Interview mit Nationalratspräsident Mag. Wolfgang Sobotka
„Es gibt eine Verantwortung, die wir zu tragen haben“
Im Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren lud Nationalratspräsident Mag. Wolfgang Sobotka am 27. Jänner im Parlament zur Gedenkveranstaltung ein und im Vorfeld des Jahrestages besuchte er die Gedenkstätte im ehemaligen KZ. Im „Kirche bunt“-Interview geht der NR-Präsident, der aus Waidhofen/Ybbs stammt, auf die Verantwortung Österreichs ein, auf antisemitische und fremdenfeindliche Strömungen heute und die Maßnahmen dagegen, aber auch auf Fragen rund um die Sicherungshaft, das geplante Kopftuchverbot oder seinen ganz persönlichen Glauben.
Am 27. Jänner haben Sie anlässlich der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen. Sie selbst waren erst kürzlich in Auschwitz und haben nach Ihrem Besuch gesagt, dass Sie sich noch nie so „klein und hilflos“ gefühlt haben. Wie haben Sie das gemeint?
Wolfgang Sobotka: Ich kenne Konzentrationslager wie Mauthausen oder Buchenwald, Dachau und andere. Aber die Monstrosität von Auschwitz-Birkenau – das ist unbeschreiblich. Wenn man die Bilder der hunderttausenden Schuhe, der Brillen, Prothesen oder Haare der Ermordeten vor sich sieht oder die von der SS in die Luft gesprengten Gaskammern, die dort als Trümmerfeld noch so liegen wie 1945 – das alles vermittelt ein unglaubliches Gefühl der Wortlosigkeit und Verzweiflung.
Hat sich Österreich seiner Verantwortung ausreichend gestellt?
Sobotka: Also, es gibt keine Kollektivschuld, aber es gibt eine Verantwortung und die haben wir heute zu tragen. Das ist unsere Geschichte, von der können wir uns nicht lösen, mit der müssen wir umgehen. Ich glaube, dass uns da vieles in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelungen ist, worauf wir auch stolz sein können. Aber trotzdem bleibt das immer wieder in der Geschichte, im Geschichtsbewusstsein verankert. Und diese Verantwortung, sich dieser Geschichte zu stellen, kann und soll uns auch nicht genommen werden.
Wird in Österreich heute genug gegen antisemitische Strömungen getan?
Sobotka: Wir haben in der Vergangenheit viel getan und die Studie „Antisemitismus in Österreich 2018“ zeigt: Junge und Gebildete sind weniger antisemitisch. Das heißt, wir müssen in der Erziehung und in der Bildung noch mehr tun. Und wir müssen auch mehr rote Linien überlegen. Unser Wiederbetätigungsgesetz ist ein sehr strenges – aber die weicheren Vorstufen erfasst es nicht. Da brauchen wir ein Gesetz, das auch diese Fälle erfasst.
Wir haben es aber auch mit neuen Formen des Antisemitismus zu tun, die vor allem im Internet auftauchen und nicht nur von rechts, sondern auch von links kommen und dort antizionistisch und antiisraelisch sind. Die Studie hat überdies aufgezeigt, dass es in Österreich einen starken importierten Antisemitismus gibt: Leute, die mit arabischem oder türkischem Hintergrund sehr stark schon aus ihrer nationalen, ethnischen Herkunft sozusagen eine Anti-Israel-Grundhaltung haben.
Was geschieht gegen solche Strömungen in Österreich?
Sobotka: Unsere Aufgabe ist es, jenen Leuten, die zu uns kommen oder schon länger da sind, unsere humanistische Haltung zu vermitteln, wie z. B. die Gleichstellung von Mann und Frau, dass unser Rechtssystem gilt oder dass der Holocaust zu unserer Geschichte gehört und dass es eine Verantwortung gibt, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Ich kann nicht die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben und sagen: Was vor mir war, geht mich nichts an.
Und welche Maßnahmen werden gegen Antisemitismus im Internet ergriffen?
Sobotka: Im Netz geht es nicht nur um Antisemitismus, sondern insgesamt um diesen barrierefreien Hass. Den Hass im Netz zu bekämpfen, muss ein zentrales Anliegen sein. Es braucht einerseits Erziehung – da muss man den Menschen, besonders der Jugend, vermitteln: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Und dann braucht es eine gesetzliche Maßnahme und die kann im Internet nur Redaktionsprinzip heißen. Jede Zeitung und Online-Zeitung hat eine redaktionelle Verantwortung und ein Blog mit 3.000 Lesern nicht? Es gilt auch zu überlegen, ob nicht im Internet Klarnamen gelten sollten.
Ist die Ausländerfeindlichkeit für Sie vergleichbar mit Antisemitismus?
Sobotka: Das würde ich rigoros ablehnen: Ausländerfeindlichkeit ist etwas ganz anderes als Judenfeindlichkeit. Ausländerfeindlichkeit ist ein Vorurteil, aber Antisemitismus ist ein epigenetisches Faktum, eine Antithese zum Guten. Das ist auch das Problem beim Antisemitismus, denn Vorurteile kann man mit Auseinandersetzung am besten bekämpfen. Wenn sich z. B. ein Mensch mit Migrationshintergrund gut integriert hat und in der Gesellschaft aufgenommen wurde, ist dieser Mensch ein gutes Beispiel, um ein Vorurteil zu bekämpfen. Das Vorurteil gegen Juden kann man nicht bekämpfen, weil das sind ganz normale Menschen, die unterscheiden sich in gar nichts von anderen Menschen. Die Leute haben 1938 nicht einmal gewusst, wer ein Jude ist und wer nicht.
