Interview mit T. Heine-Geldern
Kirchen leuchten rot für verfolgte Christen

In der Wiener Karlskirche (Foto) wird der Red Wednesday am 16. November mit einem Gottesdienst eingeläutet. Weltweit offizieller Start ist am selben Tag im Parlament in London, wo eine Studie über Chris­ten, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, vorgestellt wird. | Foto: Kirche in Not
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  • In der Wiener Karlskirche (Foto) wird der Red Wednesday am 16. November mit einem Gottesdienst eingeläutet. Weltweit offizieller Start ist am selben Tag im Parlament in London, wo eine Studie über Chris­ten, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, vorgestellt wird.
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In 50 Staaten der Erde werden mehr als 200 Millionen Christen aufgrund ihres Glaubens unterdrückt, verfolgt oder sogar getötet. Um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen, initiiert das internationale Hilfs­werk ,,Kirche in Not“ alljährlich den Red Wednesday bzw. die Red Week: Vom 16. bis 23. November leuchten Kirchen, Klöster und Monumente „blutrot“. Wir baten „Kirche in Not“-Präsident Dr. Thomas Heine-Geldern zum Interview.

„Kirche in Not“ hat auch heuer wieder zum Mittun beim Red Wednesday/bei der Red Week (Roter Mittwoch/rote Woche) eingeladen. Da drängen sich zwei Fragen auf: Erstens: Wie geht es den Chris­ten auf der Welt?

Dr. Thomas Heine-Geldern: Es gibt in vielen Ländern Verschlechterungen, wobei die Ursachen der Verfolgung oder Diskriminierung von Christen vielfältig sind. Immens zugenommen haben die Repressionen in Subsahara-Ländern wie Burkina Faso, Niger, Nigeria oder Mali. In diesen Staaten mit meist schon zerfallenden Infrastrukturen gibt es eine hochexplosive Mischung von Korruption und von kriminellen Banden, die staatliche Einrichtungen wie Polizeistationen angreifen und Spitäler oder Schulen zerstören. Auch der Klimawandel hat in diesen Staaten seine negativen Auswirkungen, wenn in gewissen Regionen Hirtenvölker auf der Suche nach Nahrung für ihre Herden diese auf Feldern von ansässigen Bauern grasen lassen, weil ihre ursprünglichen Weiden vertrocknet sind. Aus der Not schlagen islamistische Hassprediger immer wieder Kleingeld – das geht dann gegen die Christen im Land.
Anders ist es in Syrien, wo es nur mehr ein paar Hunderttausend Christen gibt; da geht es der Gesamtbevölkerung schlecht, weil es seit über elf Jahren Krieg gibt, aber auch, weil die Sanktionen des Westens vor allem die einfachen Menschen im Land treffen. Sorgen machen uns auch der religiöse Nationalismus in Indien oder Myanmar, die totalitären Ideologien in China und Nordkorea und die Radikalisierung in Pakis­tan. Diese Entwicklungen werden in der Weltöffentlichkeit aber oftmals völlig negiert.


Die zweite Frage, die sich im Hinblick auf den Red Wednesday stellt: Wie angebracht ist es, dass man in Zeiten wie diesen, wo überall vom Stromsparen geredet wird, nachts Gebäude rot beleuchtet?

Heine-Geldern: Es gibt ja nach wie vor vieles, was im öffentlichen Raum abends beleuchtet wird, wie z. B.
beleuchtete Werbeanlagen und -schilder. Ich denke, da kann man auch vertreten, dass einmal mit dieser Red Wednesday-Aktion auf die erschreckende Situation vieler Chris­ten in der Welt aufmerksam gemacht wird. Die Beleuchtung muss auch nicht die ganze Nacht sein, sondern da kann ja jeder selber entscheiden, ob das ein, zwei Stunden oder länger dauert. Viele Pfarren und Klöster sind heute zudem energieautark bzw. erhalten ihren Strom aus erneuerbaren Energien. Es geht darum, unserer Gesellschaft, der es im Großen und Ganzen doch gut geht, aufzuzeigen: Es ist nicht selbstverständlich, dass man eine Bibel haben darf oder dass man am Sonntag in die Messe gehen kann.

„Kirche in Not“ ist auch in der Ukraine engagiert – wie stellt sich für Sie die Situation vor Ort dar?

