Für die Deutschen war er ein Schandvertrag: Vor 100 Jahren trat der sie demütigende Versailler Friedensvertrag in Kraft.
Der Frieden, den keiner wollte
Papst Benedikt XV. sprach von einem „rachsüchtigen Diktat“ und forderte Gerechtigkeit auch für die Kriegsverlierer. „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?“, klagte der Ministerpräsident des Deutschen Reiches, Philipp Scheidemann, und begründete damit im Mai 1919 seinen Rücktritt. Und der Soziologe Max Weber kommentierte: „Nun wird [...] der Friede diskreditiert sein, nicht der Krieg.“
Die Rede war vom Versailler Vertrag, der vor 100 Jahren, am 10. Januar 1920, in Kraft trat. Während der Waffenstillstandsverhandlungen hatten die Deutschen eine auf Gerechtigkeit und Ausgleich bedachte Friedensordnung erhofft – nicht zuletzt auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es US-Präsident Woodrow Wilson in seinem 14-Punkte-Programm verkündet hatte. Doch dann gab es ein böses Erwachen, wie der Marburger Historiker Eckart Conze in seinem Buch „Die Große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt“ schreibt.
Es wurde ein Diktatfrieden: Deutschland war an den Verhandlungen nicht beteiligt gewesen. Seine Abgesandten konnten den Vertragstext nur entgegennehmen. Frankreich wollte eine dauerhafte wirtschaftliche und militärische Schwächung des Nachbarn. Alles in allem verlor das Reich etwa ein Siebtel seines Gebiets, ein Zehntel seiner Bevölkerung und musste auf seine Kolonien verzichten. Das Heer wurde auf 100.000 Mann begrenzt; nur den deutschen Militärs wurden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Die in Artikel 231 festgeschriebene Alleinschuld Deutschlands und seiner Verbündeten am Weltkrieg führte zu enormen Reparationsforderungen.
Als Wiedergutmachung hatte Deutschland 100 Milliarden Goldmark angeboten, im Vertrag selbst wurde keine Gesamtsumme genannt. Doch später forderten die Alliierten die astronomische Summe von 269 Milliarden Goldmark. Das bedeutete für die Weimarer Republik eine permanente innenpolitische Belastung, die die Nationalsozialisten auszunutzen wussten. Die Forderungen wurden später halbiert und mehrfach revidiert, und die Zahlungen wurden 1932 ausgesetzt. Die letzte Rate für Zinsen und Tilgung in Höhe von 56 Millionen Euro zahlte die Bundesrepublik am 3. Oktober 2010.
Westfälischer Friede von 1648 und Wiener Kongress 1815: Beide europäischen Friedensschlüsse schufen eine lang währende stabile Ordnung. Der Versailler Vertrag aber war schon 20 Jahre später Makulatur. Es war ein von allen Seiten ungeliebter Friedensschluss, der auch für den Aufstieg Hitlers und den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht wurde. „Auf allen Seiten ging auch nach dem Waffenstillstand der Krieg in den Köpfen weiter“, heißt es bei Conze. „Versailles – das war der Frieden, den keiner wollte.“
Illusionäre Hoffnungen
„Vielleicht unternahm die Pariser Friedenskonferenz von vornherein etwas Unmögliches“, zitiert der Marburger Historiker den Schriftsteller Sebastian Haffner. Da gab es einerseits die große Friedenssehnsucht und die illusionären Hoffnungen, dass nach dem mörderischsten Krieg der Geschichte endlich eine stabile Ordnung geschaffen würde. Doch da war andererseits der immense Hass. Die Friedensverhandlungen standen unter dem permanenten Druck der Weltöffentlichkeit. „Frieden schließen nach totalem Krieg, dafür gab es keine Vorbilder“, so der Autor.
Zugleich galt es, ein großes Bündel von Problemen zu lösen: Der Zerfall des Osmanischen Reichs, der Habsburger Monarchie und Russlands löste eine Welle von Nationalismus, ethnischen Auseinandersetzungen und die Gründung neuer Nationalstaaten aus. Bis heute zeigen sich die Folgen etwa auf dem Balkan, in Palästina, dem Irak oder zwischen der Türkei und Griechenland.
Dramatische Auswirkungen hatte Versailles auch auf die koloniale Welt. Die Auflösung des deutschen Kolonialreichs und das Ende der osmanischen Herrschaft über weite Teile des Nahen und Mittleren Ostens weckten Hoffnungen auf Selbstbestimmung. Sie wurden enttäuscht, weil Frankreich und England diese Gebiete in ihr eigenes Kolonialreich eingliederten. Zur Instabilität trug auch bei, dass die USA nicht bereit waren, die von ihnen wesentlich mitgeschaffene Ordnung zu stabilisieren, etwa im Völkerbund, der zugleich mit dem Friedensvertrag gegründet wurde. Das sollte sich erst nach 1945 ändern.
Christoph Arens (KNA)
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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