Superintendent Lars Müller-Marienburg
„Ohne Ökumene geht es nicht“

Mag. Lars Müller-Marienburg ist seit 2016 Superintendent von Niederös­terreich. Er kam 1977 in Ans­bach (Bayern) zur Welt. Müller-Marienburg studierte Jus und evangelische Theologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Sein Vikariat absolvierte er ab 2007 in Linz-Innere Stadt und in Pöttelsdorf im Burgenland. 2010 wurde er Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde Inns­bruck-Auf­er­stehungskirche. | Foto: Evangelische Kirche
  • Mag. Lars Müller-Marienburg ist seit 2016 Superintendent von Niederös­terreich. Er kam 1977 in Ans­bach (Bayern) zur Welt. Müller-Marienburg studierte Jus und evangelische Theologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Sein Vikariat absolvierte er ab 2007 in Linz-Innere Stadt und in Pöttelsdorf im Burgenland. 2010 wurde er Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde Inns­bruck-Auf­er­stehungskirche.
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Im heurigen Jahr begeht die evangelische Kirche 75 Jahre Superintendenz in Niederösterreich. Zu Beginn der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen sprachen wir mit dem niederösterreichischen Superintendenten Lars Müller-Marienburg, wie sein Resümee nach 75 Jahren Superintendenz ausschaut, wie er das ökumenische Miteinander insgesamt und das Miteinander mit der katholischen Kirche im Besonderen erlebt, wir sprachen mit ihm über den Schwund von Gläubigen und über Zukunft der evangelischen Kirche in Niederösterreich.

Im heurigen Jahr begeht die evangelische Kirche das 75-jährige Bestehen der Superintendenz Niederös­terreich. Was war der Anlass für die Gründung?

Superintendent Lars Müller-Marienburg:
Damals standen wir vor einer großen Herausforderung, da unsere Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg stark und schnell gewachsen ist. Grund dafür waren die Flüchtlingsbewegungen, es kamen sehr viele Evangelische nach Österreich. Das stellte eine große Integrationsaufgabe dar und vor allem gab es schlichtweg nicht genug Platz. In den 1950er- und 1960er-Jahren gab es viele Pfarrgemeindegründungen, um dieser Menge Herr zu werden zu können. Das Amt des Superintendenten war damals ein Nebenamt zum normalen Pfarramt. Der erste Superintendent in Niederösterreich war der Pfarrer von Baden und deshalb war die erste Superintendenz in Baden. Einer seiner Nachfolger war dann der Pfarrer von St. Aegyd – er hatte kein Auto. Zu den Terminen in ganz Niederösterreich fuhr er mit der Bahn und dem Bus. Das wäre heute unvorstellbar.

Und wie ist Ihr Resümee nach 75 Jahren Superintendenz?

Müller-Marienburg: Im Nachhinein muss man sagen, dass sich manches anders entwickelt hat als erwartet. Z. B. bei der Mitgliederentwicklung. Im Prinzip hätte man nur eine Übergangslösung für ein paar Jahrzehnte gebraucht. Heute sind wir wieder weniger. Die Kirchenverfassung für Österreich ist auch in der damaligen Zeit entstanden und war auf 600.000 evangelische Kirchenmitglieder in Österreich ausgelegt, wir sind aber jetzt nur mehr 280.000. Wir stehen heute vor einem ähnlichen Übergang wie damals – nur umgekehrt. In Nieder­österreich machen wir mit 37.000 Mitgliedern nur rund drei Prozent der Bevölkerung aus. Pfarren haben wir 28!

Der Blick zurück ist also ein wehmütiger?

Müller-Marienburg: Nein, es ist ein dankbarer Blick zurück, denn man kann schon sagen: Vor 75 Jahren war die evangelische Kirche wahrscheinlich ganz wenig in der Öffentlichkeit und in der Republik Österreich verankert. Die Evangelischen waren ja aus verschiedenen Gründen von außen als Fremdkörper wahrgenommen worden und wir selber haben das auch geglaubt, was seit Jahrhunderten gesagt wurde: Dass Österreicher nicht evangelisch sein können. Die Schaffung der Superintendenturen hat uns schon viel gebracht und es war klug, diese nach den Bundesländern auszurichten. Heute werden wir als Ansprechpartner wahrgenommen. Das gilt insbesondere für das Land Niederösterreich, denn meine beiden Vorgänger haben es in ihrem jahrzehntelangen Wirken geschafft, die evangelische Kirche im Denken des Landes zu etablieren.

Wie sehen Sie die Zukunft der evangelischen Kirche in Niederösterreich bzw. in ganz Österreich?

Müller-Marienburg:
Wir haben österreichweit einen Strukturprozess eingeleitet, der heißt „Aus dem Evangelium leben“ – kurz nennen wir das AEL. Da geht es um die Frage: Wie setzen wir die Organisation auf, dass am Ende etwas Gescheites rauskommt? Es ist kein Strukturprozess von oben nach unten, sondern umgekehrt. Dabei können sich Pfarrgemeinden oder Verbünde von Pfarrgemeinden für drei Jahre als Erprobungsraum bewerben. Sie haben gewisse kirchenrechtliche Freiheiten und erhalten auch etwas Geld. Nach den drei Jahren schauen wir, was funktioniert hat und wie die Struktur der Kirche aussehen muss, damit solche gute Arbeit vor Ort leichter möglich wird.

Gibt es dafür konkrete Beispiele?


