100. Geburtstag eines Sozialreformers
Josef Scheicher – Priester, Politiker, Journalist

Josef Scheicher um 1880. | Foto: Diözesanarchiv St. Pölten
  • Josef Scheicher um 1880.
  • Foto: Diözesanarchiv St. Pölten
  • hochgeladen von Felix Deinhofer

Vor einem Jahrhundert, am 28. März 1924, verstarb der St. Pöltner Diözesanpriester und sozialpolitische Pionier Josef Scheicher. Heute kaum mehr jemandem geläufig, galt er zu Lebzeiten als eine der prägendsten Priesterpersönlichkeiten Österreichs. Über das bewegte Leben eines Sozialreformers.

Einige Umwege waren notwendig, die den am 18. Februar 1842 im weststeirischen St. Stefan ob Stainz geborenen Josef Scheicher in den St. Pöltner Klerus und auf die politische Bühne Österreich-Ungarns verschlugen. Die Kindheit des Bauernsohnes Scheicher war geprägt von Arbeit und Entbehrungen. Elterliche Zuneigung und kindliche Freuden waren rar gesät im weststeirischen Bauernmilieu jener Zeit. Als alter Mann erinnerte er sich später an diese Zeit: „Wenn ich heute an die freudenarme Jugendzeit zurückdenke, wird mir weh. Ich hatte von den Eltern gar nichts, nicht ein Spielzeug, nicht einen Gegenstand der Freude. [...] die freudenarme Jugend hat mir keine spätere Zeit ersetzen können.“

Für die aufkeimenden Interessen des Heranwachsenden war neben dem harten Arbeitsalltag wenig Platz. Seine liebste Arbeit war deshalb das Viehhüten – hier war Zeit zum Lesen und Denken. Durch die Intervention seiner Mutter konnte ihm mit 13 Jahren sein Wunsch erfüllt werden, das Gymnasium in Graz besuchen zu dürfen. Der Vater ermahnte die Professoren bei der Anmeldung seines Sohnes, den „Spitzbuben“ mit der erforderlichen Strenge zu behandeln.

„Wenn ich heute an die freudenarme Jugendzeit zurückdenke, wird mir weh. Ich hatte von den Eltern gar nichts, nicht einen Gegenstand der Freude.“

Wohnen musste Scheicher ab dem zweiten Jahr im bischöflichen Knabenseminar. Dem freiheitsliebenden Schüler war die Enge des Seminarlebens zuwider. Nach dem Tod seiner Mutter zog er aus dem Institut aus und verdiente durch Nachhilfestunden seinen bescheidenen Lebensunterhalt. In der neugewonnenen Freiheit geriet er in den Sog der deutschnationalen Begeisterung, die sich besonders im Graz dieser Zeit breit machte.

Nach einem kurzen Intermezzo auf dem Gebiet der Medizin trat er 1863 in das Noviziat der Jesuiten in St. Andrä im Lavanttal ein. Nach einem Herzleiden fand dieses jedoch ein jähes Ende. Die Jesuiten vermittelten ihn an das Priesterseminar St. Pölten, wo er ab 1865 seine theologischen Studien absolvierte. 1869 wurde er von Bischof Joseph Feßler zum Priester geweiht.

In Feßler, der als Generalsekretär des Ersten Vatikanischen Konzils einen überregional herausragenden Ruf erworben hatte, fand Scheicher seinen ersten großen Förderer. Feßler erkannte das Potenzial des jungen Geistlichen und wies ihm als ersten Posten die Kaplansstelle in Waidhofen an der Ybbs zu. Dort erwachte die politische Leidenschaft des Kaplans, der erkannte, dass die Zeit eine politische Mobilisierung der katholischen Basis erforderte. Aufgrund seiner politischen Agitation und polarisierenden Predigten geriet er immer wieder in Konflikt mit den örtlichen Autoriäten. Eine Abordnung reiste sogar zu Bischof Feßler mit der Bitte, Scheicher abzuziehen. Dieser schlug ihnen dieses Anliegen allerdings mit den Worten „Wenn ich ihn nicht dort haben wollte, hätte ich ihn nicht hingegeben. Adieu, meine Herren!“ ab.

„St. Pöltner Kriegsleben“

Der Bischof hatte allerdings Größeres mit dem jungen Priester vor, weshalb er ihn schon bald wieder aus der Pastoral abzog und nach Wien schickte, um dort sein theologisches Doktorat zu absolvieren. Als Scheicher 1874 von dem Studienaufenthalt nach St. Pölten zurückkehrte, war Bischof Feßler bereits verstorben. Dessen Nachfolger Matthäus Binder ernannte Scheicher zum Redakteur des St. Pöltner Boten sowie zum Sekretär des „Katholischen Volks- und Preßvereins“, der Katholikenorganisation der Diözese. Obwohl die neuen Aufgaben den Fähigkeiten und Leidenschaften Scheichers entsprachen, wurde er damit nicht glücklich, seinen bisherigen Nebentätigkeiten nunmehr hauptamtlich nachkommen zu müssen. Diese Zeit bezeichnete er daher später als „St. Pöltner Kriegsleben“.

Dem Bischof gegenüber äußerte er den Wunsch auf eine Professur an der theologischen Diözesanlehranstalt, dem dieser 1878 mit der Berufung auf den Lehrstuhl für Moraltheologie nachkam. Scheicher fiel durch seine neuen und unkonventionellen Lehrmethoden auf. Neu erschienene Bücher ließ er von seinen Studenten rezensieren und veröffentlichte die besten Ergebnisse als Artikel. Der Diözesanleitung war dies jedoch ein Dorn im Auge, weshalb sie darauf den Studenten publizistische Tätigkeiten untersagte.

1884 veröffentlichte Scheicher das Buch „Der Klerus und die soziale Frage“, in dem er auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung der Kirche mit Sozialpolitik hinwies. Einige seiner Anregungen wurden 1891 von Papst Leo XIII. in der Enzyklika „Rerum novarum“ übernommen.

Gemeinsam mit dem späteren Wiener Bürgermeister Karl Lueger gehörte er zu den Gründerfiguren der christlich-sozialen Bewegung um den legendären Sozialreformer Karl von Vogelsang. Als Landtags- und Reichstagsabgeordneter engagierte sich Scheicher für katholische Sozialpolitik. Er zählte zum engsten Kreis um Karl Lueger, mit dem ihm – auch das soll hier nicht verschwiegen werden – die zu dieser Zeit weit verbreitete antisemitische Haltung verband.

Scheicher hatte bereits früh den Zusammenbruch des Habsburgerreiches vorausgeahnt. Im Jahr 1900 veröffentlichte er den Roman „Aus dem Jahre 1920. Ein Traum“, in dem er ein nachhabsburgisches Österreich als Teil eines größeren, friedlichen Staatenbundes postuliert. Scheicher erlebte noch, wie sehr das reale Jahr 1920 von seinem Traum abwich. Er verstarb am 28. März 1924 infolge einer Lungenentzündung. Felix Deinhofer

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