Jetzt auch noch EU-Wahl

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EU-Gesetze spielen in allen Bereichen des Lebens eine Rolle. Das ist den meisten Menschen in Österreich aber nicht bewusst.

In zwei Wochen könnten 350 Millionen Wahlberechtigte 720 Abgeordnete in das Europäische Parlament wählen. Doch nur die Hälfte hat vor fünf Jahren tatsächlich ihre Stimme abgegeben. Weder die Bedeutung der Europäischen Union noch die Bedeutung des EU-Parlaments sind den Menschen in Europa klar, stellt Franz Leidenmühler fest, er ist Professor für Europarecht in Linz. Das liege unter anderem an einer in fast allen 27 EU-Mitgliedstaaten beliebten politischen Taktik: „Alles, was gut ist, hat man selber gemacht, alles, was nicht so gut ankommt, hat die EU gemacht. Das erzeugt auf Dauer einen EU-Frust in der Bevölkerung.“ Als Folge gingen viele gar nicht zur EU-Wahl oder wählten antieuropäische Parteien, die die Arbeit des EU-Parlaments sowohl bei Grundsatzentscheidungen als auch in der alltäglichen Gesetzgebung blockieren können.

Zu wählen sind im Juni die Abgeordneten zum EU-Parlament, im Herbst die Nationalratsabgeordneten für Österreich.  | Foto: APA-Grafik/Quelle: EU-Kommission
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GROSS IST RELATIV
Das EU-Parlament vertritt 450 Millionen Menschen aus 27 Ländern. Betrachtet man das Verhältnis zwischen den Sitzen im EU-Parlament und Bürger:innen in der EU, dann sind 720 Abgeordnete wenig. Würde man das Verhältnis auf Österreich übertragen, hätte das österreichische Parlament nur 14 Sitze statt 183. Trotzdem wird immer wieder diskutiert, ob 720 Abgeordnete nicht zu viel sind. Nein, sagt der Europarechtler Franz Leidenmühler. Denn damit auch die kleinsten EU-Staaten wie Malta oder Luxemburg eine Bandbreite an Fraktionen in das EU-Parlament wählen können, haben sie sechs Mandate. Dem bevölkerungsreichsten Land Deutschland stünden dementsprechend 1.000 Abgeordnete zu. In Wirklichkeit hat Deutschland nur 96 Sitze im EU-Parlament. Damit das Missverhältnis zwischen den kleinen und großen Staaten (kleine haben proportional mehr Gewicht) nicht noch stärker wird, ist es wichtig, die Zahl von 720 Abgeordneten zu halten.

Wozu aber braucht es überhaupt ein Parlament in der Europäischen Union? Es ist teuer und gehorcht mehr den Lobbyisten als der politischen Raison, so eine verbreitete Meinung. Doch bis ein Gesetz wirklich in Kraft treten kann, durchläuft es einen langen Prozess, hält der Europarechtler dagegen, und „es sind unsere Politiker und Politikerinnen, die wir ins Europaparlament wählen“.

DIE KRÄFTE SPIELEN ZUSAMMEN
EU-Gesetze werden außerdem nicht nur in den Ausschüssen des Parlaments vorbereitet und dann im Plenum verhandelt. Sowohl die EU-Kommission als auch der Rat der EU spielen ihre Rolle im komplexen Entstehungsprozess eines EU-Gesetzes. Und das mache Sinn, ist Franz Leidenmühler überzeugt. „Die drei Hauptorgane Kommission, Rat und Parlament spielen gut zusammen. Sie vertreten jeweils unterschiedliche Interessen.“ Der Rat, der sich je nach Themenbereich aus den zuständigen Ministerinnen und Ministern der 27 EU-Staaten zusammensetzt (sei es etwa das Ressort Umwelt, Verteidigung oder eines der zahlreichen anderen), steht für die Interessen der einzelnen Staaten. Er war in den frühen Jahren der Europäischen Union (bzw. Europäischen Gemeinschaft, wie es damals hieß) das mächtigste Organ. Die Bedeutung des Parlaments wurde erst nach und nach gestärkt.

