Bekannter Betriebsseelsorger Karl Immervoll
Bei den Schwächsten ist man Gott am nächsten

Betriebsseelsorger Karl Immervoll beim Interview mit "Kirche bunt". | Foto: Wolfgang Zarl
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Am 1. September geht Karl Immervoll, Betriebsseelsorger im Oberen Waldviertel, in Pension. Er und sein Team haben ein dichtes Netzwerk geschaffen und können dadurch vielen schwer vermittelbaren Menschen ohne Job helfen. Für den Heidenreichsteiner zählen nicht die Statistiken, sondern die konkreten Lebensgeschichten der Betroffenen.

Nach 37 Jahren gehen Sie als Betriebsseelsorger in Pension. Wie kann man sich eigentlich die Tätigkeit eines Betriebsseelsorgers vorstellen?
Betriebsseelsorger Karl Immervoll: Betriebsseelsorger Karl Immervoll: Der Ansatz der Betriebsseelsorge-Standorte Traisental, Oberes Waldviertel und Amstetten ist jeweils ein anderer. In Amstetten gibt es eine andere Indus­trie als im Waldviertel. Als ich begonnen habe, gingen 1983 allein in der Textilindustrie 2.000 Arbeitsplätze in Heidenreichstein verloren – auch Schrems oder Groß-Siegharts traf es stark. Wir sind auf diese Menschen zugegangen, indem wir viele Beschäftigungsprojekte verwirklicht haben.

Kann man diesen Beruf erlernen?
Immervoll: Es gibt eine gesamtösterreichische Ausbildung, für diese bin ich auch nach meiner Pensionierung am 1. September noch tätig. Die Tätigkeit in der Betriebsseelsorge heute ist komplex. Man braucht ein Team, in das jeder verschiedene Kompetenzen einbringt: vom Vereinsrecht über Soziologie bis hin zur Ökonomie. Es braucht ein großes Konglomerat an Wissen. Ich selber habe neben Theologie einiges studiert.

Worauf lag der Fokus Ihrer Arbeit?
Immervoll: Bei uns lag und liegt der Fokus ganz klar bei Personen, die von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Wir haben in den letzten 37 Jahren hunderte Jobs geschaffen für Menschen, die ganz schwer vermittelbar sind. Beispiele: Waldviertler Schuhwerkstatt, die Emailwerkstatt in Langegg, die Greißlerei in Heidenreichstein, eine ökologische Putz­agentur in Groß-Siegharts, das Kinderhaus Blümchenclub, die Heidenreichsteiner Arche oder die Lehrlingsstiftung Eggenburg. Meine Frage an Arbeitslose ist immer: „Was kannst du denn gut?“ Fabriksarbeiter wussten darauf oft keine Antwort, weil sie „nur“ in der Fabrik arbeiteten. Im Gespräch merkt man, wie viel Potenzial bei den Leuten oft da war.

Haben sich die Jobaussichten im Oberen Waldviertel heute verändert?
Immervoll: Früher kamen die Jugendlichen leichter in Unternehmen unter. Durch die Corona-Krise ist die Jugendarbeitslosigkeit um hundert Prozent gestiegen. Es fallen Lehrstellen weg, Betriebe ziehen sich zurück. Schwer Vermittelbare sind heute praktisch chancenlos. Und das geht in die nächsten Generationen über. Schuldzuweisungen passen hier also überhaupt nicht. Oft kommen neben der Arbeitslosigkeit noch weitere Probleme dazu: Von schlechten Zähnen bis zu kaputten Kühlschränken, die nicht bezahlt werden können, reicht die Palette.

Was ist Ihr gesellschaftlicher Appell?
Immervoll: Mir war es immer wichtig, als Mensch zu helfen und konkret bei und mit den Menschen zu sein. Ich höre sehr gerne Lebensgeschichten von Leuten. Da habe ich oft großen Respekt, wie diese ihre Situation und den Alltag meistern. Das berichten bloße Statistiken nicht. Diese Lebensgeschichten und Erfahrungen berühren sehr. Wie gesagt: Vorurteile gegenüber Arbeitslosen beispielsweise verschwinden dann schnell.

Wie hilft die Betriebsseelsorge konkret?
Immervoll: Wir haben viele Projekte entwickelt und ich kann auch sagen: Ich habe mehrere Betriebe saniert. So kenne ich beide Seiten gut: die unternehmerische wie auch jene des Arbeitnehmers. Wir geben den Menschen die Möglichkeit und Freiheit, jenen Tätigkeiten nachzugehen, die sie wirklich und von Herzen gerne tun – aber ohne Druck. Das sind oft gesellschaftlich unverzichtbare Arbeiten. Bezahlte Arbeit aber finden manche dieser Personen, die vielleicht zu alt oder krank sind, nicht. Es sind oft ein wenig komplizierte Typen, deren oft einzigartige Fähigkeiten nicht gefragt sind – die sie aber gerne positiv in die Gesellschaft einbringen würden. Die Betriebsseelsorge kann dafür einen Rahmen geben, unser Netzwerk hilft uns dabei. Wir haben auch viel mit dem Thema Grundeinkommen experimentiert und dies gut dokumentiert.

Sie sind bekannt für Ihre Netzwerke im Waldviertel. Wird das Engagement von Betriebsseelsorgern von der Arbeiterschaft wertgeschätzt?
Immervoll: Ich glaube, uns kennt man wirklich fast im ganzen oberen Waldviertel. Wo mir jemand unbekannt ist, kennt diesen wer anderer aus dem Team. Wir versuchen, möglichst präsent zu sein – und das absichtslos. Wichtig sind natürlich auch unsere Kontakte zum Arbeitsmarktservice AMS.

Wie sehen Sie Ihren christlichen Auftrag?
Immervoll: Als Betriebsseelsorger und Theologen sollten wir aufhören, auf jedes Problem eine Antwort zu geben. Ich erinnere an den Eigennamen Gottes in der Bibel: JWHW – Jahwe bedeutet übersetzt: der „Ich bin da“. Auch wir wollen dort sein, wo die Not am größten ist. Und wir glauben, dass man Gott am nächsten ist, wenn wir bei den Ärmsten und Schwächsten sind. Die Option für die Armen ist uns ins Herz geschrieben.

Akzeptiert die Arbeitswelt heute kirchliches Engagement in der Berufswelt?
Immervoll: In unserer täglichen Arbeit versuchen wir generell symbolisch zu wirken und Zeichen zu setzen. Um unsere Anliegen der Betriebsseelsorge durchzusetzen, können wir manchmal auch laut sein. Meine Erfahrung bezüglich früherer Konflikte ist: Die großen Auseinandersetzungen und das Misstrauen zwischen Kirche und Arbeitern gibt es nicht mehr. Meist ist diesen die Kirche schlicht „wurscht“. Leider fehlt den meisten Priestern heute die Zeit, in die Betriebe zu gehen. Die Kirche ist leider oft weit weg von den Lebensrealitäten der Menschen. Andererseits gibt es von Gewerkschaftsseite Wertschätzung für unser Engagement. Ich referiere z. B. an der Gewerkschaftsschule, die Katholische Soziallehre kommt dort sehr gut an. Interview: W. Zarl

Autor:

Wolfgang Zarl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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