehend abgeriegelt. Doch die Corona-Pandemie ist wohl das geringere Problem der Reise: Die Sicherheitslage ist angespannt, das Land ist vom Krieg zerrüttet, die Religionsgemeinschaften sind verwundet.

Das Besuchsprogramm von Papst Franziskus ist dicht und voll symbolkräftiger Begegnungen: So sollen sich bei den Ruinen des Stufentempels von Ur, den schon der biblische Erzvater Abraham vor 4.000 Jahren gesehen haben mochte, Vertreter des Islam und der Kirchen, aber auch von Juden, Jesiden oder Mandäer zum Gebet versammeln. Alle beziehen sie sich auf irgendeine Weise auf Abraham; alle sind sie in eine lange Geschichte von Rivalität und Gewalt verstrickt.

Nicht weniger Symbolkraft liegt darin, wenn Großajatollah Ali al-Sistani den Papst in Nadschaf empfängt. Der 90-jährige schiitische Gelehrte verkörpert die moralische Autorität des Irak. In Konflikten wirkte er auf Mäßigung und Deeskalation hin. Zum chaldäisch-katholischen Patriarchen Louis Raphael I. Sako wird ihm ein gutes Verhältnis nachgesagt. Obwohl al-Sistani kein dem Papst vergleichbares Amt besitzt, schlägt das Treffen eine wichtige Brücke zwischen der katholischen Kirche und dem schiitischen Islam, der weltweit immerhin um die 200.000 Millionen Gläubige zählt.

Der zweite Programmtag nimmt den Terror des „Islamischen Staats“ und das Leiden der Christen im Nordirak in den Blick. Franziskus reist in die mehrheitlich von Sunniten bewohnte Metropole Mossul und die christliche Stadt Karakosch. Von dort flohen 2014 Zehntausende vor den Terrormilizen; etwa die Hälfte der Familien kehrte zurück.
An die eigenen katholischen Gläubigen wendet sich der Papst am Ankunftstag mit einer Rede an Kleriker, Ordensleute und Katecheten in der syrisch-katholischen Kathedrale in Bagdad. Das Gotteshaus war 2010 Schauplatz eines blutigen Terroranschlags, bei dem 48 Christen ermordet wurden. Tags darauf ist eine Messe in der rund einen halben Kilometer entfernten chaldäischen Kathedrale von Bagdad geplant. Nach den Stationen in Mossul und Karakosch feiert der Papst abschließend einen Gottesdienst im Stadion von Erbil. Die Wahl des Ortes ist von Corona-Schutzmaßnahmen bestimmt.

Junges, armes Land

Der Erdölstaat Irak ist ein junges und armes Land. Knapp die Hälfte der 39,5 Millionen Iraker ist jünger als 21 Jahre, rund ein Drittel lebte nach UN-Angaben 2019 unterhalb der Armutsgrenze. Neben einer Viertelmillion Flüchtlingen vor allem aus Syrien stellen 1,4 Millionen Binnenvertriebene das Land vor Herausforderungen. Die meisten Iraker sind ethnische Araber oder Kurden und Muslime, doch gibt es viele Minderheiten, darunter Turkmenen, Assyrer, Armenier, Jesiden und Mandäer.

Der Islam ist Staatsreligion und Quelle der Gesetzgebung. Die Verfassung schützt gleichermaßen die islamische Identität der Mehrheit der Iraker und die religiösen Rechte von Christen, Jesiden und Mandäern. Die Ausübung der Bahai-Religion oder der Übertritt von Muslimen zu einer anderen Religion sind ungesetzlich. Das Gesetz verpflichtet die Regierung zum Schutz heiliger Stätten und der freien Religionsausübung der anerkannten Religionsgemeinschaften, zu denen elf Kirchen sowie die Adventistengemeinde gehören.

Christen machen nur ein Prozent der Bevölkerung aus

Genossen Christen unter Saddam Hussein vergleichsweise große Freiheiten, wurden die Spielräume für nichtmuslimische Minderheiten nach 2003 immer kleiner. 50 Prozent der irakischen Chris­ten, nach manchen Schätzungen bis zu 90 Prozent, verließen das Land Richtung Syrien, Jordanien, Libanon oder in den Westen. Heute machen sie laut Schätzungen des US-Außenministeriums rund ein Prozent der Bevölkerung aus und leben vor allem im Norden des Landes und der autonomen Region Kurdistan.

Für das christliche Erbe von zentraler Bedeutung ist die Ninive-Ebene. Ursprünglich Kerngebiet der Christen, entvölkerte sich die Region um die Stadt Mossul nach dem Irakkrieg 2003 und dann über Nacht 2014 mit dem Einfall des IS. Zwar kehrten einige Christen in den letzten Jahren zurück, doch ihre eins­tige Hochburg bleibt stark geschwächt, das Ausmaß der Zerstörung groß.

Immer wieder ermutigen Kirchenvertreter ihre Gläubigen zur Rückkehr in die angestammten Gebiete, „damit das Land nicht von anderen in Anspruch genommen wird“, wie es der chaldäische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako 2017 formulierte, das Oberhaupt von rund zwei Dritteln der irakischen Christen. „Die Menschen dieser Region sind die Wurzeln der Christenheit, und wenn es dort keine Christen mehr gibt, werden die Christen ohne Wurzeln sein.“

Schrei nach Hoffnung, Freude und Frieden

Mit dem Sieg über den IS verbesserte sich die Lage im Irak. Der Schaden aber, den der islamistische Terror am feinen Gefüge des Landes angerichtet hat, ist laut Beobachtern wohl irreparabel. Bis heute ist der Schutz der Minderheiten nicht hinreichend gewährleistet, wiederholt wird von Einschränkungen der Religionsfreiheit, Gewalt gegen und Belästigung von Minderheiten berichtet.

Die Christen im Irak sehnen den Papstbesuch herbei – für sie ist er ein großes Hoffnungszeichen. Die irakische Dominikanerin Sanna Hanna sagt: „Der Irak, in dem schon so viel Blut vergossen wurde, schreit nach Hoffnung, Freude und Frieden.“

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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