Glaube an liebenden Gott nicht verloren
Ineinander verwoben
Am 17. Jänner feiern die christlichen Kirchen den 26. Tag des Judentums. Es geht um das Lernen der fremden und eigenen Geschichte, Verantwortung und Sorge um
eine gemeinsame Zukunft.
Der jüdische Schriftsteller Joseph Roth lässt in seinem Roman Hiob den Protagonisten Mendel Singer, als dieser nach vielen Schicksalsschlägen den Glauben an den liebenden Gott verloren hat, sagen: „Gott ist grausam, und je mehr man ihm gehorcht, desto strenger geht er mit uns um.“ Es ist die Geschichte eines Mannes, dem scheinbar alles genommen wird: seine Frau, seine Tochter, seine Söhne. Er verliert sie an Armut, Krankheit und sinnlose Kriege. Wie Hiob in der heiligen Schrift prüft ihn das Leben und – so scheint es – Gott selbst, um seinen Glauben zu testen? Die Frage, die Joseph Roth genau wie das Buch Hiob behandeln, kennt die Philosophie und Theologie als „Theodizee“. Warum lässt Gott Leid zu, wenn er doch allmächtig und gut ist?
Ein Blick in die Geschichte der Menschheit lässt diese Frage immer wieder in neuem Licht aufscheinen. Ein Blick in das eigene Leben sicherlich auch. Warum ist Gott ungerecht zu mir, zu uns? Warum verhindert er nicht das Leid auf der Welt?
Verwoben mit dem Leid
Die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte, die Shoa, macht die Frage so groß, dass eine Antwort darauf geradezu unmöglich scheint. Doch die Geschichte des jüdischen Volkes ist nicht erst seit dem 20. Jahrhundert von Leid geprüft. Die Geschichte des Volkes beginnt mit der Versklavung in Ägypten, Verschleppung, Exil, Fremdherrschaft. Sie schreitet fort über Unterdrückung und Pogrome im Hochmittelalter und der Moderne, auch befeuert durch kirchliche Propaganda. Sie gipfelte in der Judenverfolgung des vergangenen Jahrhunderts und setzt sich fort in einem in allen Gesellschaftsschichten wieder erwachenden Antisemitismus, der von israelfeindlicher, rechts- wie linksextremer und islamistischer Ideologie genährt wird.
Hat das jüdische Volk jemals gesagt, dass Gott böse sei? Dass es, je mehr es ihm gehorcht, umso stärker gestraft wird? Die Geschichte des Judentums scheint mit Verfolgung und Leid verwoben zu sein.
„Der HERR, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott.“
Und doch: Das jüdische Volk, Juden auf aller Welt haben ihren Glauben an den liebenden Gott nicht verloren. Sie halten jene Traditionen und Bräuche hoch, die bereits unser Herr Jesus Christus vollzogen hat, sie beten jene Psalmen und Gebete, die ihre Vorfahren im babylonischen Exil gebetet haben. Mit der Geschichte des Volkes Israel ist nämlich auch der Bund eingewoben, den Gott mit ihm geschlossen hat, die Zusage Gottes, seinem Volk treu zu sein: „Der HERR, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen bewahrt er den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und seine Gebote bewahren“ (Dt 7,9). Und mit diesem Bund verwebt sich auch die Schönheit Gottes, sein Friede, seine Freude in die Geschichte Israels: „Süßer als Wein ist deine Liebe. Köstlich ist der Duft deiner Salben, dein Name hingegossenes Salböl“ (Hld 1,2-3), heißt es im Hohelied Salomos.
Das Leid des jüdischen Volkes in Erinnerung zu bewahren und gleichzeitig die Zusage Gottes an sein auserwähltes Volk nicht zu vergessen, ist Auftrag und Motivation für den Tag des Judentums, an dem die christlichen Kirchen ihre eigene Schuld am jüdischen Leid reflektieren. Eng miteinander verwoben sind Juden und Christen, jüdisches und christliches Leben und Glauben: Die Zusage Gottes, der Bund Gottes mit den Menschen, greift nach christlichem Verständnis zwar nun nicht mehr nur die Juden, sondern alle Getauften mit ein. Aber es bleibt seine besondere Zusage an jenes Volk, in dem er selbst Mensch geworden ist – so lehrt es das 2. Vatikanische Konzil in Nostra Aetate. Man spricht heute oft vom jüdisch-christlichen Erbe Europas, das es gegen antisemtische Angriffe zu bewahren gilt. Dieses Erbe speist sich nicht nur aus der religiösen Verwobenheit, sondern auch aus der kulturellen. Juden gestalteten seit der Antike das gesellschaftliche Leben in Europa mit. 1350 erreichte das europäische Judentum seinen kulturellen und zahlenmäßigen Höchststand: Juden waren Gelehrte, Künstler, Geschäftsleute.
Der Holocaust bewirkte nicht nur das unendliche Leid Unzähliger, sondern verleugnete auch diese Verwobenheit von europäischer Kultur mit der jüdischen verleugnete. So laut die Theodizeefrage aus der Geschichte herausschreit, so bedeutsam ist der Auftrag, von und über die Verwobenheit der jüdischen Geschichte mit dem Leid, mit der Historie Europas und dem Christentum zu lernen. Die Gelegenheit dazu bietet sich am 17. Jänner an mehreren Orten in Österreich zum Tag des Judentums. Das Programm ist einsehbar unter:
christenundjuden.org/tag-des-judentums
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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