Ein Rückblick
Fünf Jahre nach der Flüchtlingswelle
Vor fünf Jahren begannen in Österreich historische Tage: Tausende Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder Nordarfrika strebten auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben Richtung Europa. Die meisten von ihnen wollten nach Deutschland, rund 90.000 aber suchten in diesem Jahr in Österreich um Asyl an. Tausende von ihnen wurden in unseren Pfarren betreut. Ein Rückblick.
Angesichts der tausenden Menschen, die im Sommer 2015 Richtung Österreich strömten, hatte der damalige Bischof von St. Pölten, DDr. Klaus Küng, am 3. September in einem Brief an die Pfarrgemeinden gebeten, dass in allen Pfarrgemeinde- und Pfarrkirchenräten, in allen katholischen Einrichtungen und Vereinigungen in der nächsten Zeit „einmal mehr“ überlegt werden solle, welche bis jetzt ungenützten Hilfsangebote für Flüchtlinge in Frage kämen und welche Möglichkeiten sofort umsetzbar wären. Gleichzeitig dankte der Bischof für den „bisherigen Einsatz“. Er habe den Eindruck, „dass viele in unserer Diözese sehr großzügig auf einen vorangegangenen Aufruf reagiert haben, Flüchtlinge aufzunehmen“. „Die großen Probleme können zwar nicht von uns gelöst werden“, so der Bischof, „aber wir können und müssen Nächstenliebe üben“.
Nächstenliebe gegenüber Flüchtlingen wurde in diesen Tagen und in den Jahren danach in der Diözese tatsächlich gelebt: In den „Spitzenzeiten“ wurden in über 100 Pfarren über 2.400 Asylwerber betreut, weiß Stefan Stöger, Flüchtlingsbeauftragter der Diözese St. Pölten. „Die Situation war herausfordernd, aber gleichzeitig auch ein schönes Zeugnis für die christliche Nächstenliebe“, so der diözesane Leiter des Rechtsreferates im Rückblick. Auf Bitte von Bischof Küng wurde damals die sogenannte „Schreckvilla“ in St. Pölten, in der Altbischof Kurt Krenn einen Teil seiner letzten Lebensjahre verbracht hatte und die behindertengerecht hergerichtet war, behinderten Asylwerbern zur Verfügung gestellt. „Vereinzelt habe es mit Flüchtlingen in den Pfarren negative Erlebnisse gegeben“, so Stögers Resümee, „aber im Großen und Ganzen haben wir die Situation gut gemeistert“. Heute stehen die meisten Flüchtlinge in behördlicher Versorgung. Nur in rund zehn Pfarren werden noch einige wenige betreut, so Stöger.
Hannes Ziselsberger, heute Caritasdirektor der Diözese St. Pölten, war damals als Geschäftsführer des Vereins Wohnen, einer Einrichtung des Landes Niederösterreich, an vorderster Stelle bei der Flüchtlingsunterbringung mit dabei. „Wir haben innerhalb von drei Monaten 400 zusätzliche Plätze für Flüchtlinge geschaffen“, erinnert sich Ziselsberger. Die Asylwerber wurden in kleinen Gruppen in „normalen Wohnungen“ untergebracht. „Das war eine bewusste Entscheidung, weil die langjährige Erfahrung gezeigt hat, dass damit weniger Probleme verbunden sind“, so der heutige Caritasdirektor. In den kleinen Wohneinheiten seien die Flüchtlinge zum Teil gar nicht aufgefallen und es habe selten Probleme gegeben.
Auch Ziselsberger zeigt sich im Rückblick von der „enormen Hilfsbereitschaft vieler Menschen in der Diözese“ begeistert und von der Diskussionskultur damals. Er selber, so der Caritasdirektor, habe an rund 20 Diskussionsveranstaltungen in ganz Niederösterreich teilgenommen, zu denen teilweise hunderte Bürger kamen. „Da haben die Menschen signalisiert: Da wollen wir informiert sein, weil das geht uns alle an. Eine solche Diskussionskultur würde ich mir heute bei anderen Themen, wie z. B. der Pflege, auch wünschen.“
Verein „Willkommen Mensch“
Einer, der damals viel in der Flüchtlingsbetreuung geleistet hat, ist Christian Köstler, Leiter der PfarrCaritas. Auch er blickt zurück. „Da haben Leute quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten mitgeholfen, auch solche, die bis dahin keinen Kontakt zur Pfarre hatten“, sagt Köstler im Rückblick. Er gründete in Amstetten den Verein „Willkommen Mensch“, unter diesem Vereinsnamen wurde Asylwerbern in rund 20 Pfarren geholfen.