Die Juden, aber auch Märtyrer wie der selige Franz Jägerstätter oder der selige Priester Otto Neururer wurden in Sicherungshaft genommen. Dieses Wort steht auch im Regierungsprogramm. Sehen Sie das kritisch?
Sobotka: Das hat nichts mit der NS-Zeit zu tun und diese Vergleiche sollte man sein lassen, denn das würde die NS-Zeit nur verniedlichen. Ich glaube, 15 Nationen in Europa verwenden diese Begrifflichkeit und es wurde auch klar gesagt, dass man auf Basis der Verfassung hier darüber nachdenken möchte. Man darf auch nicht vergessen, warum es zu dieser Diskussion gekommen ist: Ich erinnere nur an die Ermordung des Beamten in Vorarlberg. Wir haben tatsächlich eine Reihe von Übergriffen auf Bedienstete der öffentlichen Verwaltung und die gilt es zu schützen.
Die Grünen stehen der Sicherungshaft ablehnend gegenüber. Glauben Sie, dass die türkis-grüne Koalition halten wird?
Sobotka: Die Koalition hat sich klar positioniert und vereint das Beste aus beiden Welten. Jeder versucht, seine Positionen zu organisieren und die Möglichkeiten auszuloten. Was aber im Regierungsprogramm festgeschrieben ist, gilt es umzusetzen.
Das geplante Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahre – und eventuell auch für Lehrerinnen – wird teilweise kritisiert. Können Sie diese Kritik verstehen?
Sobotka: Ich wundere mich immer, dass gerade diejenigen, die so stark für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau eingetreten sind, die auch viele Erfolge verzeichnen konnten und die auch wirklich viel zur gesellschaftlichen Veränderung beigetragen haben, jetzt zu den Verteidigern des Kopftuchs werden – und das unter dem Deckmantel der freien Religionsausübung. Es besteht ein großer gesellschaftlicher Konsens, dass das Verbot für Mädchen bis 14 Jahre umzusetzen ist. Über die Frage, wie der Staat in dieser Frage mit öffentlichen Repräsentanten umgeht, muss es eine Diskussion über das Für und Wider geben.
Sie setzen sich sehr für den interreligiösen Dialog im Parlament ein. Wie kritisch sehen Sie das „König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog“, das manche als Hochburg des intoleranten Islams sehen und dessen Schließung das Parlament im Vorjahr der Regierung nahe gelegt hat?
Sobotka: Es muss nach sachlichen Kriterien entschieden werden. Es sind dort ja auch andere Institutionen wie z. B. der Heilige Stuhl und andere Länder wie Spanien involviert. Mit einer vorschnellen Aktion ist man sicherlich nicht gut beraten. Es ist aber bestimmt kein Zentrum für die Reinwaschung irgendeiner anderen Politik. Der Beschluss des Parlaments vom Sommer, den die ÖVP übrigens nicht mitgetragen hat, ist nicht mehr in Kraft, weil wir in einer neuen Legislaturperiode sind.
Soll der Sonntag ein freier Tag bleiben?
Sobotka: Dort, wo es geht, bin ich grundsätzlich dafür, die Sonntagsruhe zu halten, aber das ist in vielen Berufen nicht möglich wie z. B. im Krankenhaus, bei der Polizei oder im Tourismus. Grundsätzlich denke ich, dass die Diskussion um die Sonntagsruhe eine Diskussion an der Oberfläche ist. Der katholische Glaube manifestiert sich doch nicht allein am Sonntag. Natürlich ist der Messbesuch wichtig, aber genauso wichtig ist es, sich z. B. auch zu Hause mit den religiösen Inhalten auseinanderzusetzen, über den Glauben zu reden und vor allem danach zu leben.
Sie laden im Parlament regelmäßig zum interkonfessionellen Gebetsfrühstück ein, zu den Hochfesten gibt es im Hohen Haus ökumenische Gottesdienste und auf Ihrer Facebookseite begleiten Sie mit Postings das Kirchenjahr. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Glaube?
Sobotka: Ich bezeichne mich einfach als gläubigen Menschen, als Katholiken. Der Glaube ist Teil meines täglichen Lebens. Besonders gefreut hat es mich, dass Bischof Alois Schwarz der Bischof meiner Heimatdiözese St. Pölten geworden ist. Mit seiner seelsorglichen-kommunikativen Art macht er den Leuten enorm Mut, sich zu einer bekennenden Kirche zu entwickeln. Und das braucht es auch, denn wir sind heute mit gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert, mit Doppel- und Parallelgesellschaften. Wir sehen auch die Gefahren des politischen Islams – das alles kann man nicht nur mit dem Gesetz bekämpfen, sondern dem muss man auch mit Haltung entgegenwirken. Da sind alle Katholiken und alle anderen Religionsgemeinschaften enorm gefordert. Endredaktion: Sonja Planitzer
Autor:Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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