Interview
Das Glück inmitten der Pandemie
Gerade inmitten der Trübsal der Corona-Pandemie brauchen wir Glücksmomente. Dass man Glücklich-Sein lernen kann und warum das wichtig ist, darüber sprachen wir mit den Glückstrainern Berit Manninger und Bernhard Binder-Reisinger.
Wieder wurde der Lockdown verlängert, eine Virus-Mutation verunsichert uns. Kann man trotzdem – inmitten der Corona-Pandemie – glücklich sein?
Bernhard Binder-Reisinger: Uns wurden ja nach und nach die Energietankstellen geraubt: Der eine ist zum Chor gegangen, der andere zum Tanzen, wieder ein anderer zum Fußball oder zur Kulturveranstaltung. Die Aufgabe besteht nun darin, neue Kraftquellen zu suchen und zu finden. Für mich persönlich sind es die Berge; es kann aber auch das Stricken oder Backen sein, ich kann eine Sprache lernen. Das Wichtigste ist, sich wieder Ziele zu suchen – und das ist eine riesengroße Chance. Man muss es aber auch tun. Wenn man sich gehen, sich treiben lässt, dann landet man in der Trübsal. Es gibt natürlich Rahmenbedingungen, die sehr schwierig sind. Aber viele Menschen haben die Möglichkeit, aktiv zu werden.
Berit Manninger: Die Arbeit kann ebenfalls eine Kraftquelle sein. Meine Arbeit macht mir eine Riesen-Freude, mit Menschen zu arbeiten, neue Ideen umzusetzen. Kraftquellen sind ganz verschieden, für jeden individuell.
Bernhard Binder-Reisinger: Mit unseren Seminarteilnehmern haben wir uns vor Weihnachten die Frage gestellt: Wie war das Jahr 2020? Fast alle meinten: 2020 war ein geniales Jahr.
Nach dem persönlichen Glück suchen – ist das nicht selbstsüchtig?
Berit Manninger: Ich sehe das nicht so. Als Mutter von drei Kindern habe ich mich selbst viele Jahre lang zurückgestellt. Ich bin an den Punkt gekommen zu fragen, so wie fast alle Menschen das im Leben einmal tun: Bin ich glücklich da, wo ich bin? Und: Warum bin ich nicht glücklich? Das größte Problem dabei ist, dass man das Glück sucht, aber nicht genau weiß, was genau man sucht. Ich habe entdeckt, dass es viel am mir selbst liegt, ob ich glücklich bin oder nicht. Und dass das Glück in mir zu finden ist. Viele Menschen suchen zu sehr im Außen. Das große Geheimnis ist: Das Glück, das einen erfüllt und das einen ausmacht, kann nur im Inneren gefunden werden. Wenn ich einen Waldspaziergang nur für mich mache, dann mag das auf andere vielleicht egoistisch wirken, aber in Wahrheit kommt man nur alleine zu sich selbst, zur Ruhe und zur Einsicht. Wenn jemand aber nur auf sich selbst schaut, ständig auf Reisen geht usw., dann wird er wahrscheinlich letztendlich merken, dass er das Glück noch immer nicht gefunden hat.
Bernhard Binder-Reisinger: Dem Wort Egoismus stelle ich die Wörter „Selbstliebe“ und „Selbstwert“ gegen. Die Menschen brauchen ja ein soziales Umfeld, brauchen Kontakt, Nächstenliebe. Beziehungen sind unser allergrößtes Glück. Bei unseren Workshops sehen wir, dass das Materielle eigentlich ganz, ganz weit unten steht in der Werte-Hierarchie.
Ist das Glück „a Vogerl“, also nur ein kurzer Moment, oder eher Zufriedenheit mit dem Leben?
Berit Manninger: Als ausgebildete Biologin war ich früher im Vogelschutz tätig. Insofern passt das Bild vom Vogerl ganz gut, mein Logo als Selbständige zeigt einen kleinen Vogel. Man sagt, das Glück ist „a Vogerl“, es kommt und geht. Mit dem richtigen Futter kann man es allerdings anlocken, damit es zur richtigen Zeit wieder auftaucht, wenn man es braucht. Glück besteht nicht nur aus Glücksmomenten; sie sind wichtig, aber sie vergehen auch wieder. Wichtig sind die Glücksmomente in Kombination mit Zufriedenheit – und darüber hinaus mit der Fähigkeit, mit negativen Emotionen und negativen Situationen gut umgehen zu können. Man kann ein glückliches Leben nicht planen, es passiert immer Unvorhergesehenes: ein Unfall, ein lieber Angehöriger stirbt, ich verliere den Arbeitsplatz. Vieles passiert einfach, es gehört zum Leben dazu. Mit Schwierigkeiten gut umgehen zu können, das gehört zum Glück dazu. Dankbarkeit ist ebenso ein großer Schlüssel zum Glück, eine große Kraftquelle. Glück hat noch viele weitere Aspekte: Werte, Vertrauen, meine Glaubenssätze zu kennen und zu hinterfragen.
