Mein Gebet, Franz Kronister
Das heilsam-gefährliche Unser-Vater-Gebet

Franz Kronister ist Pfarrer in Purgstall und Dechant des Dekantes Scheibbs. | Foto:  Pfarre Purgstall
  • Franz Kronister ist Pfarrer in Purgstall und Dechant des Dekantes Scheibbs.
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Im Rahmen unserer Serie „Mein Gebet“ im Jahr des Gebets schreibt der Pfarrer von Purgstall, Franz Kronister, über das Vaterunser-Gebet.

Wir beten noch ein andächtiges Vaterunser für den Verstorbenen“: so hieß es oft vom Vorbeter bei den Betstunden vor einem Begräbnis. Und ich fragte mich manchmal: „Was heißt das eigentlich, einen ‚andächtigen Vaterunser‘ beten?“ Muss man da jedes Wort bewusst mitdenken oder laut mitsagen, soll man alles verstehen, oder ...?

„Das Vaterunser ist ein ‚gefährliches‘ Gebet. Wer nach dem ursprünglichen Sinn der Worte fragt, dem öffnet es die Augen dafür, dass wir Christen weit hinter dem zurückbleiben, was Jesus gesagt, gewollt und vorge’lebt hat.“ So schreibt Pater Reinhard Körner in seinem lesenswerten Vaterunser-Buch (Reinhard Körner, Das Vaterunser, Spiritualität aus dem Gebet Jesu, St. Benno Verlag, 2020).

Es müsste eigentlich
„Unser Vater“ heißen

Ich bete das Vaterunser eigentlich täglich, ja mehrmals am Tag: beim Stundengebet, beim Rosenkranz, in der Eucharistiefeier … Und durch die (mehrfache) Lektüre des eben erwähnten Vaterunser-Buches von Pater Reinhard Körner ist mir wieder neu bewusst geworden, welchen geistlichen Schatz wir da in unserer Kirche mittragen, welch’ ‚heilsam-gefährliches Gebet‘ (Reinhard Körner, S. 89) – und dass es auch stimmt, was Martin Luther einmal sagte: „Das Vaterunser ist der größte Märtyrer auf Erden. Denn jedermann plagt‘s und missbraucht’s.“

Ich bleibe heute bei einem Gedanken stehen, der mir früher eigentlich noch nie bewusst geworden ist, der aber Auswirkung auf mein Beten und Leben haben kann. Eigentlich logisch und doch neu für mich! Wir beten immer „Vater unser“, wir kennen das Gebet Jesu nur in dieser Formulierung, obwohl es eine falsche Übersetzung ist und noch dazu gar nicht richtig Deutsch! Es müsste eigentlich heißen: „Unser Vater“ (und nicht „Vater unser“). Niemand sagt doch bei uns: „Eltern unsere leben noch“, sondern: „unsere Eltern …“ und niemand schreibt: „Pfarre unsere ist sehr lebendig“, sondern: „unsere Pfarre …“ Nur weil es im Griechischen und Lateinischen in dieser Wortstellung richtig ist, hat man fälschlicherweise die Wortstellung auch genauso ins Deutsche übernommen.

Da ist kein Schatten von Furcht und Angst, sondern eine Liebe, die vorleistungsfrei ist und trotz aller Schuld mich umgibt und will.

Es macht für mich Sinn, das einmal bewusst zu hinterfragen, um dann dem Inhalt des Gebetes ein neues Gewicht zu geben. „Vater“, „Abba“: dieses vertrauensvolle, ja intime Wort verwendet Jesus, wenn er von und zu seinem Gott spricht und meint damit nicht eine „männliche“ Gottheit, sondern Gottes fürsorgende, barmherzige und stets nahe Liebe.

„Guter Papa“, „liebender Ursprung meines Seins“, „Geheimis hinter allem Existierenden“, so darf ich fühlen und bekennen, wenn ich an meinen Gott und Schöpfer denke. Ein geheimnisvoll wirkendes DU, das mich will, braucht, begleitet und nur lieben kann. Da ist kein Schatten von Furcht und Angst, sondern eine Liebe, die vorleistungsfrei und trotz aller Schuld mich umgibt und will. Jesus kratzt jede Übermalung vom ambivalenten Gottesbild seiner Zeit ab, damit die göttliche Liebe rein durchstrahlen kann, hinein in unsere Welt und in mein Leben.

Warum sind wir nur in der Kirchengeschichte wieder auf das alte, ambivalente Gottesbild zurückgefallen („Gott liebt, aber er ist auch gerecht und straft“). Das ist ganz tief in vielen Menschen drinnen, ich merke es oft bei Bibelrunden oder geistlichen Begleitgesprächen!

Gottes unverdiente, grenzenlose und annehmende Liebe: Das zu spüren, tief zu glauben, immer neu zu verkünden ist die Aufgabe von Kirche, ist auch meine Berufung als Pfarrer.

„Unser“: Solches Glauben-Dürfen ist kein Solo-Trip, kein Ego-Wissen, sondern führt in die Weite der Geschwisterlichkeit. Unser Gott ist „Vater“ (im Sinne von: liebender Urgrund) von allem und von allen. Da ist niemand ausgeschlossen und niemand verloren!

Jedes „Vaterunser“ ein andächtiges „Unser Vater“

Das „Unser Vater“ öffnete meinen Blick auf die Wirklichkeit und lässt mich alle (!) Menschen als Geschwister verstehen. Da muss ich noch wachsen, merke ich schon, wenn ich das bedenke und schreibe! Da bin ich längst nicht am Ziel, aber die Richtung kann nur diese sein: Gott ist wie Vater (und Mutter), Schöpfer, Liebhaber jeden Geschöpfes und von aller Schöpfung. In diese Weite hineinzuwachsen, sich hineinzulieben, bleibt wohl die große Lebensaufgabe! Das eigentlich genügt mir schon, um darüber nachzusinnen, mich zu freuen und diese Glaubensgewissheit in mein Leben täglich wieder einfließen zu lassen.

Mir fällt auf, dass ich jetzt bei jedem „Vaterunser“ einmal an diesen weiten Anfang des Gebetes denke und mich öffnen möchte für die Liebe, die mich gratis immer umgibt.Damit jedes „Vaterunser“ ein andächtiges „Unser Vater“ werde!

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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