Müller-Marienburg:
Im Prinzip ist es ganz frei und basal. Die Pfarre Gmünd/Waidhofen an der Thaya bekommt etwas Geld, um in die Öffentlichkeitsarbeit zu investieren. Die Pfarrgemeinde umfasst zwei Bezirke und hat 600 Mitglieder. Die müssen irgendwie für die eigenen Leute und die Öffentlichkeit sichtbar werden. Da kann man dann schauen, ob wir mehr in die Öffentlichkeitsarbeit investieren müssen. In Wiener Neustadt gibt es ein Projekt mit einem Lerncafe, ein ganz klassisch diakonisches Jugendprojekt. Wir sind auch die einzige Superintendenz, die einen Erprobungsraum eingereicht hat. Wir gehen der Frage nach, was unseren Erfolg ausmacht und woran wir unser Arbeiten messen könnten. Bei uns müssen alle immer über alles berichten – und es wird ganz viel auf Zahlenbasis berichtet. Es macht mich unruhig, weil alle wie die Verrückten arbeiten und am Ende des Jahres kommt ein Minus raus. Als Organisation machen wir uns kaputt, wenn wir nur zahlenmäßig denken und wenn das Ergebnis unserer Arbeit dadurch immer negativ ist. Es geht also darum, zu schauen und zu verstehen, was das Wichtige an unserer Arbeit ist und woran man den Erfolg – abgesehen von den Zahlen – messen kann. Es gibt, das wissen wir alle, Pfarrerinnen/Pfarrer und Pfarrgemeinden, die besser arbeiten als andere. Die Frage ist, was macht das aus? Und wie kann man das berichten und darstellen?


Wie ist aus Ihrer Sicht das ökumenische Miteinander in Niederösterreich?

Müller-Marienburg: Für uns ist völlig klar, dass es ohne Ökumene nicht geht. Wir haben überhaupt nicht die Möglichkeit, uns einer Fantasie hingeben zu können, dass wir da allein auf der Welt sind. Uns ist völlig klar, dass die anderen Religionen und Konfessionen auf keinen Fall unsere Konkurrenten sind, denn inzwischen sind in Österreich rund 30 Prozent der Bevölkerung ­ohne religiöses Bekenntnis. Wir haben also alle genug Missionsgebiete. Die Herausforderung in Österreich ist eher, dass es kein Bild einer religiös vielfältigen Gesellschaft gibt, die ja die Realität ist. Ich finde es bedenklich, wie in der Öffentlichkeit die Existenz des Islams als zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes und auch die orthodoxen Kirchen nicht vorkommen. Es ist wunderbar, dass die evangelische Kirche bei den Veranstaltungen in Niederösterreich immer dabei sein darf, aber ich verstehe nicht, warum da keine Repräsentanten des Islams oder der Orthodoxie eingeladen werden.

Und wie im Konkreten ist das Miteinander mit der katholischen Kirche?

Müller-Marienburg: Für uns ist es total wichtig, mit der katholischen Kirche gut zusammenzuarbeiten. Und: Ich will nichts mehr, als dass es der katholischen Kirche gut geht, weil sie nicht unsere Konkurrentin ist und weil sie trotzdem noch vorgibt, wie die Stimmung im Land zum Thema Religion ist. Wenn das eine Organisation ist, der die Leute vertrauen und die vertrauenswürdig ist, dann ist das das Bes­te, was uns passieren kann.

Tatsache ist aber auch, dass praktisch alle Kirchen – nicht nur die evangelische oder die katholische Kirche – Mitglieder verlieren. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Müller-Marienburg: Ja, es verlieren alle an Mitgliedern, nicht nur Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern auch Parteien, Vereine etc. Das hat wohl mehrere Gründe. Ich sehe es mit Sorge, dass wir als Kirche es nicht schaffen, den Leuten zu zeigen, was wir anzubieten haben. Die Menschen haben ein spirituelles Bedürfnis, sie haben auch Sehnsüchte und Fragen. Ich glaube, wir haben hier vieles selbst verschuldet, denn den Kirchen ist es über die Jahrhunderte nicht gelungen, an den Fragen der Leute einen Anschluss zu halten. Ich glaube, die Kirchen haben es auch verabsäumt, etwas zur spirituellen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Oft sind die Kirchen die, die bei allem, was neu kommt, sagen: Das geht auf keinen Fall. Natürlich muss man bei manchem sagen: Das geht nicht. Aber es kann nicht die automatische Antwort sein.

Dabei ist die evangelische Kirche in vielem sehr offen. Ist das kein Vorteil?

Müller-Marienburg: Das ist schon richtig und wir Evangelische sind wohl in manchen Fragen an einem anderen Punkt als die Katholischen. Dennoch trifft es auch auf uns zu, denn wenn man mit 17- oder 18-Jährigen spricht und wenn man ihnen das, was wir als evangelische Kirche haben, als toll verkauft, dann lachen die uns aus. Die sind da im Denken schon viel weiter.

Was haben die Kirchen verabsäumt?

Müller-Marienburg: Es geht um die Frohe Botschaft – und nur um die! Natürlich müssen wir schauen, dass alles gut läuft, die Mitarbeitenden ihr Gehalt bekommen etc. Aber es geht letztlich nur um die Theologie und darum, dass die Menschen von Gott hören. Ich bin überzeugt, dass wir den Leuten nicht sagen müssen, wie sie zu leben haben, sondern die Leute müssen eine Begleitung finden, wie sie ihr Leben mit Gott meistern können. Der Glaube und auch die Kirche müssen ein Mehrwert sein und etwas Befreiendes – und nicht eine Einschränkung. Wir müssen als Organisationen schauen, dass wir den Menschen verständlich machen, worum es uns geht – und vielleicht müssen wir das auch für uns selber klarer haben.

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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