Theologie
Vorsehung, Sünde, Freiheit
Am 8. Dezember, heuer am 2. Adventsonntag, feiert die Kirche das Hochfest der unbefleckten Empfängnis Mariä. Dieser Tag ist ein Brückenschlag zwischen der Vorsehung Gottes und dem freien „Ja“ des Menschen, zwischen himmlischer Gnade und irdischer Natur.
M an kann schon einmal durcheinanderkommen bei der Vielzahl an Marienfesten. Mariä Lichtmess, Hochfest der Gottesmutter, Mariä Namen, Mariä Himmelfahrt, Mariä Geburt – und dann kommen da noch die kleineren Feste hinzu: Unsere liebe Frau vom Rosenkranz, von Fatima, von Lourdes und so weiter. Es sind aber besonders zwei, die gerne verwechselt werden: Mariä Verkündigung und Mariä Empfängnis. Ersteres findet genau neun Monate vor Weihnachten, also am 25. März, statt und gedenkt jenem Moment, in dem der Engel Gabriel der Jungfrau Maria verkündete, dass sie den Sohn Gottes gebären wird. Mariä Empfängnis aber handelt davon, dass eben jene Jungfrau selbst unter besonderen Umständen empfangen wurde.
Über die Empfängnis der Gottesmutter lehrt die katholische Kirche, „dass die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung vonseiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Erbsünde bewahrt blieb“ – so heißt es in der dogmatischen Bulle Ineffabilis Deus, die vor genau 170 Jahren von Papst Pius IX. promulgiert wurde. Seit spätestens diesem Tag ist es verbindliches Glaubensgut, dass die Jungfrau Maria vom Moment ihrer Zeugung an bis zu ihrem Tod frei von jeder Sünde und insbesondere der Erbsünde war.In Sünde verstrickt
Doch was heißt das? Um zu erklären, wo-rum es diesem Dogma geht, muss man zuerst wissen, was denn die Erbsünde ist. Der Begriff Sünde ohne seine Vorsilbe ist uns heute noch bekannt, auch wenn er wenig populär ist und noch dazu oft missverstanden wird. Meistens bringen wir mit „Sünde“ eine archaische Vorstellung des Katholizismus in Verbindung – eine, in der es von düsteren Beichtstühlen, strengen Priestern und einem allwissenden Gott, der mit forschendem Blick in unsere privatesten Gedanken stierlt, nur so wimmelt.
Das ist freilich eine Karrikatur: Bei Sünde geht es nicht um eine Liste von schlimmen Dingen, die man einem Priester in der Beichte aufsagt. Sünde ist die Weigerung des Menschen, sich Gottes gutem Willen zu öffnen, sich der Güte Gottes anzuvertrauen. Dabei ist Sünde immer verbunden mit Hochmut – ein Sünder ist einer, der meint, es besser zu wissen als Gott und sich deswegen vor ihm verschließt. Wer sich Gottes liebendem Willen verschließt, der sündigt; wer sich von Gott trennt, sündigt schwer. Das betrifft die ganz großen Schrecklichkeiten des Lebens wie Mord, Kriege, Vergehen gegen die menschliche Würde, aber es betrifft eben auch den Alltag: Wie begegne ich Menschen, die genau wie ich Kinder Gottes sind? Wie gehe ich verantwortungsvoll mit der mir von Gott geschenkten Leiblichkeit um? Was tue ich, um meine Beziehung zu Gott zu pflegen?Gott ruft: „Wo bist du?“
Die Ursünde, also jene Sünde, die am Anfang der von Sünde geprägten Menschheitsgeschichte steht, ist die Sünde Evas und Adams – vom Baum zu essen, von dem Gott ihnen verboten hat, zu essen. Geht es dabei nur um eine Nichtbeachtung einer von Gott willkürlich gesetzten Regel? Nein, es geht um die Störung der Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Nachdem Adam und Eva durch die Früchte der Erkenntnis wahrnehmen, dass sie nackt sind, verstecken sie sich vor Gott. Dieser geht durch den Garten Eden, sucht die Freunde, die er sich nach seinem Ebenbild geschaffen hat und ruft: „Wo bist du?“ (Gen 3,9). Der Mensch entfernte sich von Gott, indem er sich seinem liebenden Willen verschlossen hat.
