"Ostern für das ganze Jahr"

Das Kirchenjahr beginnt mit dem ersten Adventsonntag. | Foto: eyetronic - stock.adobe.com
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Mit dem ersten Adventsonntag beginnt ein neues Kirchenjahr. Doch von ausgelassenen Feiern zum Jahreswechsel ist im Gegensatz zu den Feiern am Ende eines Kalenderjahres keine Spur. Warum gibt es überhaupt ein Kirchenjahr? Welche Bedeutung hat es für uns?

Die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Jänner ist etwas Besonderes. Selbst wenn man die Silvesternacht nicht durchfeiert, kann man sich dem neuen Jahr nicht entziehen. Anders ist es mit dem Wechsel des Kirchenjahres, der von den meisten Zeitgenossen gar nicht wahrgenommen wird. Wahrscheinlich liegt das daran, dass das Kirchenjahr im Gegensatz zum bürgerlichen Jahr einen anderen Zweck verfolgt.
Es geht beim Kirchenjahr nicht einfach um das Zählen von Zeiteinheiten oder die Angabe von bestimmten Tagen und historischen Begebenheiten (da richtet sich auch die Kirche nach dem allgemein gebräuchlichen Kalender). Das Kirchenjahr ist in erster Linie ein Festkalender, ein „liturgischer“ Kalender, der den einzelnen Zeiten und Tagen im Verlauf des Jahres ein besonderes Gepräge gibt.

Der natürliche Rhythmus der Feierkultur

Dass zu gleichbleibenden Zeiten oder Tagen besondere Feste gefeiert werden, ist natürlich keine Erfindung der Kirche. In allen Kulturen und Religionen können wir dieses Phänomen beobachten. Besonders wiederkehrende Naturereignisse sind seit jeher Fixpunkte für die menschliche Feierkultur gewesen. Tag und Nacht, Sommer und Winter, Vollmond und Neumond, auch die vom Menschen mitgeprägten Zeiten von Aussaat und Ernte – das alles sind Anlässe, zu feiern und diese Gegebenheiten dadurch auch religiös zu deuten, sich dessen zu vergewissern, dass hinter allem nicht ein blinder Lauf der Geschichte steht, sondern man von der Sphäre des Göttlichen umfangen ist.

Von daher überrascht es nicht, dass die Feste, von denen die Bibel im Alten Testament berichtet, zumeist Feste im Naturkreislauf sind. So ist beispielsweise Pessach (Ostern) ursprünglich das Fest der Gerstenernte, an Schawuot (Pfingsten) dankt man Gott für die Ernte des Weizens.
Eine religionsgeschichtliche Besonderheit ist allerdings, dass sich diesem „natürlichen“ Festzyklus im Laufe der Geschichte Israels ein „heilsgeschichtlicher“ Festzyklus überlagert hat. Man feiert nicht nur das wiederkehrende Ereignis, sondern gedenkt dabei auch der einmaligen Heilstaten Gottes. So wird, um bei unseren Beispielen zu bleiben, Pessach zum Fest des Auszugs aus Ägypten; an Schawuot feiert man die Gabe des Gesetzes und den Bundesschluss auf dem Sinai.

Die messbare Zeit wird durch die Feier des Kirchenjahres Zeichen des Wirkens Gottes, das nicht nur Vergangenheit ist, sondern auch für Gegenwart und Zukunft zugesagt bleibt.

Dadurch, dass man die großen Ereignisse in der Geschichte des Volkes im Laufe eines Jahres in Erinnerung ruft, sollen sie gegenwärtig gehalten werden. Man denkt nicht nur an Vergangenes, sondern nimmt rituell daran teil. Man versichert sich im Verlauf des Jahres durch die verschiedenen Feste dessen, dass Gott, der einst so mächtig und gütig an seinem Volk gehandelt hat, auch heute seinem Volk zugewandt ist, es auch heute befreit, auch heute seinen Bund mit ihm schließt. Die Zeit mit ihrer natürlichen Abfolge von Werden und Vergehen ist nicht nur zyklische Zeit, ewige Wiederkehr, ein ewiger Kreislauf, aus dem man nicht ausbrechen kann, sondern ist von Gott erfüllte Heilszeit.

