Republik Moldau
Mehr Russland oder mehr Europa
Als die Sowjetunion 1991 zerfiel, wurde die Republik Moldau ein eigener Staat. Russland will aber nach wie vor die Politik dort bestimmen, ähnlich wie in der viel größeren Ukraine. Das Land ist wirtschaftlich so schwach, dass ein Drittel der Bevölkerung im Ausland Geld verdient. Die wichtigste soziale Hilfsorganisation in Moldau kommt aus Österreich.
Wie eine Niere liegt die Republik Moldau zwischen der Europäischen Union und der Ukraine. Mit dem böhmischen Fluss Moldau hat das Land nichts zu tun. Seine Fläche ist etwa so groß wie Belgien, aber die Einwohnerzahl beträgt nur ein Fünftel der belgischen – Moldau hat eine geringe Bevölkerungsdichte. Sanfthügelig und fruchtbar ist der Großteil des Landes, mit Weinbau und kleinen bunten Holzhäusern in kleinen, verstreuten Dörfern. Während sich die Hauptstadt Chisinau großstädtisch und modern präsentiert, gibt es in den Dörfern kaum Infrastruktur.
Mit einem Schulrucksack geht ein Teenager vom Dorf Lapusna über einen Feldweg nachhause. Seine Kleidung unterscheidet sich kaum von der eines Teenagers in Brüssel oder Rom. Wie er seine Sportschuhe sauber hält, ist allerdings ein Rätsel, denn keine der Straßen im Dorf ist asphaltiert, die Wege sind staubig, erdig, steinig. Bodenversiegelung ist hier nicht das Problem. Auf einem anderen Feldweg in eine andere Richtung von Lapusna setzt sich ein Pferdewagen in Bewegung. Er bringt 18 alten Menschen ein warmes Mittagessen – Essen auf Rädern. Nicht, dass es hier keine Autos oder Lastwagen gäbe, aber das Pferd kommt wohl billiger als Benzin. Ein Mann mittleren Alters, mit schwarzem T-Shirt, kräftigen Armen und wenig Haaren, schlichtet die Mahlzeiten vor dem Sozialzentrum von Lapusna in seine blaue Isoliertasche und verstaut sie hinten auf dem Leiterwagen. Er ist einer der Freiwilligen, die täglich ihre Runde fahren und Essen verteilen. Heute gibt es Nockerlsuppe, Karottengemüse mit Kartoffelpüree und eine dicke Schnitte Weißbrot.
Fast jedes zweite Haus im Dorf, an dem das Gespann vorbeirollt, sieht verlassen aus: das einst bunt verzierte Eisentor zum Grundstück mit Ketten verschlossen, die Fenster des Hauses verhängt. Seit die Dorffabrik aus der Sowjetzeit ihre Tore geschlossen hat, gibt es Arbeit höchstens im Supermarkt. Die Arbeitsplätze reichen nicht für eine Dorfgemeinschaft, und die Erträge der kleinen Landwirtschaften reichen kaum fürs Überleben.Wer kann, der geht
Kein Wunder, dass die erwerbstätige Generation woanders ihr Glück versucht. Schätzungen zufolge ist ein Drittel der Moldauerinnen und Moldauer längerfristig oder dauerhaft im Ausland, ein guter Teil davon in der EU. Nicht immer, aber oft sogar ganz legal – denn so, wie Moldauisch eine Variante des Rumänischen ist, haben nicht wenige Menschen in Moldau verwandtschaftliche Beziehungen nach Rumänien und finden einen stichhaltigen Grund, um die rumänische, also eine EU-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Zurück im Land bleiben vor allem die Älteren und die Kinder und Jugendlichen. Dass das eine Herausforderung für die Gesellschaft ist, liegt nahe.