Wenn man sich beispielsweise über bestimmte Corona-Maßnahmen ärgert, was kann helfen?
Berit Manninger: Mein Tipp ist: Ich stelle das Negative zur Seite. Ich lese es, ich nehme es wahr. Aber ich schaue dann: Was hole ich für mich heraus? Ich nehme es nicht persönlich. An Gegegebenheiten möglichst sachlich heranzugehen, ist aber Übungssache. Ich sehe es so: Es gibt Dinge im Leben, die kann man ändern. Da schaue ich: Wie kann ich sie ändern? Und dann gibt es Dinge, die momentan nicht zu ändern sind. Im Angesicht von Corona befällt einen leicht das Gefühl von Ohnmacht, doch jeder sollte einen Weg finden, das Beste daraus zu machen. Die Corona-Pandemie weckt ja vor allem Ängste. Angst macht krank, sie schwächt das Immunsystem. Es gibt aber viele Möglichkeiten, mit der Angst gut umzugehen.
Bernhard Binder-Reisinger: Vielen Menschen fehlen Visionen und Ziele. Sie übernehmen zwar Werte der Gesellschaft und der Wirtschaft: ein Haus bauen, einen super Job bekommen, viel Geld haben. Die echten eigenen Ziele, die sie wirklich erfüllen würden, kennen sie aber nicht.
Wer wohlbehütet aufgewachsen ist, hat einen Startvorteil im Leben. Können auch Kinder, denen Liebe und Förderung fehlt, in ihrem weiteren Leben stark, erfolgreich und glücklich sein?
Berit Manninger: Absolut! Es bedeutet natürlich schon Arbeit – für Kinder viel weniger, weil sie vieles spielerisch lernen. Bei Erwachsenen sind oft negative Glaubenssätze im Unterbewusstsein verankert: Ich kann das nicht, ich muss unbedingt … Erfahrungen stapeln sich. Es braucht Menschen, z. B. Lehrer, die den Kindern Zeit schenken, ihnen Werte vermitteln, Lebensweisheit mitgeben und die ihnen zeigen, wo ihre Stärken und Talente liegen.
Wenn Kinder von klein auf Liebe und Wertschätzung bekommen, dann ist das ein wunderbarer Start ins Leben – egal was dann alles kommt. Ein wichtiger Satz ist: „Ich glaube an dich, ich liebe dich, egal welche Leistung du bringst.“ Man sollte Kindern nicht ständig sagen, was sie nicht können, was sie nicht gut machen. Kinder müssen vor allem wissen, was ihre Stärken sind – auch in der Schule!
Bernhard Binder-Reisinger: Es ist wissenschaftlich bewiesen, das Glück nur zu 10 Prozent vom Umfeld abhängt und dass wir unser Glücksempfinden zu 40 Prozent selbst in der Hand haben.
Wie kann ich das Glücklich-Sein lernen?
Berit Manninger: Es gibt viele Schrauben, an denen man drehen kann. Voraussetzung ist, dass man sich mit dem eigenen Leben beschäftigt und an manchen Aspekten arbeitet. Ich kann lernen, was mir in bestimmten Situationen weiterhilft. Es gibt nicht das eine große Geheimnis von Glück: Das mache ich jeden Tag, und dann ist alles gut. Es sind die kleinen Veränderungen, die Großes bewirken!
Was macht Sie persönlich momentan glücklich?
Bernhard Binder-Reisinger: Schitouren gehen, Zeit an neuen Workshop-Konzepten zu arbeiten, wenn mein Angebot auf Nachfrage stößt. Die Beziehungen, die da sind, haben an Wert gewonnen.
Berit Manninger: Mir tut es sehr gut, in die Natur zu gehen. Ich gehe mit meinem Hund mindestens zwei Mal am Tag durch den Wald und suche immer neue Wege. Meine Arbeit als Glückstrainerin erfüllt mich. Unsere drei Kinder machen mich dankbar und glücklich. Und mir selbst immer treuer zu sein: Ich sage nicht mehr zu allem„ Ja und Amen“ und versuche nicht mehr so oft, es allen recht zu machen. Es tut mir gut, zu mir und zu meinen Entscheidungen zu stehen. Freundschaften zu pflegen, ein Plausch mit den Nachbarn – auch das ist sehr wertvoll. Und eine ganz große Kraftquelle ist für mich Gott, die Quelle allen Seins.
Autor:Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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