„Wir konnten viele Menschen gut in ihr Leben hier in Österreich begleiten, viele haben eine Arbeit gefunden und leben heute selbständig, viele Kinder haben sich gut in der Schule eingelebt und werden ihren Weg machen“, fasst Christian Köstler zusammen. (Lesen Sie dazu auch den Bericht auf Seite 14). Aber er verschweigt nicht, dass es auch negative Erfahrungen gegeben hat. Als Grund dafür ortet der PfarrCaritas-Leiter sowohl ein großes Kommunikationsproblem, als auch falsche Erwartungen – nämlich bei den Flüchtlingen und bei den Helfern: „Viele Flüchtlinge hatten die Vorstellung, dass alles vom Himmel fällt, wenn sie nach Österreich kommen“, erinnert sich Köstler zurück. Manche hätten sich auch mit den „Spielregeln“ in Österreich schwer getan, wie etwa das Verhalten gegenüber Frauen. Die Helfer wiederum seien enttäuscht gewesen, „weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden“, weil die Betreuung nicht nur einige Wochen, sondern manchmal sogar Jahre dauerte und der eine oder andere Engagierte hier an seine persönlichen Grenzen gekommen sei. Nicht zuletzt seien viele Helfer auch wegen der bürokratischen Hürden und weil es immer wieder unverständliche Abschiebungen von gut integrierten Flüchtlingen gegeben habe, enttäuscht worden.
Es gibt keine Alternative
Das Resümee von Christian Köstler: „Ich glaube, dass es eine Riesenleistung war, was die Menschen hier in den Pfarren vollbracht haben. Wir haben aber auch gelernt, dass ein vorurteilsfreies Miteinander-Leben nicht von vornherein gegeben ist. Wir haben aber auch viele Erfahrungen und Know-How gesammelt. Dass es etwa wichtig ist, von Anfang an alle Regeln zu kommunizieren.“ Auf die Frage, ob er sich wieder in einer solchen Krise engagieren würde, sagt Christian Köstler: „Ja, denn es gibt keine Alternative zum Helfen.“
Chronologie
2014/2015: Die Fluchtbewegung war absehbar und Europa daran nicht unbeteiligt. Der Bürgerkrieg in Syrien spitzte sich zu. Millionen Menschen flohen oder wurden vertrieben. Das hinderte die EU nicht, ihre Finanzzusagen für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zu kürzen, ohne eine Perspektive für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu entwickeln. Hinzu kamen Schutzsuchende aus dem Irak, Afghanistan, Eritrea und Nordafrika.
4. August 2015: Der Flüchtlingstross staut sich zunächst in Ungarn, bis sich am 4. August Tausende mit dem „March of hope“ (Marsch der Hoffnung) über die Autobahn Richtung Österreich und Deutschland auf den Weg machen.
27. August: In einem Kühl-Lkw auf der Ostautobahn A4 bei Parndorf werden die Leichen von 71 Flüchtlingen entdeckt, die im Laderaum des Schlepper-Fahrzeugs erstickt sind.
31. August: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt vor der Bundespressekonferenz im Hinblick auf die Flüchtlingskrise „Wir schaffen das.“ Wenige Tage später, am 5. September, erlauben Österreich und Deutschland offiziell die Weiterreise von Flüchtlingen aus Ungarn. Zehntausende Asylsuchende reisen in den folgenden Wochen nach Österreich ein und großteils nach Deutschland weiter. Später verlagert sich die Route in die Steiermark. Tausende Helfer betreuen die Menschen auf Bahnhöfen und in Notquartieren. Bis Ende des Jahres werden in Österreich über 90.000 Flüchtlinge um Asyl ansuchen.
Wer ist was?
Flüchtling: Als Flüchtling bezeichnet man Menschen, die ihr Herkunftsland aufgrund von Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung (aufgrund seiner Rasse, Religion oder politischer Meinung) verlassen mussten. Die Gründe, warum jemand als Flüchtling anerkannt wird, sind durch die Genfer Flüchtlingskonvention definiert.
Asylwerber sind Menschen, die in einem fremden Land Asyl suchen. Ob ein individueller Fluchtgrund besteht, wird im Zuge eines Asylverfahrens entschieden. Wird es zuerkannt, erhält der Asylsuchende den Status als Asylberechtigter.
Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, die eine befristete Aufenthaltsbewilligung erhalten, weil ihnen in ihren Heimatländern Gefahr durch Krieg oder Folter droht.
Migranten sind Menschen, die ihr Heimatland verlassen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern oder woanders zu arbeiten.
Autor:Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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