Seit diesem Moment an ist die Menschheit in Schuld verfallen. Die Tat der Menscheneltern brachte den Stein der Sünde ins Rollen. Der Zustand der Sündenverfallenheit wurde von ihnen an uns vererbt, deshalb: Erbsünde.Licht am Ende des Tunnels
Jetzt kann man als aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts natürlich sagen: Das ist ja alles nur eine Fabel, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat! Freilich, die historische Faktizität der Schöpfungsgeschichte wird heute wahrscheinlich nur noch von evangelikalen Amerikanern verteidigt. Aber: Die Schöpfungsgeschichte drückt ein anthropologisches Faktum aus, dessen sich selbst ein Atheist nicht verwehren kann – die Menschheit ist zu allen Zeiten in Schuld verstrickt. Egal wo, egal wann, die Menschen sind habgierig, gehässig, neidisch, hochmütig, träge, trieb- und konsumgesteuert.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels und dieses Licht heißt Jesus Christus. „Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern gemacht worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden“ (Röm 5,19), schreibt Paulus über Adam und Christus im Römerbrief. Durch Jesus Christus, den „neuen Adam“, seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung wird der Mensch gerettet. Durch Christus wird dem Menschen die Gnade zuteil, die er braucht, um sich aus der Verstrickung in die Sünde zu befreien. Der Moment, in dem der Mensch befreit wird von der Erbsünde, ist die Taufe. Dieses erste Sakrament ist quasi das oberste Gnadenmittel, da mit ihm dem Menschen seine Erbschuld genommen wird.
Aber wo ist denn diese Befreiung aus der Sünde? Sind die Menschen besser, seit Christus am Kreuz gestorben ist? Wahrscheinlich nicht. Aber, und das ist der springende Punkt, der das Sündenverständnis der Kirche eben auch ausmacht, Sünde ist nicht nur die Tat, die Handlung, das Vergehen des Einzelnen oder der Gruppe. Sünde umgreift die Person des Einzelnen, nicht nur seine Taten, und mit der Person die ganze Welt. Sünde ist eine realitätsverändernde Wirklichkeit, aber genauso realitätsverändernd ist die Erlösung. Was durch den Eintritt Gottes in die Welt geschehen ist, ist dass die Möglichkeit zur Erlösung real wurde: Gott kann uns und die Welt verwandeln. Er hat uns bereits die Gnade geschenkt, Kinder Gottes zu sein, es liegt an uns, sie anzunehmen und die Verwandlung in uns Wirklichkeit werden zu lassen. Wenn die Befreiungstheologie von „struktureller Sünde“ spricht, dann meint sie damit, dass die Sünde, also die bewusste Entfernung von Gott, der das Gute und die Liebe ist, in unserer Welt strukturgebend ist. Die Gegenstruktur lautet: hin zu Gott und somit zur Erlösung.„Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“
Und hier kommt jetzt wieder die Gottesmutter ins Spiel. Das Fest Mariä Empfängnis feiert Maria als wunderbar Begnadete, im Glanze vollkommenster Heiligkeit Stehende (vgl. Ineffabilis Deus). Ab dem Moment, in dem sie durch göttliche Vorsehung von der heiligen Anna und ihrem Mann Joachim gezeugt wurde, ist Maria rein von der Erbsünde und bleibt bis zum Tod sündenfrei. Ihr wurde also von Anfang an die volle Gnade zuteil, die Gott den Menschen mit dem Tod seines Sohnes anbietet und in der Taufe realisierbar wird: Freiheit von Schuld und Sünde, Erlösung von der Erbsünde. Am Hochfest wird in den Kirchen jene Stelle im Evangelium gelesen, in der der Engel Gabriel zu Maria sagt: „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden“ (Lk 1,32-33), was zwar zur anfangs genannten Verwirrung nur beiträgt, aber die Folge der Makellosigkeit der Jungfrau Maria ist: Sie wurde ausersehen, von Gottes Vorsehung bestimmt, ihn selbst zu gebären.
Die Antwort Mariens lautet: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Denn obwohl Gott sie vom Beginn ihres Lebens dafür vorgesehen hat, seinen Plan zu erfüllen, ist er angewiesen auf das Ja Mariens. Und so schließt sich der Kreis: Auch wenn Gott Maria von vornherein aus der Kette der Erbsünde herausgenommen hat, obliegt es ihr, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Dass sie sich für Gott entscheidet, ist zwar in ihrem makellosen Wesen bereits angelegt, da ja die Sündenlosigkeit die radikale Hinwendung zu Gott ist. Und doch besteht die Möglichkeit, dass sie „Nein“ sagt. Gott begnadet Marias Natur und macht sie zum Werkzeug seines Erlösungsplanes. Und doch nimmt er ein gewisses Risiko auf sich, ein Risiko, das noch viel mehr bei jedem einzelnen Menschen gegeben ist. Wir alle sind Werkzeuge im Plan Gottes – weit geringere als es die heilige Gottesmutter war. Und doch stellt sich die Frage: Durch die Taufe bin ich von Gott begnadet; was wenn ich „Nein“ sage zu seinem Erlösungsplan? Oder, um es mit dem Mystiker Angelus Silesius zu sagen: „Ich muss Maria sein und Gott aus mir gebären, soll er mir ewiglich die Seligkeit gewähren.“
Autor: Matthias Wunder
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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