Das Kirchenjahr als Gedenken des „Heilswerkes Christi“

Die Kirche hält mit dem Alten Testament und der Festkultur Israels an diesem Festkonzept fest. In der „Grundordnung des Kirchenjahres und des neuen Römischen Generalkalenders“ (GOK) heißt es: „Die Kirche feiert in heiligem Gedenken das Jahr hindurch an festgelegten Tagen das Heilswerk Christi“ (GOK 1). – Das Gedenken des „Heilswerkes Christi“, der großen Taten, die Gott durch Jesus Christus an uns vollbracht hat, wird also durch das Kirchenjahr dem bürgerlichen Jahr überlagert, das seinerseits Ausdruck der einfach dahinfließenden, messbaren Zeit ist. Von der anderen Seite her gesagt: Die messbare Zeit wird durch die Feier des Kirchenjahres Zeichen des Wirkens Gottes, das nicht nur Vergangenheit ist, sondern auch für Gegenwart und Zukunft zugesagt bleibt.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat für dieses „Heilswerk Christi“, das wir feiern, den Ausdruck „Paschamysterium“ geprägt und damit auf das bedeutendste christliche Fest hingewiesen – Pascha – Ostern – Auferstehung Christi, ganz plastisch: die Hineinnahme unserer Zeit, ausgedrückt im irdischen Leib Jesu, in die Ewigkeit Gottes. (Deshalb ist auch die Osterkerze traditionell u. a. mit der Jahreszahl des laufenden Kalenderjahres verziert.)

Eine bewusste Mitfeier des Kirchenjahres möchte uns teilhaben lassen am ganzen Leben Jesu.
Das Paschamysterium strukturiert schließlich auch den zeitlichen Ablauf des Kirchenjahres durch die wöchentliche Feier des Sonntags und die jährliche Feier des Osterfestes. Dazu heißt es in der „Grundordnung“: „Am ersten Tag jeder Woche, der Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird, feiert die Kirche gemäß apostolischer Überlieferung, die auf den Auferstehungstag Christi selbst zurückgeht, das Pascha-Mysterium. Deshalb gilt der Herrentag als der Urfeiertag“ (GOK 4) und: „Darum sind die Drei Österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und von der Auferstehung des Herrn Höhepunkt des ganzen Kirchenjahres. So gilt mit Recht: Was der Sonntag für die Woche bedeutet, ist Ostern für das ganze Jahr“ (GOK 18).

Das Paschamysterium im Zentrum des Kirchenjahres

Der Ausdruck „Paschamysterium“ möchte aber keinesfalls eine Engführung auf das Osterfest in dem Sinne sein, dass die Auferstehung Christi der einzige Festinhalt christlicher Feierkultur wäre. Vielmehr zeigt er das Zentrum an, um das herum alles andere gruppiert ist. Im Verlauf des Kirchenjahres stehen selbstverständlich verschiedene Aspekte „von der Menschwerdung bis Pfingsten und zur Erwartung der Wiederkunft des Herrn“ (GOK 17) im Fokus, wird das Paschamysterium gewissermaßen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Eine bewusste Mitfeier des Kirchenjahres möchte uns teilhaben lassen am ganzen Leben Jesu, möchte uns zur Begegnung mit ihm hinführen und uns gerade so in sein Paschamysterium hineinnehmen.

Schließlich enthält der liturgische Kalender noch die Gedenktage der Heiligen. Wenn wir im Verlauf des Kirchenjahres an die vielen Menschen erinnert werden, die bereits teilhaben am österlichen Sieg Christi, die ganz und gar in sein Paschamysterium eingegangen sind, kann uns das ermutigen, dass auch wir unsere Zeit nicht einfach verstreichen lassen, sondern uns bewusst sind, dass es „Heilszeit“ ist, dass uns Gott nicht nur abstrakt, sondern in unserer Zeit begegnen möchte. Alexander Fischer

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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