„Einer ist euer Führer, euer Führer ist Christus!“

Am 13. Oktober 1938 demonstrierten die Nationalsozialisten in Wien ihren Hass auf die katholische Kirche.   
 | Foto: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
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  • Am 13. Oktober 1938 demonstrierten die Nationalsozialisten in Wien ihren Hass auf die katholische Kirche.
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Vor 85 Jahren wurde der Wiener Stephansplatz unerwartet zum Schauplatz der größten öffentlichen Kundgebung gegen die Nationalsozialisten. Nicht liberale oder kommunistische Widerstandskämpfer führten sie an, sondern katholische Jugendliche. Die religiöse Feierstunde zum Rosenkranzfest 1938, die sich zur spontanen Demonstration entwickelte, hatte letztendlich auch die endgültige Offenlegung der nationalsozialistischen Kirchenfeindlichkeit zur Folge.

Man schrieb den 7. Oktober 1938, als die Erzdiözese Wien wieder zur bereits seit einigen Jahren zentral organisierten Jugendfeier rief. Doch dieses Mal war etwas anders als in den Jahren zuvor. Seit der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler am 12. März desselben Jahres in Österreich einmarschiert war und am Tag darauf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verkündet hatte, hatte sich für das kirchliche Leben und besonders für die katholische Jugend vieles verändert. Schon im April 1938 erzwangen die neuen Machthaber die „freiwillige“ Selbstauflösung der katholischen Jugendvereinigungen und beschränkten damit die kirchliche Jugendarbeit auf die pfarrliche Seelsorge.

Trotz dieser Umstände entschloss man sich, die traditionelle Jugendfeier zum Rosenkranzfest am 7. Oktober im Wiener Stephansdom nicht ausfallen zu lassen. Da man die Veranstaltung allerdings nicht – wie in früheren Jahren – über die Jugendvereine, sondern ausschließlich über die Seelsorger bewerben konnte, rechnete man mit einem eher bescheidenen Besuch. Die Veranstalter hielten sich wegen des Drucks von 2.500 Feierheften für optimistisch.

Doch es geschah das Unvorhersehbare: Die Jugend, die nunmehr schon ein halbes Jahr ihrer Organisationen verlustig war, strömte in Scharen in den Dom, um an der Feier mit Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer (1875-1955) teilzunehmen. Schätzungen zufolge dürften es zwischen 7.000 und 10.000 an der Zahl gewesen sein. Zeitzeugenberichte erzählen von einer überwältigenden Stimmung im Dom. Ergriffen von dieser Atmosphäre stieg Kardinal Innitzer entgegen den Plänen auf die Pilgramkanzel – man dachte, die Kanzel aufgrund des geringen Besuchs nicht zu benötigen – und hielt eine beeindruckende Predigt, die in den Worten gipfelte: „Einer ist euer Führer, euer Führer ist Christus, wenn ihr ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen!“ Der Erzbischof, der noch im März 1938 aus taktischen Gründen für den Anschluss geworben hatte, legte mit dieser Predigt seine wahre Gesinnung offen und erlangte das volle Vertrauen der katholischen Jugend in Wien zurück.

Spontane Demonstration

Die anwesende Jugend war derart begeistert, dass es den Organisatoren nicht mehr gelang, die Menge ruhig zu halten, um keine offene Konfrontation mit den Nationalsozialisten – einige Hitlerjungen waren zur Feier hinzugestoßen – zu provozieren. Domkaplan Martin Stur rief am Ende der Feier zum raschen Verlassen des Domes auf, doch er wurde von lautem Orgelspiel unterbrochen. Spontan sang die Jugend „Großer Gott, wir loben dich“ und strömte auf den Stephansplatz.

„Wir waren im Zustand der Ekstase, es war eine Art Ausnahmezustand.“

Dort wurden noch weitere Lieder gesungen, wie das kämpferische, in katholischen Jugendkreisen damals sehr beliebte Herz-Jesu-Bundeslied „Auf zum Schwure, Volk und Land“, und Sprüche wie „Christus ist unser Führer!“ skandiert. „Der ganze Stephansplatz war ein einziger feierlicher Chorgesang tausender junger Menschen mit erhobener Schwurhand“, heißt es in dem Bericht eines Teilnehmers. Selbst beliebte Nazi-Parolen wurden abgewandelt, indem etwa „Wir wollen unseren Bischof sehen!“ (statt „Wir wollen unseren Führer sehen!“) oder „Ein Volk, ein Reich, ein Bischof!“ (statt „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“) zum Erzbischöflichen Palais gerufen wurde.

Innitzer zeigte sich daraufhin kurz am Fenster des Palais und rief die Jugend zum Heimgehen auf. „Wir waren im Zustand der Ekstase, es war eine Art Ausnahmezustand, denn hätten wir uns unserer Vernunft bedient, dann wäre es nie zu dieser Kundgebung gekommen. Es war ein emotionaler Ausbruch, bei dem die Vernunft nicht mehr zählte“, erinnerte sich der spätere Medizinprofessor Erwin Ringel. Erst das Eintreffen der SA löste diese größte offene Demonstration gegen die Nationalsozialisten auf.