MENSCHEN, STAATEN, EUROPA
Heute ist das EU-Parlament gleichberechtigt gegenüber dem Rat, beurteilt der Jurist Franz Leidenmühler die Situation. Das Parlament vertritt die EU-Bürgerinnen und -Bürger. Die Abgeordneten werden zwar nach nationalen Gepflogenheiten gewählt, sitzen im EU-Parlament aber nicht in nationalen Gruppen beisammen (zum Beispiel alle österreichischen Abgeordneten nebeneinander), sondern nach Fraktionen geordnet. Sieben Fraktionen gibt es derzeit im EU-Parlament.

Eine wichtige Rolle für die Entstehung von EU-Gesetzen spielt auch die Kommission. Sie macht Vorschläge, die im Parlament und im Rat behandelt und beschlossen werden. Wenn keine Einigung zustande kommt, tritt ein Gesetz nicht in Kraft. Deshalb dauert es oft jahrelang, bis ein Gesetz entsteht. Die Bedeutung der EU-Kommission ist, dass sie die europäischen Interessen vertritt. Die Kommissare kommen aus den Mitgliedstaaten, handeln aber im europäischen Interesse. Dadurch entsteht eine Ausgewogenheit zwischen den Interessen von Bürger:innen (vertreten durch das Parlament), von Staaten (vertreten durch den Rat) und der europäischen Sicht (vertreten durch die Kommission).

UND WAS IST MIT DEN LOBBYISTEN?
Lobbying ist ein großes Thema in Bezug auf EU-Gesetze, das weiß auch Europa-Experte Leidenmühler. Er erläutert anhand eines Beispiels die Gründe dafür, und warum Lobbying auch eine konstruktive Funktion haben kann: „Damit der Binnenmarkt funktioniert, braucht es einheitliche Bedingungen.“ Wenn jeder Mitgliedstaat unterschiedliche Normen hätte, würde das den Handel mit Produkten erheblich erschweren. Wenn etwa der Grenzwert des aufputschenden Stoffes Taurin in Energy-Drinks in jedem Staat anders wäre, würde dasselbe Getränk in manchen Staaten zugelassen und in anderen nicht. Das widerspräche dem Grundgedanken des freien Binnenmarkts. Daher haben Unternehmen Interesse, die Bedingungen für ihre Produkte zu vereinfachen und setzen sich für die Harmonisierung von Normen ein. Auch der Konsumentenschutz kann aber ein Interesse an der Angleichung von Normen haben, und auch diese Seite kann lobbyieren, sich also bei den gesetzgebenden Organen für eigene Interessen einsetzen.

Franz Leidenmühler ist Vorstand des Instituts für Europarecht der Johannes Kepler Universität Linz.  | Foto: JKU/Zoe*Fotografie
  • Franz Leidenmühler ist Vorstand des Instituts für Europarecht der Johannes Kepler Universität Linz.
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EU-GESETZE BEEINFLUSSEN DAS LEBEN
Tatsache ist, dass die EU-Gesetze nicht abgehoben von den national gewählten Vertretungen entstehen und dass ihr Wirkungsbereich nicht irgendwo weit weg vom Leben der Einzelnen liegt. „80 Prozent aller rechtlichen Regelungen in Österreich sind direkt durch EU-Recht beeinflusst.“ Es greife in alle Lebensbereiche ein, ob es um Lebensmittel geht, um Flächenwidmungen oder andere alltägliche Fragen. Deshalb ist es nicht egal, was in Straßburg entschieden wird. Straßburg? Oder Brüssel? Das Europäische Parlament hat mehrere Standorte: Der offizielle Sitz und der Ort, an dem die meisten Plenarsitzungen stattfinden, ist seit 1992 Straßburg. Die Sitzungen der parlamentarischen Ausschüsse werden in Brüssel abgehalten, und die Büros des Parlamentspersonals sind in Luxemburg angesiedelt. Die Gründe dafür liegen in der Entstehungsgeschichte der EU. Durch die Reisekosten zwischen den Standorten und die Erhaltung der Standorte entstünden natürlich Kosten, die man hinterfragen könne. Aber, so der Europarechtler Franz Leidenmühler, „das ist sicher nicht der größe Posten im EU-Budget“.

MONIKA SLOUK

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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