Heine-Geldern: Dieser Krieg hat eigentlich nichts mit dem Red Wednesday zu tun. Tatsache ist es, dass es sich hier um einen Angriffskrieg einer, nach ihrem Selbstverständnis, christlichen Nation gegen eine andere christliche handelt. Dass dies unter Christen und in Europa im Jahre 2022 möglich ist, macht mich weiterhin sprachlos. Wir haben schon vor Kriegsbeginn im Februar eine Video-Pressekonferenz mit Kiews griechisch-katholischem Großerzbischof Schewtschuk und dem Päpstlichen Nuntius von Kiew abgehalten und wir haben überlegt, was zu tun ist, wenn der Krieg ausbrechen sollte. Da gab es vor allem die große Bitte der beiden katholischen Kirchen der Ukraine, dass wir sie unterstützen, ihre kirchliche Infrastruktur aufrecht zu erhalten und dass wir ihre Priester und Ordensleute so ausstatten, dass sie aktiv sein und helfen können. Wir haben dann sofort an die Diözesen – vor allem in Donezk, Luhansk und im übrigen Osten des Landes – Geld überwiesen, damit die Pfarren und Ordensgemeinschaften helfen können. Das ist in weiten Teilen gelungen. Der Bischof von Odessa hat mir kürzlich gesagt, dass es in seiner Diözese 68 Priester gibt und dass alle geblieben sind, um für die Menschen da zu sein. Betonen möchte ich, dass die Ukraine ein christlich geprägtes Land ist. Es gibt nur zirka sechs Prozent, die sich als Atheisten bezeichnen. Manche der Ukrainer wissen übrigens gar nicht so genau, ob sie ukrainisch-katholisch oder orthodox sind, weil oft in denselben Kirchen die Liturgie gefeiert wird.

Der Patriarch von Moskau hat sich hinter den russischen Präsidenten Putin gestellt und wurde dafür vor allem auch von katholischer Seite, so auch von Papst Franziskus, sehr kritisiert. Wissen Sie, ob das auf die Katholiken im Land Auswirkungen hat?

Heine-Geldern: Wir wissen nur, dass die Situation für die römisch-katholische Kirche in Russ­land eine extrem schwierige geworden ist, weil sie von materieller Hilfe aus dem Ausland abhängig ist. Es ist nur bedingt möglich, die notwendigen Mittel zu überweisen. Es gab vor ein paar Wochen ein Interview mit einem katholischen Priester aus Russland, der meinte, dass Informationen aus dem Westen überhaupt nicht nach Russland durchdringen. Kein Mensch in seiner Pfarre glaubt, dass das ein böser Krieg ist – gerade die Menschen auf dem Land sind völlig gleichgeschaltet. Die erhalten ausschließlich gefilterte Nachrichten.

Sie waren kürzlich im Libanon – das Land befindet sich seit langem in einer politisch und wirtschaftlich sehr instabilen Lage. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?

Heine-Geldern: Die Not im Land ist groß, die Menschen haben weder genug zu essen, noch genug zu heizen, ab acht Uhr abends ist der Strom weg. Wir unterstützen im Libanon viel, u. a. ein psychiatrisches Krankenhaus der franziskanischen Schwestern in Beirut oder auch Schulen, die von katholischer Seite getragen oder unterstützt werden. Wegen des Totalverfalls des libanesischen Pfunds sind die Gehälter der Lehrer auf 40 bis 50 Dollar im Monat gesunken, damit kann man auch im Libanon nicht wirklich überleben. Verständlicherweise wollen viele Lehrerinnen und Lehrer auswandern – doch ein weiterer Abgang von gebildeten Menschen wäre für das Land fatal, deshalb helfen wir, die Lehrergehälter auf 100 Dollar zu heben. Das ist immer noch nicht die Welt, aber damit kann man überleben. Wir helfen so den Christen im Land zu bleiben.
Es gibt im Libanon aber auch Entwicklungen, die Grund zur Hoffnung geben: Kürzlich haben der Libanon und Israel, die offiziell im Kriegszustand sind, sich bezüglich der Grenze in den Hoheitsgewässern zwischen ihren Ländern geeinigt – was jedem Staat eine gewisse Ausbeutung der Gasfelder ermöglicht. Da hofft man, dass das zu einem Friedensprozess führt, der die Stabilität im Land herstellen könnte.

Wie sehen Sie die Situation der Christen in der westlichen Welt?