Gegenschlag mit voller Härte

Dass die nationalsozialistischen Kirchenfeinde eine derart offene Provokation nicht auf sich sitzen lassen konnten, wird niemanden verwundern. Die Reaktion ließ dementsprechend auch nicht lange auf sich warten.
Am Abend des Folgetages, dem 8. Oktober, begannen aufgehetzte Mitglieder der Hitlerjugend damit, die Fensterscheiben des Erzbischöflichen Palais einzuschlagen. Sogleich setzte der Sekretär Innitzers, Jakob Weinbacher, einen Polizeinotruf ab. Kurz darauf drangen etwa 100 Hitlerjungen in das Palais ein. Nur knapp konnte der Kardinal im Matrikenarchiv in Sicherheit gebracht werden. Gemeinsam mit Zeremoniär Franz Jachym versuchte Weinbacher vergeblich, die Bischofskapelle vor der Zerstörung zu bewahren. Die Jugendlichen richteten ihre Zerstörungswut gegen alles, was sie finden konnten: Möbel, Luster, wertvolle Ölgemälde und vor allem Kreuze wurden kurz und klein geschlagen. Jachym erhielt mit einem Leuchter einen Schlag auf den Kopf und Weinbacher wurde beinahe aus einem Fenster auf die Straße geworfen. Weniger Glück als Weinbacher hatte Domkurat Johannes Krawarik, der tatsächlich durch ein Fenster aus dem ersten Stock des auf der anderen Seite des Stephansplatzes gelegenen Erzbischöflichen Churhauses, das ebenfalls zum Ziel der Hitlerjugend geworden war, geworfen wurde und sich lebensgefährliche Verletzungen zuzog.

Nur knapp konnte der Kardinal in Sicherheit gebracht werden.

Erst 40 Minuten nach dem Notruf traf die Polizei am Ort des Geschehens ein, ließ allerdings die Vandalen ungehindert abziehen. Später stellte sich heraus, dass die Polizei vermutlich absichtlich Zeit verstreichen ließ, bevor sie einschritt. Den Bewohnern des Palais wurde von der Behörde ein strenges Schweigegebot über die Vorfälle auferlegt. Dieses zeitigte allerdings nicht die gewünschte Wirkung: Schon am Tag darauf meldete sich eine Londoner Zeitung bei Innitzer, um sich über das Geschehen zu informieren. Die internationale Berichterstattung löste eine weltweite Welle der Solidarität aus. Das mediale Bild von der angeblich mit den Nazis kollaborierenden österreichischen Kirche wich jenem der unterdrückten Glaubensgemeinschaft. Kardinal Innitzer verfasste über das Geschehene einen Bericht, den er an Hitler persönlich übermittelte, auf den er allerdings nie eine Antwort erthielt.

Die Nationalsozialisten schoben die Schuld an dem Sturm auf das Erzbischöfliche Palais alleine dem Erzbischof zu. In einem Tagesrapport der Gestapo heißt es: „Die Ausschreitungen sind auf die am 7. 10. 1938 von Kardinal Innitzer gehaltene Hetzpredigt zurückzuführen.“

Die Nationalsozialisten offenbaren ihr wahres Gesicht

Wenige Tage später ließen die Nationalsozialisten ihre letzten Masken fallen. Bei einer groß angelegten Kundgebung auf dem Heldenplatz am 13. Oktober, für die etwa 200.000 Menschen zusammengetrommelt worden waren, brachte der stark alkoholisierte Reichsstatthalter Josef Bürckel in einer Rede ohne Umschweife seinen Hass gegenüber der Kirche zum Ausdruck. Er bezeichnete die Kirchenvertreter als „verlogene Volksverräter“ und als „herrschsüchtige, machtlüsterne und blutrünstige Priesterschaft“. Die Demonstranten hielten Transparente hoch mit Sprüchen wie „Innitzer und Jud‘, eine Brut“, „Pfaffen auf den Galgen“ oder „Ohne Juden, ohne Rom, wird erbauet Deutschlands Dom“.

Von diesem Zeitpunkt an sollte auch den letzten Katholiken, die noch eine Verhandlungsmöglichkeit mit den Nationalsozialisten gesehen hatten, klar gewesen sein, wie die Fronten lagen. Für den anfangs eher opportunistisch handelnden Kardinal Innitzer waren die Ereignisse des Oktobers 1938 der letzte Anstoß dafür, sein Hirtenamt wieder kompromisslos aufzunehmen und die österreichischen Katholiken durch die schweren Jahre der Hitler-Herrschaft zu führen.

Auch vielen der einfachen Katholiken in Österreich öffneten die Vorgänge die Augen und motivierten sie zur Betätigung im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Felix Deinhofer

Am 13. Oktober 1938 demonstrierten die Nationalsozialisten in Wien ihren Hass auf die katholische Kirche.   
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Kardinal Innitzer (1875-1955) vor einem durch die Hitlerjugend zerstörten Gemälde.   | Foto: Erzdiözese Wien
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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