Das Dorf Lapusna hat Glück, denn es hat ein Sozialzentrum, das vielen Menschen das Leben erleichtert – es ist eines der Tageszent-ren von Concordia, der mittlerweile größten Hilfsorganisation in Moldau. Der Schwerpunkt in den übers Land verteilten Tageszentren liegt auf der Nachmittagsbetreuung für je 25 Kinder. Viele Schüler haben einen Elternteil oder beide Eltern im Ausland, wohnen bei den Großeltern, bei Verwandten oder sind auf sich allein gestellt. Hier im Tageszentrum erhalten sie ein warmes Mittagessen, Unterstützung bei den Hausaufgaben, wenn nötig psychologische Beratung und ganz grundsätzlich einen Ort, an dem sie mit Gleichaltrigen spielen, basteln oder gemeinsam Obst und Gemüse anbauen können. „95 Prozent der Kinder, die nachmittags das Tageszentrum besuchen, kommen gut durch die Schule, das ist ein wichtiger Indikator, dass die Zentren wirksam sind“, freut sich der Vorarlberger Jesuit Markus Inama. Er ist im Vorstand von Concordia und besucht Moldau regelmäßig, um die 240 Mitarbeitenden im Land und die 100 Freiwilligen zu unterstützen, wo es nötig ist. Dazu gehört auch spirituelle Begleitung. „Die Arbeit hier ist sehr fordernd“, erklärt Pater Inama. „Da ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden gut für sich selbst sorgen können, um innerlich nicht auszubrennen.“ Das Leitmotiv für die Sozialarbeit bei Concordia ist die Verbindung von Herz zu Herz.20 Jahre Concordia in Chisinau
Vor wenigen Wochen gab es bei Concordia in Chisinau einen Grund zum Feiern: Die Hilfsorganisation ist seit 20 Jahren in der Republik Moldau aktiv. Der Bischof von Chisinau hatte damals den Jesuitenpater Georg Sporschill, der in Rumänien für vernachlässigte Kinder wirkt, gebeten, nach Moldau zu kommen. Seither konnte Concordia 150.000 Menschen helfen, das mobile Team hat fünf Millionen Kilometer zurückgelegt, 60 Millionen Euro wurden aus Klein- und Großspenden für den Aufbau der weitverzweigten Arbeit eingesetzt. Es gebe mittlerweile auch Spenden aus Moldau selbst, sagt Markus Inama SJ, aber das wäre noch viel zu wenig. Concordia würde außerdem EU-Förderungen beantragen, die eine große Stütze sind. Die Republik Moldau bringt als ärmster Staat Europas nur wenig für die soziale Arbeit auf. Man werde deshalb noch lange auf Spenden aus Österreich angewiesen sein, um den Ärmsten in Moldau Perspektiven bieten zu können, schätzt Inama.
Das Leitmotiv für die Sozialarbeit bei Concordia ist die Verbindung von Herz zu Herz.
Wie es mit den EU-Förderungen weitergeht, ist seit der Abstimmung am Wochenende um den 20. Oktober ungewisser als zuvor: Die Menschen waren aufgerufen zu entscheiden, ob der Beitritt Moldaus zur EU als strategisches Ziel in der Verfassung niedergeschrieben werden soll. Immerhin nahmen mehr Wahlberechtigte als erwartet an der Abstimmung teil, die Entscheidung fiel aber mit 50,5 zu 49,5 Prozent nur hauchdünn für die EU-Integration als Verfassungsbestandteil aus. Das bedeutet zwar noch keine Abwahl der seit Juni laufenden EU-Beitrittsgespräche, es zeigt aber den starken Einfluss, den Russland in der ehemaligen Sowjetrepublik hat. Nicht immer mit sauberen Mitteln, wie Medien berichten: Der in Moldau für den Diebstahl von fast einer Milliarde Euro aus drei Banken zu 15 Jahren Haft verurteilte Oligarch Ilan Șor soll mittlerweile in Moskau leben und von dort aus massenhaft Geld nach Moldau fließen lassen (das mit Russland nicht einmal eine Grenze hat), um die anti-europäische Stimmung zu fördern. Am 3. November muss sich auch Präsidentin Maia Sandu, deren Kurs klar pro-europäisch ist, einer Stichwahl um eine weitere Amtszeit stellen. Ihre zehn Gegenkandidaten im ersten Wahlgang waren alle pro-russisch.Virtuelle Mama
Für die neunjährige Oxana und ihren siebenjährigen Bruder Vlad werden die richtungsweisenden Entscheidungen der kommenden Jahre einen großen Unterschied machen. Sie besuchen die Nachmittagsbetreuung im Concordia-Zentrum von Taraclia südlich der Hauptstadt Chisinau. Ihr Vater ist vor zwei Jahren verstorben, die Mutter arbeitet als Haushaltshilfe in Frankreich. Seit eineinhalb Jahren konnten sie sie nicht berühren, aber einige Male pro Woche gibt es ein Videotelefonat mit Mama. „Gestern haben sie mit ihr gesprochen“, erzählt Oma Elena Popescu, bei der die zwei leben. Tränen kommen ihr in die Augen. Sie tut alles, um die Zukunft ihrer Enkel zu fördern. Obwohl die 66-Jährige in Pension ist, arbeitet sie täglich von 8 bis 17 Uhr im Supermarkt und sorgt für das nötige Einkommen. Auch sie hat einmal im Ausland gearbeitet – in Russland. Politisch sei sie nicht interessiert, sagt sie, und meint dann: Es sollte schon Richtung Europa gehen. Dorthin gehen derzeit auch die meisten Moldauer zur Arbeit.
Autorin: Monika Slouk
Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Concordia. Die Namen der Kinder wurden geändert.
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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