Heine-Geldern: Wir stellen eine steigende Intoleranz und eine steigende Diskriminierung gegenüber Christen fest. Mit einer gewissen Besorgnis registrieren wir, dass es in den westlichen Ländern eine Verwirrung über den Begriff Menschenrechte gibt, wenn etwa das Menschenrecht der Religionsausübung durch das Menschenrecht auf Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Ich erinnere an den Fall der früheren finnischen Innenministerin, die ein Gerichtsverfahren hatte, weil sie die Haltung ihrer protestantischen Kirche zum Thema Gendern geäußert hatte. In Schottland gibt es katholische Bischöfe, die mit Anzeigen wegen Hasspredigten konfrontiert sind, weil sie die Moralvorstellung der katholischen Kirche gepredigt haben. Was mir sehr unter den Nägeln brennt, ist, dass das Recht der freien Gewissensentscheidung zunehmend eingeschränkt wird. Also dass z. B. im britischen Gesundheitsdienst ein katholischer Arzt in Bezug auf Abtreibungen eigentlich nicht mehr nach seinem Gewissen entscheiden und das ablehnen kann. Wo ist da die Toleranz? Ich habe oft das Gefühl, dass von den sehr politischen Personen in Westeuropa die Dinge oft nicht zu Ende gedacht werden, indem man nicht bereit ist, an die Konsequenzen zu denken. Ich bin für die Gewissensfreiheit und die Selbstbestimmung, aber die muss uns Christen auch zugestanden werden.

Sie sind nun bald fünf Jahre Präsident von „Kirche in Not“ – wie schaut Ihre persönliche Bilanz aus?

Heine-Geldern: Es ist faszinierend, wie viel Positives man in dieser Arbeit erleben kann. Ich treffe in unseren Büros Menschen, die ihren Glauben und die Nachfolge Christi leben wollen und leben, die sich um der Sache willen sehr einsetzen und viel weiterbringen. Sehr beeindruckend ist das Zusammentreffen mit unseren Projektpartnern vor Ort, meist geistliche Schwes­tern, Priester und engagierte Laien. Sie alle verlassen die ihnen anvertrauten Menschen nicht, selbst wenn UNO oder andere Hilfsorganisationen bereits abgezogen sind. Auch unseren knapp 400.000 Wohltätern, die uns immer wieder großzügig unterstützen und in unsere Arbeit vertrauen, bin ich sehr dankbar. Ohne den Beitrag der einzelnen Menschen – den 50 Euro, die uns eine Witwe in Europa überweist oder den drei Euro, die uns ein Pensionist in Brasilien monatlich gibt –, könnten wir unsere Mission nicht erfüllen. Diesen Menschen gegenüber fühle ich mich verantwortlich, dass wir mit den Mitteln korrekt und sorgsam umgehen.

Red Wednesday/Red Week

Dr. Thomas Heine-Geldern ist seit 2018 Präsident von „Kirche in Not“- International. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Er lebt in Wien und St. Martin am Ybbsfelde, wo er auch als Pfarrkirchenrat engagiert ist.

Kirche in Not ist ein internationales katholisches Hilfswerk (früher: Ostpriesterhilfe) und eine Stiftung päpstlichen Rechts. Schwerpunkt ist die pas­torale Hilfe für verfolgte, bedrängte und notleidende Christen in rund 140 Ländern der Welt. Das Hilfswerk wurde 1947 gegründet und finanziert sich rein aus Spenden. Das Hauptaugenmerk liegt vor allem auf der Aus- und Weiterbildung von Seminaristen, Priestern und Ordensleuten, auf Bau und Renovierung von Ausbildungsstätten und Kirchen sowie auf Nothilfeprojekten in akuten Notsituationen.

Der Red Wednesday bzw. die Red Week (roter Mittwoch bzw. rote Woche) findet heuer vom 16. bis 23. November statt. In Österreich nehmen daran über 120 Kirchen sowie Stifte und das österreichische Parlament in der Hofburg teil. Der Red Wednesday hat seine Wurzeln in Brasilien, wo 2015 das Chris­tus-Erlöser-Denkmal rot beleuchtet wurde, um an die Verfolgung von Chris­ten im Irak zu erinnern. Im April 2016 beleuchtete „Kirche in Not“-Italien die Fontana di Trevi. „Kirche in Not“- Großbritannien führte die Idee weiter und rief den Red Wednesday ins Leben, um an einem bestimmten Mittwoch im November aller verfolgten Christen zu gedenken. Manche Länder bauten dies zur Red Week aus.

Spendenkonto von Kirche in Not: IBAN: AT71 2011 1827 6701 0600

Infos zum Red Wednesday: https://www.kircheinnot.at/

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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